Es ist stiller geworden um Julian Assange und WikiLeaks. Noch weniger hört man jedoch vom „Verpfeifer“ (Whistleblower) Bradley Manning, einem Nachrichtenanalysten der US-Streitkräfte. Jenem Soldaten der seinerzeit die Daten an WikiLeaks weitergegeben hat und seither in Einzelhaft schmort. „Geheimnisverräter“, sagen die einen. „Held!“ die anderen. Doch eins sollte doch unstrittig sein: Dass durch WikiLeaks ruchbar gemachte Verhalten von Soldaten im Irak, eiskaltes und unnötiges Gemetzel, ist ungleich schlimmer als diese Taten der Welt zu verraten. Dennoch gehen die Täter straffrei aus, während der gerade mal 23-jährige Bradley Manning nach einer nun hoch schwappenden Meldung die Todesstrafe droht. Schon jetzt muss er sich womöglich Psychoterror und Folter aussetzen – passend zur gerade verkündeten Nicht-Schließung des Guantanamo-Gefängnisses. Ist das die von Obama gepriesene Leitkultur der USA? Ist das der „Wechsel“, von dem er im Wahlkampf sprach?
Die US-Regierung zeigt Härte, auf dem Schlachtfeld und bei Verrätern – so viel ist klar. Wir alle kennen zumindest Ausschnitte aus den Videos die zeigen, wie Angehörige des US-Militärs im Irak 2007 auf unbewaffnete Zivilisten feuern. Mir zumindest haben sich die Bilder eines Videos tief ins Unterbewusstsein gebrannt und auch die Stimmen die geradezu nach dem Tod der Menschen geiferten.
Die Soldaten selbst saßen in Sicherheit und schossen aus sicherer Entfernung auf einen auf dem Boden kriechenden, schon verletzten, wehrlosen Menschen. Oder auf einen Lieferwagen mit Kindern darin. Natürlich habe man davon nichts gewusst. Dennoch: Währenddessen feuerten sie sich gegenseitig an („Hübsch, gut geschossen“), wie in einem Ego-Shooter-Spiel, und zeigten unverhohlen ihre sadistische Freude am tödlichen Treiben. Entsetzliche, quälend lange Minuten.
Krieg ist nun mal brutal…
Nun kann man sagen: „Klar, was willst Du denn? Das ist eben Krieg.“ Doch wenn man bedenkt, dass sich im Nachhinein heraus stellt, dass dieser Krieg gewollt, die Gründe nur Fake waren, gelogen und reine PR, dann wirft dies auch ein Licht auf die Befürworter solcher Metzeleien. Ich kann dieses Argument „Krieg ist nun mal brutal…“ nicht mehr hören, denn ich weiß, dass die wenigsten davon wirklich einem hehren Ziel dienen (können). Es geht immer nur um die Interessen einiger weniger. Und für diese schicken sie Soldaten, die sich gegenseitig metzeln sollen; für diesen sind sie bereit Hundertausende von Toten zu akzeptieren – nur, um ihre Ziele zu erreichen. Was für Menschen mögen das sein? Auf keinen Fall Menschen wie Bradley Manning…
In der heutigen Nachrichtenlage ist es schwierig, überhaupt noch Lüge von Wahrheit zu unterscheiden. Das gilt im normalen politischen Alltag (wir haben das ja gerade in der Gutti-Affäre mitbekommen). Aber vielmehr noch im Krieg. Auch Afghanistan ist keine astreine Sache, gerade, wenn man sich die Geschichte des Landes und die Interventionen durch die UdSSR und USA anschaut. Da blieb die Wahrheit schon vor Jahrzehnten auf der Strecke.
