Nikolaikirche, Augustusplatz, Montagsdemos: Wir sind das Volk! Wohl kaum eine Stadt in Deutschland steht so sehr für den Kampf für echte Demokratie wie Leipzig. Hier überwanden 1989 Tausende von Menschen ihre Angst vor Repressalien und marschierten jeden Montag rund um den Stadtring – immerhin war damals völlig unklar, ob die Machthaber nun Panzer auffahren und sogar in die Menge schießen lassen würden oder nicht!
Der Ruf nach Demokratie wird wieder laut
Gut zwanzig Jahre später wird in Leipzig der Ruf nach echter Demokratie wieder laut. Diesmal waren es allerdings keine Deutschen, die den friedlichen Protest organisierten: Eine Gruppe von Spaniern, die in Leipzig lebt, organisierte nach dem Vorbilder der spanischen Protestcamps eine »Acampa da Leipzig«. Wenige Wochen später stießen dann auch Deutsche dazu. Gemeinsam organisierten sie Demonstrationen und Info-Stände. Man traf sich zum Gedankenaustausch und um gemeinsam zu planen, wie man möglichst viele Menschen bei ihrem Kampf um Demokratie vereinen könnte.
Mit den weltweiten Protesten am 15. Oktober gewinnt die Bewegung so richtig an Fahrt. Waren es zunächst um die dreißig Leute, so sind es nun 150 bis 200 – und es werden immer mehr. Jeden Montag treffen sie sich zur wieder belebten »Montagsdemonstration«: Die Menge steht vor dem Mendebrunnen auf dem Augustusplatz. Sie haben Plakate und Transparente mitgebracht. Sprechen kann, wer will.
Das Publikum ist buntgemischt
Die Redebeiträge sind bunt gemischt, ebenso wie die Anwesenden. Stehen vor dem Reichstag in Berlin zumeist jüngere Leute, sieht man auf dem Leipziger Augustusplatz auch viele Menschen im Rentner-Alter. Ihnen geht es um soziale Gerechtigkeit. Darum, dass die Menschen nicht hinter dem Profit zurück stehen dürfen. Darum, dass das Volk herrscht – und nicht die Banken. Darum, dass nicht schon wieder über ihre Köpfe hinweg entschieden wird.
Neben den Montagsdemonstrationen haben sich Arbeitsgruppen gebildet, die sich einmal pro Woche treffen. Da gibt es die AG Performance (Aktionsplanung), die AG Inhalt und Forderungen oder die AG Kreativ, in der die Flyer, die Website und sonstige Informationsmedien geplant und umgesetzt werden. »In den verschiedenen Stadtteilen organisieren sich Gruppen. Die Menschen, die vorher dachten, sie seien allein, finden sich nun – und sie schöpfen den Mut und die Hoffnung, dass sie gemeinsam etwas bewegen können«, sagt uns Christine, eine der Organisatorinnen von Acampa da Leipzig.
Zukunfstgewand und Hoffnungsfroh
Und diesen Mut, diese Hoffnung spürt man am Montagabend auf dem Augustusplatz. Die Redebeiträge sind zum Teil hitzig, zum Teil euphorisch, aber in jedem Fall zukunftsgewandt und hoffnungsfroh. Nach den Jahren der Enttäuschung, der politischen Stagnation und des Rückzugs ins Private sind die Bürger Leipzigs einmal mehr aufgewacht, um die Demokratie zu fordern, auf die sie schon seit über zwanzig Jahren warten – und die, da sind sie sich sicher, kommen wird. Denn: Wir sind das Volk! Wir sind die 99 Prozent!
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Acampa da Leipzig
Asamblea: Je nach AG unterschiedlich
Montagsdemo: Jeden Montag um 19 Uhr
Ort: Augustusplatz
URL: http://acampadaleipzig.org
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„Menschenrechte auch für Arbeitslose“ müssen gegenüber (Ultra-)Liberalen immer wieder neu erkämpft werden – ob nur verbal oder wirklich justiziell. Ihr Hauptgegenargument besteht in der Frage: Warum sollte jemand das Recht haben, auf Kosten eines anderen zu leben? Diese Frage geht an den Kern der Menschenrechtsidee und fordert eine Begründung des Gleichheitsprinzips heraus. Aus meiner Sicht ist es für einen vernünftigen Menschen unwiderlegbar, dass er das Recht darauf haben will, in einer Notlage von anderen Versorgung zu erhalten, damit sein Wohlergehen gewahrt bleibt. Um dieses Recht zu haben, muss er auch allen anderen das Recht darauf einräumen, damit sie seinen Rechtsanspruch anerkennen. Wer sich das Recht abspricht, in der Not auf Kosten eines anderen leben zu dürfen, verneint Menschlichkeit per se und entzieht einer (funktionierenden) Gesellschaft von vornherein das Fundament.
Lieber Ron, wobei ich noch ergänzen möchte, dass man natürlich auch die Frage stellen kann, wer eigentlich auf wessen Kosten lebt? Lebt ein Banken-Manager, der das 1000-fache einer Krankenschwester verdient, aber unter „Rettungsschirme“ schlüpft, auf Kosten anderer? Lebt ein Unternehmer, der seine Angestellten so niedrig entlohnt, dass sie auf Hartz IV aufstocken müssen, auf Kosten anderer? „Lebt“ ein Spekulant, der mit Lebensmitteilpreisen sein Geld vermehrt, sogar auf Kosten anderer Menschenleben? Lebt der Großgrundbesitzer, der Monokulturen pflanzt und dafür Regenwald abholzt, auf Kosten anderer – nämlich auf Kosten der nachfolgenden Generationen? Und wenn ja: wie sieht es dann mit Atomkraftwerken aus? Mit der Fischerei-Industrie? Wie sieht es mit uns aus: auch wir leben auf Kosten anderer – nämlich zumeist auf Kosten der Menschen, die in Billiglohnländern unter unmenschlichen Bedingungen unsere Smartphones zusammen schrauben, unsere Klamotten zusammen nähen und und und. Nein, auf Harzt-VI-Empfängern herum zu haken ist meines Erachtens zu einfach und zu „billig“ und extrem unnötig. Anderen Menschen in Not zu helfen ist eine Selbstverständlichkeit! Und es ist deprimierend, dass so etwas diskutiert werden muss, wo wir uns doch eigentlich den viel größeren Dimensionen stellen müssten. Nämlich der Frage, wie wir es schaffen können, nicht immer und andauernd auf Kosten der Natur und der Menschen in der so genannten Dritten Welt zu leben! Wie können wir es schaffen, wieder einen unverfälschten Blick für die Maßstäbe zu bekommen – und nicht dieses unglaublich verschobene Weltbild, in dem es anscheinend nur darum geht, den eigenen kleinen, nichtigen Vorteil zu retten… (und damit meine ich ausdrücklich nicht Hartz-IV-Empfänger!).