Digitale Gewalt und Hass im Netz nehmen zu. Betroffen sind vor allem Menschen, die sich politisch engagieren – seien dies nun Politiker:innen, Aktivist:innen, Journalist:innen oder Influencer:innen. Digitale Gewalt schadet der Demokratie. Daher haben wir recherchiert: Wie schütze ich mich vor digitaler Gewalt? Und was kann ich gegen Hass im Netz tun?
Ich weiß noch genau, wie ich das erste Mal mit digitaler Gewalt konfrontiert war. Seit 2007 bloggen Marek und ich schon für eine bessere Welt. Und ich habe mir eigentlich nie Gedanken darüber gemacht, dass mir Hass im Netz begegnen könnte. Wir sind doch für etwas Gutes … Dann hatte ich ein Youtube-Interview mit einer engagierten Frau von der Organisation „Pink stinks“ gemacht. Kurz nach der Veröffentlichung auf YouTube ging es los: es kamen Kommentare voller sexualisierter Gewaltphantasien. Ich war damals vollkommen vor den Kopf gestoßen. Immer wieder habe ich die Kommentare gemeldet. Gelöscht. Gemeldet. Gelöscht. Es war einfach nur verstörend.
Politisch engagierte Frauen sind besonders von digitaler Gewalt betroffen
Seit dem beschäftigt mich das Thema. Nun hat die Organisation HateAid die Studie „Angegriffen & alleingelassen: Wie sich digitale Gewalt auf politisches Engagement auswirkt“ veröffentlicht, in der sie darüber berichtet, wie politisch engagierte Menschen von digitaler Gewalt betroffen sind. Das geht laut HateAid so weit, dass digitale Gewalt in Deutschland einen signifikanten Einfluss auf das politische Engagement in Deutschland hat.
Hass im Netz ist für politisch Engagierte so eine Art Grundrauschen, das nachweislich unserer Demokratie schadet. Denn viele Betroffene verändern ihr Kommunikationsverhalten im Netz. Sie passen ihren Ton an, äußern sich verhalten und/oder seltener. Sie vermeiden öffentliche Auftritte oder ziehen sich gar ganz aus dem Sozialen Netz zurück. Sie schränken ihren politischen Wirkungsradius ein. Sie werden leiser oder verstummen sogar.
Unter anderem auch, weil digitale Gewalt auch ins Analoge überschwappen kann. Zumindest berichten laut der Studie von HateAid vor allem diejenigen von analogen Gewalterfahrungen, die auch Hass im Netz erfahren haben. Noch will die Mehrheit der Befragten ihr politisches Engagement nicht einschränken. Doch vor allem Frauen entmutigt, frustriert und ängstigt digitale Gewalt. Fast ein Viertel aller politisch engagierten Frauen, die schon mal Hass im Netz erlebt haben, überlegt, aus ihrem politischen Engagement auszusteigen. Und das, obwohl Frauen in Parlamenten und Parteien ohnehin schon unterrepräsentiert sind.

Wie kann die Gesellschaft digitale Gewalt bekämpfen?
HateAid stellt in seiner Studie eine Reihe von politischen Forderungen, um politisch engagierte Menschen vor digitaler Gewalt besser zu schützen bzw. sie besser zu unterstützen, wenn sie Hass im Netz erleben. Dazu gehört zum Beispiel, dass Parteien und Organisationen interne Anlaufstellen für Betroffene einrichten sollen, dass sie praktische, juristische Unterstützung geben müssen, dass sie diese Menschen vorbereiten sollen und dass genug Menschen in Akutsituationen solidarische Unterstützung geben.
Die Justiz braucht klare Zuständigkeiten und Ansprechpersonen, sie muss ihre Schutzmöglichkeiten besser ausschöpfen, sie muss eine konsequente und zeitnahe Strafverfolgung gewährleisten und soll Betroffene über den Ausgang des Verfahrens informieren. Die Social-Media-Betreibenden schließlich sollen die EU-Digitalgesetzgebung durchsetzen, einfache Meldewege und eine zügige Moderation gewährleisten, die Beweissicherung vereinfachen und bei Strafverfolgung besser mitwirken.
