Das neue BKA-Gesetz ist auf dem Weg und lässt Funken sprühen. Der Bundestag debattiert heftig, Datenschützer und NGOs heulen auf. Selbst die Polizei meldet Bedenken an… doch dazu später. Was bringt (oder nimmt) uns das so genannte „Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten“ eigentlich? Gar nicht so einfach zu beantworten die Frage, in Zeiten von Web 2.0

Was will das neue Gesetz?

Es will neue Befugnisse in den Aufgabenbereichen:

  • Raster- und Schleierfahndung
  • Einsatz von verdeckten Ermittlern
  • Lauschangriff (auch innerhalb der Wohnung dritter Personen)
  • Videoüberwachung
  • heimliches Betretebnvon Wohnungen

BKA-Gesetz: Alles klar soweit?

Das BKA-Gesetz regelt die Aufgaben des Bundeskriminalamtes (BKA) – und das seit 1951. Es ist also nicht neu und überraschend an sich. Was neu ist, dass ist die Situation heute, 57 Jahre später: Ein weltpolitisches Spannungsfeld mit entzündlicher Rhetorik und unkalkulierbaren zwischenmenschlichen Explosionsherden, immer an der Kippe zur Katastrophe. Krisen, Kriege, Terror allerorten.

Und wo es noch nicht brennt, na, da könnte irgendwo irgendwer in seiner Hartz4-1-Zimmer-Wohnung sitzen, richtig gallig werden und Schlimmes planen. Böse auf die Welt im Allgemeinen, mitleidlos mit Anderen und sich selbst, voller Weltenekel. Oder in einer Höhle ungefunden Ränke schmieden gegen alle Gottlosen Kinder des neuen Babylons. Oder aus sonst einem Grund, von denen es ja viele zu geben scheint, heutzutage. Jederzeit, jeden Augenblick, jede Sekunde könnte E-t-w-a-s geschehen. Darauf möchte man reagieren und am besten noch bevor E-s passiert.

Was soll man denn tun?

Was soll man denn – bitte schön – anderes tun, als sich so gut zu informieren, so dass man schon vorher weiß, was vielleicht wo, mit wem und natürlich nicht zuletzt auch wann geschehen könnte? Man muss eben am besten alles wissen, denn dann weiß man auch, was man wissen will – selbst wenn man das so genau noch nicht immer weiß.

Das BKA will also mehr wissen und das am besten schon vorher. Und da es das 1951 wahrscheinlich noch nicht wollte (oder nicht so recht durfte konnte sollte?), muss es eben jetzt sein. Besser später als nie. Immerhin war es damals etwas einfacher, denn da wusste man doch so ziemlich genau was jeder wollte, nämlich nichts als Frieden. Und das ist eben heute anders. Heute muss man auf der Hut sein. Liest man, sieht man, hört man. Heute kann man nicht mal dem Frieden trauen.

Das klingt nach einem Gesetz, das für alle gut ist…

Die neue Gesetzesnovelle lässt Funken der Freude sprühen – und das gewaltig: „Koalition einig über neue Polizeibefugnisse“ vermeldet FAZ.NET am 10. Juni und: „Die Oppositionsparteien im Bundestag haben entschiedenen Widerstand gegen das BKA-Gesetz angekündigt, das dem Parlament am Freitag zur Ersten Lesung vorlag.“ Ja, das klingt wirklich nach einem Gesetz, dass für alle gut ist…

Und in diesen wohl klingenden Chor stimmt die Deutsche Polizeigewerkschaft auf ihrer Webseite auch noch ein: „Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) hat davor gewarnt, die in der Bundestagsdebatte geäußerten Zweifel an wesentlichen Inhalten des BKA-Gesetzes zu ignorieren und das Gesetz ohne ernsthafte Befassung mehrheitlich durchzusetzen. Einzelne Bestimmungen müssten verändert werden, wenn man nicht erneut beim Bundesverfassungsgericht scheitern wolle.“ Hm, und wer soll denn die ganze Arbeit machen? All die gesammelten, ausgewerteten, ein- und abgeschätzten Informationen ins reale Leben umsetzen? In den Dienstalltag?

Wer macht den Job?

Alles über alle alles wissen wollen ist ein 24-Stunden-12 Monate-für immer-Job. Klar, in so einen Computer gehen die gesammelten Erkenntnisse prima rein, aber wie kommen sie gescheit wieder raus? Eingabemasken sind bekanntlich von meditativer Geduldsamkeit. Und auch wenn der Computer die Daten kurz und klein rastert – in so einem Computer gehen manchmal seltsame Dinge vor.

Niemand der dem widersprechen könnte. Irgendwer muss aber was tun, muss Rückschlüsse ziehen, kombinieren und wissen, was er von all den Daten halten soll, die die Software her gibt, die die Kameras aufzeichnen und die die Herren Schlapphüte sammeln . Jemand muss vielleicht gaaanz schnell handeln. Die Polizei kann das anscheinend nicht, die Richter natürlich auch nicht (sind doch sowieso schon überlastet) aber das Amt kann so was. Und will es auch. Will die Informationen und die Freiheit für sich, sie zu nutzen und weiter zu ermitteln. Just in Time sozusagen. Immerhin soll beim sog. Abhöraktionen ein so genanntes „Richterband“ mitlaufen.