Und dann gibt es mit einem Mal ein Leck, aus dem als geheim eingestufte Informationen auftauchen. Informationen die zeigen, wie schlecht doch a) die Politiker voneinander denken, b) wie bösartig die politischen und militärischen Aktionen sind. Was c) diese Menschen von uns halten, wie sie die ihnen anvertrauten Völker sehen, das kann man sich aus beidem zusammen reimen. So ist verständlich, dass sie in große Wut geraten, wenn man einen Blick in ihre „gute Stube“ wirft. So kann man verstehen, dass Köpfe rollen müssen. Natürlich nicht die eigenen, auch nicht diejenigen der Leute die ihre unseeligen Befehle befolgen, sondern diejenigen derer die „verraten“, was hier gespielt wird.
Wo liegt die Wahrheit und wer leidet darunter?
Was WikiLeaks betrifft, so bin ich geteilter Meinung. Und ich weiß auch, dass die Informationen die über die Nachrichtenticker gehen zumeist gesteuerte, gewollte und lancierte Informationen sind. Ich weiß nicht, ob ein Julian Assange wirklich der Held ist als der er sich verkauft und als der er von einem großen Teil der Netzgemeinde gesehen wird. Ob die Geschichte um WikiLeaks vielleicht auch nur ein Fake ist.
Das kann ich nicht wissen, und das werden selbst diejenigen nicht wissen können die in dem Whistleblower-Netzwerk mithelfen. Wünschen würde ich es mir, denn es muss Helden geben. Helden, die sich dem Bösen in den Weg stellen. Und Böse, dass ist ja wohl klar, sind kriegstreibende, folternde, lügende und betrügende Menschen. Wäre das nicht so, wäre das in Ordnung, wäre das nicht meine Welt. Hier würde ich die Hoffnung verlieren.
Und wenn ein Julian Assange eben doch derjenige ist, den wir nun kennengelernt haben. Dann gehört nicht ER ins Gefängnis. Genauso wenig ein junger Mann, der sein Leben noch vor sich hat; dessen großes Vergehen es ist, mit dem Finger auf Mörder zu zeigen. Mörder, die niemand behelligen wird. Ganz gleich wo die Wahrheit liegt, was WikiLeaks nun ist. Unsere Augen wurden konfrontiert mit der Fratze des Krieges (noch mal: eines herbei gelogenen Krieges). Und wer leidet wirklich darunter? Die Menschen die ihm zum Opfer fallen. Denen ist vollkommen egal, für welche Lüge sie sterben mussten.
Freiheit für Manning ist die einzige Option
Bradley Manning wurde weg gesperrt und ihm wurde der Prozess gemacht, da sich die USA den Anschuldigungen nicht stellen. Und die Palette ihrer Vergehen ist lang. In unserer bunten Medienwelt haben wir ihn schon fast wieder vergessen. Andauernd kommt was Neues, was Bunteres, was Spannenderes auf uns zu, muss verarbeitet werden. Dabei müssten wir am Ball bleiben. Denn wenn Soldat Manning tatsächlich ein ethisches Gewissen gezeigt hat und in der Höhle der Löwen sitzend mit Fleisch wedelte, dann müssen wir anerkennen, dass er zum Verständnis von Krieg und Frieden mehr beigetragen hat als Obama. Und dieser hat immerhin des Friedensnobelpreis erhalten.
Natürlich, in einer von Lügen übersäten Welt kann man sich alles vorstellen – bis hin zu der perfiden Idee, dass auch ein Bradley Manning nur ein Fake, eine Lüge, eine Erfindung ist. Schließlich geht es hier um große Politik, um Kriege und den Umgang mit der Opposition, mit Friedensaktivisten, mit Wahrheitssuchern im Internet. Doch liegt nicht die eigentliche Wahrheit im Symbol und in Bildern wie aus den Videos?
Ein derart großes Leck im Informationstank
Ein derart großes Leck im Informationstank der Politik schreit anscheinend geradezu nach neuen Gesetzen und einem harscheren Umgang mit Menschen wie Manning (diesem soll nun sogar die Todesstrafe drohen). Die neueste Entwicklung in Sachen Guantanamo zeigt dies deutlich.