Prävention: Wie kann ich mich als politisch engagierter Mensch vor digitaler Gewalt schützen?
Es gibt eine ganze Reihe von Organisationen, die bei digitaler Gewalt beraten. Um digitaler Gewalt vorzubeugen empfehlen sie zum Beispiel:
- Prüfe deine Privatsphäre-Einstellungen auf den Social-Media-Plattformen. Stelle sie ggf. so ein, dass Außenstehende keine relevanten Privatdaten sehen können.
- Sichere die Anmeldungen von Emails und Social-Media-Accounts, in dem du lange, individuelle Passwörter und eine Zwei-Faktor-Authentifizierung verwendest.
- Unerwünschte Informationen über dich kannst du durch eine einfache Suche mittels Suchmaschinen aufstöbern und die Seitenbetreiber auffordern, diese Inhalte zu löschen.
- Lege Widerspruch bei Meldebehörden gegen deine Datenweitergabe ein. Diese dürfen sonst nämlich Daten z.T. weitergeben.
- Schütze dich vor Schad-Software, in dem du eine Emails von Unbekannten öffnest und schon gar keine Anhänge herunterlädst oder auf verdächtige Links klickst.
- Bereite dich in Rollenspielen u.a. vor. Die Organisation Love-Storm bietet viele Weiterbildungen gegen digitale Gewalt an. Unter anderem ein Rollenspiel, das du mit bis zu 5 Teilnehmenden kostenlos ausprobieren kannst (https://love-storm.de/online-trainingsraum/). Hier kannst du erproben, wie du reagieren würdest – und welche Folgen welche Strategie hätte.
Was tue ich, wenn ich digitale Gewalt erfahre?
Erst einmal ist wichtig festzuhalten: dich trifft keine Schuld, wenn du digitale Gewalt erfährst! Wenn du in akuter Not bist, dann kannst du folgendes tun:
- Du kannst deine Social-Media-Profile auf „privat“ stellen. So können andere keine persönlichen Daten mehr über dich recherchieren.
- Blockiere die Hater. Du kannst Personen auf Social-Media-Plattformen blockieren, sodass du keine Nachrichten von ihnen mehr siehst. Das kann bei einem echten Shitstorm natürlich aufwendig und total frustrierend sein. Die Organisation Aktiv gegen digitale Gewalt empfiehlt eine „Löschparty“, um mit anderen zusammen gewaltvolle Emails oder Kommentare zu löschen.
- Ändere deine Passworte zu deinen Konten. Nur für den Fall, dass einer deiner Accounts gehackt wurde.
- Dokumentiere die digitale Gewalt. Hier findest du Tipps, wie du rechtssichere Beweise sammelst (https://hateaid.org/rechtssichere-screenshots/).
- Melde die digitale Gewalt bei den Plattformbetreibenden. Alle Plattformen müssen solche Funktionen anbieten. Eine Liste von Tipps und Links findest du hier. Nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetzt (NetzDG) sind sie dazu verpflichtet, innerhalb einer bestimmten Frist zu reagieren, wenn du strafbare Inhalte wie Beleidigungen, Bedrohungen oder Verleumdungen meldest.
- Melde die digitale Gewalt bei der Polizei. Jedes Bundesland hat eine Online-Wache. Wähle 110. Oder wende dich an die örtliche Polizeitstelle.
- Suche dir Unterstützung. Das können Kolleg:innen, Familie oder Freunde sein. Unterstützung bietet aber zum Beispiel auch der Weiße Ring (Telefon: 116 006, https://weisser-ring.de/digitalegewalt). Auch HateAid bietet Betroffenenberatung (https://hateaid.org/betroffenenberatung/). HateAird bietet auch eine App (https://hateaid.org/meldehelden-app/).