Bock und Gärtner

Ironie der machtindustriellen Geschichte ist, das uns unsere Computer (die wir alle ja so sehr lieben) zum ethischen, aber auch ganz realen Verhängnis werden können. Denn sie sind letztendlich Bock und Gärtner, Wolf und Schaafsherde zugleich. Sie regieren alle Bereiche unseres Lebens, unserer Arbeitswelt und Freizeit. Und wenn wir nicht selbst vor ihnen sitzen, dann fahren wir mit ihnen Bahn oder Auto, kommunizieren durch sie, vertrauen uns ihnen an, lassen uns von ihnen beobachten, versickern immer mehr in ihnen. Während sie uns unsere Arbeit in den Fabriken und Büros streitig machen, und alle unsere Abläufe prüfen, regulieren und mechanisieren.

Jaaaaa… wir sind schon alle da – schon lange. Gemustert, gerastert, ausgewertet und verschlagwortet. Die Zeiten des Mikrozensus, der Volkszählung mit ihren doofen Haustürbesuchen ist vorbei. Heute sind wir viel freier – irgendwie – und machen nicht mehr so zu. Dank Web 2.0, Flickr, MySpace, YouTube, Facebook, StudiVZ und wie sie alle heißen, können wir uns öffnen und mehr über uns erzählen als jemals jemand wissen will. Mit Kundenkarte, Kreditkarte, Krankenkarte, Postkarte, Steckkarte hinterlassen wir eine Spur der Redseeligkeit die auf zu sammeln kein Kunststück ist. Wen kümmert es also, wenn sowieso öffentlich gemachtes öffentlich wird?

Irgendwie alle, oder fast alle

Noch nie zuvor waren unsere Herzen so offen und unsere Köpfe so gläsern wie in der heutigen Zeit. Da kann man schon mal aus den Augen verlieren, wo überall unsere Daten hin wandern und vielleicht anderswo als Matrix wieder zusammen gesetzt werden. Und man möge nicht glauben, dass der Staat mehr von uns weiß als die Wirtschaft ohnehin. Der Unterschied ist, dass die Wirtschaft uns in erster Linie als Konsumenten durchleuchten will (also Wege sucht, um uns das Geld aus der Tasche zu ziehen) und der Staat eben als Individuen (um uns das falsch gesonnene Fell über die Ohren zu ziehen?) Vielleicht gehört auch beides irgendwie zusammen, denn so genau lassen sich die Interessen wohl nicht mehr trennen.

Ein Torfkopf wer glaubt, es bräuchte keine Geheimdienste. Doch ein größerer Tor wer annimmt, man könne sich darauf verlassen, dass der hier gewünschte Kompetenzrahmen für alle Zeiten im Rahmen der Redlichkeit ausgeschöpft würde. Was, wenn sich die Umstände ändern, die Interessen oder auch die Möglichkeiten? Was, wenn die Machtfülle – später, nicht heute – von neuen Akteuren missbraucht würden, die heute noch gar nicht auf der Bildfläche erschienen sind? Was wenn diese Verquickung von Geheimdienst und Polizei abermals über das Ziel hinaus schießt und wieder mal selbst zum Risiko wird? So unklar und ungewiss die politische Lage heute ist, so unklar ist, wer sich in Zukunft über die neu gewonnene Macht freuen wird.

Schau mir in die Augen

Schon länger regt sich der Widerstand bei Datenschützern: Schon im August 2007 warnte der Chaor Computer Club: „Wie kürzlich bekannt wurde, ist die Online-Durchsuchung nur die Spitze des Eisbergs innerhalb der Planungen von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble zur Ausweitung der Überwachung der Bevölkerung. Dem Chaos Computer Club liegt ein anonym zugespielter Entwurf des neuen BKA-Gesetzes vor.

Darin ist u. a. vorgesehen, dass der Einsatz des Bundestrojaners auch ohne die Genehmigung eines Richters erfolgen soll, der normalerweise bei einem Grundrechtseingriff dieser Art obligatorisch ist. Durch die weitgehenden Befugnisse für die Ermittler entsteht der Eindruck, der Bundesinnenminister ignoriere die Vorgaben des Grundgesetzes vollständig.“

Den kompletten CCC-Text findet man hier.
Infos zu den datenschutzrechtlichen Bedenken findet man hier:

Und das letzte Wort hat der Bundesdatenschützer Peter Schaar: „Wir sind auf dem Wege in eine Gesellschaft, die normales Verhalten aufzeichnet und speichert. Der Dammbruch ist mit der verdachtsunabhängigen Vorratsdatenspeicherung geschehen.“

Quellen:
Bundesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit
Datenschutz.de
BKA-Gesetz bei Wikipedi