„Die Krise ist wie ein Fermentierungsprozess“, sagt Filmemacher Nikos Katsaounis über den Wertewandel in Griechenland

Letzten Sommer trafen sich in Griechenland Journalisten, Fotografen, Filmemacher und Künstler, um ihre Sicht auf die Krise zu dokumentieren. Die ersten Ergebnisse kann man unter www.theprism.tv sehen

Was hat der Anstieg von Autounfällen um 3.5 Prozent mit der Schuldenkrise Griechenlands zu tun? Unsere Medien diskutieren den drohenden Staatsbankrott rauf und runter. Unsere Politiker greifen das Thema auf und machen Schlagzeilen. Und wir, wir machen uns Gedanken was die zig Milliarden für unsere Steuererklärung, Rentenansprüche oder vielleicht auch Zinsen bedeuten mögen… Doch wie sieht es in Griechenland wirklich aus? Was denken und fühlen die Menschen? Sind sie wirklich so faule, prinzipienlose Egoisten? Nein, die Krise beinhaltet auch einen positiven Wandel finden die Filmemacher Niko Katsaounis und Nina Maria Paschalidou. Sie haben deshalb ein eindrucksvolles Filmprojekt ins Leben gerufen, zu dem wir sie befragt haben.

Nikos Katsaounis ist Grieche, lebt aber als Dokumentarfilmer und Web-Developer in New York City. Seine Freundin Nina Paschalidou ist ebenfalls Griechin, Dokumentarfilmerin und Journalistin, lebt jedoch in Athen. „Nachdem letztes Frühjahr drei unschuldige Menschen – darunter eine schwangere Frau – während der Unruhen bei lebendigem Leib verbrannt sind, hatte  ich das Gefühl den Kontakt zu unserem eigenen Land verloren zu haben“, erinnert sich Nikos. Das habe den dringenden Drang nach einer Wiederannäherung zur Folge gehabt, meint er.

Radfahren kann in Athen lebensgefährlich sein. Doch eine Gruppe von Guerrilla-Radlern fordert ihr Recht auf öffentlichen Raum.

Also orga­ni­sier­ten er letz­ten Som­mer ein Sym­po­sium (www.symposium2010.gr), zu dem Jour­na­lis­ten, Fil­me­ma­cher, Desi­gner, Web-Developer, Künst­ler und andere krea­tive Men­schen ein­lu­den (dar­un­ter übri­gens in der Szene der Inter­ac­tive Artists so bekannte Men­schen wie Jona­than Har­ris oder Joel Gethin Lewis) – und auch Nina, die in der Folge mit Nikos »The Prism« for­cierte. Die Idee: Die bei­den woll­ten gemein­sam Ideen für eine jour­na­lis­ti­sche Doku­men­ta­tion der Ereig­nisse ent­wi­ckeln. Sie woll­ten jen­seits der Mainstream-Medien zei­gen, was die Grie­chen während der Krise bewegt – und wohin sich das Land bewe­gen kann oder sollte.

Yagos ist griechischer Musiker und lebt auf dem Berg Psiloreitis, auf dem Rea Zeus gebar. Im Film schildert er seine Sicht auf Banken, Wirtschaft und das Leben

Heute steckt die Truppe mitten in der Aufbereitung und Produktion des Materials – immer mit dem Wunsch, die Geschehnisse der letzten Monate aus möglichst vielen, unterschiedlichen Blickwinkeln zu zeigen – und dabei auch neue Erzählformen zu finden. Erste, äußerst sehenswerte Ergebnisse kann man bereits über die Website www.theprism.tv anschauen. Später soll aus dem Material ein Film in Kinolänge entstehen. „Ich hoffe, dass sowohl Griechen als auch Nicht-Griechen so noch mal einen anderen Blick für und ein tieferes Verständnis von Griechenland bekommen“, erklärt Nikos das Ziel der Initiative.

Doch das Projekt hat den Machern selbst schon jetzt eine Menge gelehrt: „Es ist nicht immer einfach, etwas mit so einer Gruppe von extrem talentierten, aber auch eigensinnigen Menschen zusammen zu machen – denn griechische Fotografen arbeiten eigentlich nie gemeinsam an einem Projekt“, so Nikos über die Herausforderungen von »The Prism«. Doch die Projektarbeit hat den meisten gezeigt, wie inspirierend der Austausch über Techniken und Arbeitsweisen sein kann. „Manche arbeiten deshalb heute auch an anderen Projekten gemeinsam“, berichtet Nikos stolz.

Was bewegt die protestierende, zum Teil gewalttägige Jugend Griechenlands. Der Film stellt fragen – und lässt die Demonstranten selbst zu Wort kommen.

Und so zeigt sich, dass die Krise in Griechenland nicht nur ihre negativen Spuren hinterlässt. Im Gegenteil: „Die Krise ist wie ein Fermentierungsprozess: es stinkt vielleicht und erscheint beängstigend und ecklig – aber letztlich wird dadurch etwas Neues entstehend, eine Transformation stattfinden“, so Nikos. Seiner Erfahrung nach haben Menschen in einer Krise im Grunde zwei Möglichkeiten: „Entweder man protestiert und versucht den unvermeidlichen Wandel auzuhalten – oder man findet Gleichgesinnte und findet in kreativer Kollaboration neue Paradigmen“.

Und genau das will die Gruppe um Nina und Nikos erreichen: den Menschen zeigen, dass man mit Kreativität und Solidarität auch in schlechten Zeiten etwas so Sinnvolles und Schönes erstellen kann wie die Filme von »The Prism«. Übrigens: Der Kinofilm soll dann im Herbst erscheinen und wir drücken natürlich die Daumen, dass er es auch in die Deutschen Kinos schafft!

Auf dem Weg zum Athener Flughafen kommt man neuerdings an Zeltstätten vorbei. Hier wohnen Sintis. Der Film zeigt ihr Leben, ihre Hoffnungen und Träume.