- Begleitung und Schutz im analogen Raum. Falls du Angst hast, die digitale Gewalt könnte in die analoge Welt überschwappen, dann übernachte auswärts und/oder sorge dafür, dass du nicht alleine bist.
- Rechtliche Schritte unternehmen. Das Verbraucherschutzforum Berlin rät auch zu Unterlassungs- und Schadenersatzklagen, wenn Digitalgewalt deine Persönlichkeitsrechte verletzt, die Angriffe die öffentlich diffamieren und/oder du finanziellen Schaden dadurch erleidest.
- Dich und deine Gefühle ernst nehmen. Nimm dir Zeit, um dich mit damit auseinanderzusetzen, was die digitale Gewalterfahrung mit dir macht. Was brauchst du? Was genau verletzt dich? Welche Gefühle hast du? Wie könntest du dich in eine Situation bringen, in der du dich besser fühlst? Überlege dir, welche Strategie für dich passt: willst du eine Auszeit nehmen? Wer könnte dich unterstützen? Brauchst du Ablenkung? Oder willst du dich aktiv mit den Hatern und ihrem Hintergrund beschäftigen? Vielleicht zeigt dir das ja auch: du brauchst den Hass im Netz nicht persönlich nehmen …
Übrigens: Für Journalist:innen und Redaktionen bzw. Verlage gibt es eine umfangreiche Broschüre zu dem Thema „digitale Gewalt“ von neuemedienmacher.de.
Wie kann ich von digitaler Gewalt betroffenen Menschen helfen?
Sich gegen Hass im Netz zu äußern, verlangt genauso viel Zivilcourage, wie gegen Gewalt in der analogen Welt einzutreten. Und ebenso wichtig ist es, dass wir alle ein klares Zeichen gegen digitale Gewalt setzen, wenn wir sie im Netz wahrnehmen – auch und vor allem, wenn du nicht selbst davon betroffen bist.
- Schärfe deinen Blick für digitale Gewalt. Mach dich schlau, welche Formen von digitaler Gewalt es gibt und übe dich darin, sie wahrzunehmen. Besonders, wenn du nicht davon betroffen bist, erkennst du sie vielleicht manchmal nicht so leicht.
- Soll ich den Post melden? Handelt es sich um strafbare Posts (Beleidigung, Bedrohung, üble Nachrede, Nötigung etc.)? Oder verstößt der Post gegen die Netiquette? Dann kannst du die Posts beim Plattformbetreibenden melden. Dokumentiere die digitale Gewalt.
- Ist der Angriff so nicht einzuordnen – trifft aber dennoch? Dann mache dich zum Verbündeten der angegriffenen Person und übe dich in Gegenrede! Und zwar so:
- Zeige dich solidarisch mit Betroffenen und ihren Verbündeten. Like Kommentare der Gegenrede oder poste selbst einen solidarischen Kommentar.
- Bleibe gut gelaunt, locker und liebenswürdig. Lass dich dabei nicht provozieren. Verbreite Liebe statt Hass.
- Nenne Hass bei seinem Namen. Dennoch solltest du klar darauf hinweisen, dass es sich hierbei um Diskriminierung, Misogynie (Frauenfeindlichkeit), Homophobie (Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit) und/oder Rassismus handelt, wenn du entsprechende Kommentare siehst.
- Appelliere an den Menschen. Mach Hatern klar, dass auch hier ein Mensch mit Gefühlen am Bildschirm sitzt. Weise gegebenenfalls auch darauf hin, dass manche Aussagen rechtliche Konsequenzen haben können.
- Vermeide Diskussionen. Die bringen meist nicht. Kommentiere klar deine Meinung. Am besten mit Fakten unterlegt. HateAid empfiehlt, dies nicht mehr als dreimal bei einem Hasskommentar zu tun.

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