Was sich hier abspielt, ist der Kampf um die Wahrheit selbst. Eine Schlacht um verloren gegangene Moral und Menschlichkeit. In anderen Ländern wie Russland oder China wurde diese bereits verloren, tritt im Umgang mit Oppositionellen die Taktik des Stärkeren brutal zutage. In den USA und auch in Europa steht sie noch bevor. Da die USA als auch Europa ein anderes Eigenverständnis und eine andere Geschichte mitbringen, müssen die Herrschenden solche Traumata schaffen. Müssen Helden demontieren, diskreditieren und womöglich eliminieren – doch damit stellen sie Fallen auf, um dann selbst hinein zu tappen.
Die Welt schaut jedoch nicht mal zu, sondern einfach weg. Andere Dinge sind interessanter. Während ein Plagiator wochenlang die Medien beschäftigt und die Menschen aufbringt, vermisst man die breite Berichterstattung in Sachen Manning komplett. Keine Demos, keine Internetlawine. Bei Twitter gibt es gerade mal 4.025 Follower für „savebradley„, 435 bei „Bradley Manning UK„. Und bei FACEBOOK? Hier kann die Seite „Free Bradley Manning!“ gerade mal 2.093 Mitglieder auf sich vereinen, „Bradley Manning is a Hero“ sogar nur 23… wenn ich mich dann an die Pro-Gutti-Seite erinnere, sehe ich eine verkehrte Welt.
Ist das die neue Leitkultur?
Als Barack Obama zum Wahlkampf sein „Change“ in die Mikros schrie, interpretierte das Bush-geschundene amerikanische Volk alles Mögliche in diese vage Aussage. Heute dürfte es wissen, dass es nicht wirklich um einen Wechsel in der US-Politik ging. Gewechselt hat nur das Gesicht, die Maske hinter der Ungerechtigkeit praktiziert wird. Die Kriege gehen weiter (neue kommen wohl gerade hinzu), Guantanamo bleibt, die Spekulanten treiben wie gewohnt ihr altes Spiel und der Bürger gerät immer mehr ins Abseits.
Wer aufbegehrt gilt als unpatriotischer Querulant, als Störer, Widersacher und (fast schon) als Gesinnungsterrorist. Das Spiel geht also weiter, Obama hin oder her. Das ist die orwellsche Komponente des Ganzen. Die Macht über die Begrifflichkeiten. Doch wenn man schon so weit ist, wird man in Zukunft noch viele Guantanamos brauchen.
Ist das die neue Leitkultur die laut Obama von Amerika ausgehen sollte? Wahrscheinlich schon. Denn auch in Europa sind seit rund 10 Jahren die politischen Sitten gänzlich zerfallen, zerbröseln Moral und Anstand, wird alles nur noch unter das Diktat des Geldes gestellt.
Deshalb braucht es Helden die sich in den Weg stellen, Menschen die den Mut aufbringen, sich als kleines Rädchen im großen Getriebe zu versagen oder sogar mit dem Finger auf diejenigen zu zeigen die ein so böses Spiel treiben wie die Soldaten die in den Hubschraubern des Videos saßen, in der Kommandozentrale oder in den feinen Büros der Ministerien und diplomatischen Einrichtungen. Wenn dies keiner tut, und dabei die Welt bewegt, wird die USA als „freiheitlichstes Land der Welt“ ausgespielt haben und Europa wird ihm als kleiner Bruder folgen.
Genau das darf nicht passieren und sollte viel mehr Menschen empören als die listigen Betrügereien irgendwelcher Pomadenheinis. Hier geht es um Milliarden von Menschen und das Schicksal der Welt. Das muss uns wichtig genug sein. Ansonsten sind wir es selbst nicht wert und verdienen kein anderes Schicksal. Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie muss mit jeder Generation neu erstritten und eingefordert werden. Lassen wir diejenigen nicht allein die es für uns tun.
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Sehr gut und informativ geschrieben! Man sollte sich wirklich mehr mit diesen kritischen Themen auseinandersetzen…ansonsten war nämlich alles bis jetzt umsonst…