Sieben kreative Protestformen mit denen du trotz Informations- und Reizüberflutung Aufmerksamkeit und Sympathie gewinnst.
Aktiv für eine bessere Welt – aber wie?
Ihr kennt das bestimmt: Es gibt Dinge, Ungerechtigkeiten und Missstände, die machen einfach wütend. Vielleicht denkst du ja auch manchmal: „Dagegen muss einfach irgend etwas getan werden!“ Aber was? Briefe an Politiker:innen schreiben? Eine Online-Petition ins Leben rufen? Flyer verteilen? Das alles sind gute und wichtige Dinge. Doch da geht noch mehr – und vor allem auch noch spaßiger.
Die Initiative Make IT fair hat als Inspirations- und Ideenquelle ein E-Book zusammengestellt, dass eine ganze Reihe von guten Tipps und damit einen schnellen Überblick für erste Aktionen gibt. Wer schon etwas mehr Erfahrung hat und/oder tiefer einsteigen will, der findet umfangreichere Infos über Taktiken, Prinzipien, Theorien und praktische Case Studies in dem Buch Beautiful Trouble – das es zwar auch in gedruckter Form gibt, das unter Creative Commons aber auch frei im Netz zur Verfügung steht. Bevor wir zu unseren sieben kreativen Protestformen, noch was Wichtiges zu den Erfolgsfaktoren …
Die wichtigsten Erfolgsfaktoren kreativer Protestformen
Je kreativer Protestaktionen sind, desto mehr Aufmerksamkeit können sie gewinnen – und desto mehr Spaß machen sie allen Beteiligten. Sie sorgen für Sympathie auf Seiten der Passant:innen und für Motivation bei den Mitstreiter:innen. Damit das alles auch so bleibt, ist eine gute Planung ungemein wichtig. Versucht dabei, so viel Liebe zum Detail zu entwickeln wie möglich – nicht nur in der Planung, sondern auch in der Umsetzung. Macht euch gleichzeitig bewusst: 80 Prozent reichen, ihr müsst nicht die 100 Prozent Perfektion erreichen! Schafft mit eurer kreativen Protestform immer eine besondere, positive Stimmung. Denn dann wird die öffentliche Meinung auf Eurer Seite sein.
Sucht euch zudem einen guten Anlass für eure kreative Protestform. Das kann ein Jahrestag, die Veröffentlichung einer Studie, eine Tagung von Wirtschaftsboss:innen oder Politiker:innen und vieles mehr sein. Entscheidet euch auch sorgfältig für den richtigen Ort und die richtige Methode. Sie müssen nicht nur zum Anlass und zu euch passen, sondern ihr müsst sie auch mit den Mitteln, die euch zur Verfügung stehen, bewerkstelligen können. Wenn euch Ressourcen fehlen, dann gebt nicht gleich auf, sondern überlegt euch, wo ihr diese her bekommen könntet.
Kreative Protestformen
Jetzt aber endlich zu den sieben kreativen Protestformen! Es gibt eine nahezu unendliche Bandbreite von kreativen Protestformen – und laufend werden es mehr. Wir haben hier mal einige wenige aufgelistet. Viele weitere findet ihr zum Beispiel in den oben genannten, kostenlosen E-Books oder bei Beautiful Trouble.
1. Kreatives Nachfragen in Geschäften
Diese Form des »Protestes« kann wirklich jede:r umsetzen. Alles, was du dazu brauchst, ist eine klare Botschaft und ausreichend Hintergrundwissen. Und so geht’s: Du gehst von Geschäft zu Geschäft – zum Beispiel in Klamottenläden – und fragst überall nach etwas, worauf die Verkäufer:innen entweder nicht Bescheid wissen oder nur eine peinliche Antwort geben können.
Marek und ich sind z.B. mal durch die Hamburger Innenstadt gelaufen und in alle gängigen Kaufhäuser und haben gefragt, welche Kleidung fair und ökologisch hergestellt wurde und ob die Verkäufer:innen wissen, wie viel Prozent vom Verkaufspreis bei den Arbeiter:innen im Globalen Süden ankommt. Das Ergebnis war ziemlich niederschmetternd. Es gab nur einen einzigen Laden, der Auskunft geben konnte (Hess Natur).
Überlege dir dann, welcher Tag und welche Uhrzeit passt, sodass die die Verkäufer:innen nicht nervst, sondern tatsächlich erreichen und nachdenklich stimmen kannst. Übrigens: Die Clean Clothes Campaign hat kleine, Visitenkarten-große Info-Kärtchen entwickelt, die man sich in den Geldbeutel stecken und bei Bedarf an Verkäufer:innen übergeben kann.
2. Bilder, Kunst und Installationen
Kunst im öffentlichen Raum ist ein riesige Feld, wie du deine Botschaft unter die Leute bringen kannst. Das kann ganz einfach beginnen: mit einem Stück Kreide und einer guten Idee. Sei gewitzt und beziehe die Umgebung mit ein. Mach deine Botschaft kurz und knackig und eindeutig. Bring Humor ein. Wenn du es etwas aufwendiger willst, kannst du auch eine Schablone und selbstgemachte Sprühkreide basteln. Hier findest du eine Anleitung für Sprühkreide von „Erobere dir die Straße zurück“.
Rechtlich bewegst du dich damit in einer Grauzone. Privates Gelände solltest du vermeiden, wenn du keinen Ärger bekommen möchtest. In manchem Städten ist Kreidemalerei verboten. Informiere dich also am besten vorher. Was geschieht, wenn du die Polizei aufkreuzt und wie du dich verhalten kannst, erfährst du hier im Leitfaden Straßenmalkreideaktionen von Kreaktivimus.org
3. Unsichtbares Theater
Eine Steigerung – was das schauspielerische Talent angeht – ist das unsichtbare Theater. Dabei inszeniert man zu zweit, zu dritt oder zu mehreren ein Theaterstück im öffentlichen Raum. Der Clou daran ist, das die Passant:innen nicht wissen, dass es sich dabei um einstudierte Szenen handelt. Der Reiz dieser Protestform liegt darin, dass die Zuschauenden also nicht genau wissen: Ist das nun echt oder nicht?
So könnte man sich zum Beispiel an einem Krabbeltisch in einer Billig-Kleider-Kette darüber unterhalten, wie die Kleider hergestellt sind – oder am Kühlregal eines Discounters eine Diskussion über die Nachhaltigkeit des dort angebotenen »Bio»-Fleischs anzetteln. Achtet darauf, dass die Aktionen nicht langweilig und mit stark erhobenem Zeigefinger ablaufen, sondern das Skurrilität, Humor und Lebensfreude eine tragende Rolle bekommen.
4. Falsche Demonstration
Auch hier geht es ein bisschen um’s Schauspielern – allerdings Schauspielern leicht gemacht, denn ihr seid in der Gruppe. Bei der falschen Demonstration geht es nur scheinbar um eine Demonstration für eine Sache. Diese ist jedoch so überspitzt und widersinnig, dass die Passant:innen stutzen: Was ist da los? Die Initiative Make IT Fair führt als Beispiel an, dass man in schnieker Business-Kleidung »Für niedrigere Löhne und höhere Gewinne« demonstrieren könnte. Mir fallen noch viele lustige weitere Dinge ein – wie sieht es bei dir aus?
5. Kunstvolle Mahnwachen
Sicher, die Lichterketten und Kerzenmeere der Friedensbewegung sind nicht mehr die überraschendste kreative Protestform. Doch vielleicht schafft ihr es ja, neue und symbolhafte, künstlerische Ideen für Mahnwachen zu entwickeln. Der Trauermarsch ist zum Beispiel ein gängiges Protestelement der Bewegung Extinction Rebellion (XR). Dabei werden all die Arten betrauert und zu Grabe getragen, die durch den Klimawandel aussterben.
Natürlich spielt auch hier wieder der richtige Zeitpunkt und Ort eine ganz wichtige Rolle: Um wen wird »getrauert«? Für wen wird gewacht? Warum an diesem Ort? Und welche symbolischen, rituellen Handlungen und Kostüme könnten eure Botschaft unterstreichen?
6. Positives Applaus-Störfeuer
Wenn ein hochrangiger Vertreter oder eine hochrangige Vertreterin einer Institution oder Organisation zu einem Vortag oder eine Rede erscheint, möchte man ihn oder sie vielleicht »bestreiken«. Ihn oder sie niederzuschreien oder in sonstiger Weise zu unterbrechen ist in der Regel sehr destruktiv und wird euch wenig Sympathien einbringen – immerhin wurde derjenige ja eingeladen und ist damit für die meisten Anwesenden interessant.
Eine äußerst effektive und irritierende Methode habe ich vor ein paar Jahren selbst das erste Mal erlebt: Und zwar verteilen sich dazu die eingeweihten Aktivist:innen im Saal und brechen bei jedem Wort in wilden Applaus und Jubel aus. Achtet darauf, dass ihr nicht als eine Gruppe wahrgenommen werdet. Zieht euch so an, dass ihr nicht auffallt. Je mehr ihr euch in das restliche Publikum einschmiegt, desto größer wird die Verwirrung und damit euer Erfolg sein.
Alle werden sich dann nämlich fragen, ob ihr nun einfach »nur« begeistert seid – oder ob ihr die ganze Angelegenheit mit eurer kreativen Protestform stören wollt. Ihr werdet dadurch mindestens viel Zeit gewinnen.
7. Menschliche Banner
Kaum etwas macht mehr Spaß und erzeugt mehr Gemeinschaftsgefühl als ein menschliches Banner. Dazu legen oder stellen sich Dutzende bis Hunderte von Menschen zu Worten und/oder Bildern zusammen. Das Ergebnis sind vor allem eindrucksvolle Bilder oder Videos für Social Media und Presse. Außerdem können menschliche Banner – je nach Zahl der Teilnehmer – auch eindrucksvoll zeigen, dass rekordverdächtig viele Menschen hinter deiner Sache stehen.
Es gibt natürlich noch viel mehr Aktionen – und Eurer Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Je bunter, kreativer, humorvoller und fröhlicher der Protest für eine bessere Welt wird, desto mehr Menschen wird man dafür gewinnen können. Wichtig ist aber auch, dass ihr den rechtlichen Aspekt nie aus dem Blick verliert. Auch dazu findet ihr in den o.g. E-Books ein paar Tipps. Wir wünschen Euch: Viel Spaß!
Bildquelle: Das Bild im Aufmacher stammt von Guillaume Paumier, Anti-G8-Demo in Le Havre 2011
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