Es geht ans Eingemachte. Während unsere Politiker uns vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen noch weiß machen wollen, dass sich die Wirtschaft gerade eben wieder erhole und alles auf einem guten Weg sei, erleben wir in Europa eine ganz neue Qualität der Bürgerenteignung – anders kann man es gar nicht mehr nennen. Jetzt geht es nicht mehr um „systemrelevante Banken“, sondern um ganze Staaten die wir retten sollen. Der Fall Griechenland zeigt eindrucksvoll, dass die eigentliche Krise erst auf uns zu rollt. Denn nach der Finanzkrise kommt die Wirtschaftskrise. Am Ende könnte der Zerfall der gesamten Eurozone stehen – und damit auch ein politisches Chaos.

Die Griechen seien faul, korrupt und könnten nicht mit Geld umgehen… auf diesem Niveau diskutieren wir doch allen Ernstes die Pleite ihres Landes und das dadurch erforderliche erste Staatenrettungsprogramm im Euroraum. Jetzt ist es beschlossen, wird der Patient an den finanziellen Tropf gehängt, fließen Milliarden. Gelder die jedoch keinesfalls dem Griechen als solchen Hilfe leisten werden. Nein, es geht um die Verbindlichkeiten bei ausländischen Banken. Es geht wieder einmal um Geld für die Rückzahlung von Krediten die vom griechischen Staats aufgenommen wurden. Geld das  ganz einfach „aus der Luft geschöpft“ wurde, größtenteils von Banken die sich in privater Hand befinden. Der naheliegende Schluss, man könne doch diese Kredite einfach mal ein Jahr aussetzen, war zu keiner Zeit im Gespräch. Ein Ablauf der doch sehr an die Kreditvergabepraxis und Entwicklungshilfekonzepte erinnert, mit denen bereits komplette Staaten abhängig und politisch willfährig gemacht wurden.

In dem Buch „Bekenntnisse eines Economic Hit Man“ kann man sehr schön nachlesen – denn hier schreibt einer der Akteure – wie das funktioniert: Erst kommen die Berater (Economic Hit Man) in das Land und schwatzen den Staatsoberhäuptern Kredite auf und lassen ihnen beachtliche Provisionen zukommen. Die Länder werden eingeschätzt, geratet, und erhalten so die entsprechenden Konditionen für den Kapitaldienst. Das Geld der betreffenden IWF-assoziierten Banken wird natürlich nicht ans Volk verteilt, sondern wandert in ganz andere Kanäle, kommt den Firmen zugute die vor Ort die Maßnahmen umsetzen und natürlich ebenfalls in enger Verbindung zu den gebenden Institutionen stehen.

Irgendwann geht es dann an die Rückzahlung und hier kommt wieder das Rating ins Spiel. Denn wenn es sich um variable Kreditzinsen handelt und ebendiese Zinsen nicht wie geplant zurück gezahlt werden können, muss neues Kapital her, um die die Löcher zu stopfen. Die Rating-Agenturen stufen nun die Kreditwürdigkeit des jeweilige Landes ganz einfach herab, was sich auf die Zinshöhe weiterer Kredite auswirkt – so geschehen in Griechenland. Das Land ist in der Zange, muss Kredite auslösen, kommt aber an kein frisches Geld heran. In diesem Augenblick werden die großen auf den Plan gerufen und können sich als Retter in der Not aufspielen. Hier waren es der Internationale Währungsfond, die Europäische Zentralbank und Banken der Geberländer. Das Land wird für pleite erklärt und hat den Offenbarungseid zu leisten. Es fällt in die Hände der genannten Organisationen und muss nun eine Finanzpolitik betreiben wie von denen vorgegeben.

Der Finanzmarkt schläft auch nicht. Denn es kann genauso ein Geschäft sein, und ein recht großes dazu, Wetten auf den Bankrott der Länder abzuschließen und somit die Turbolenzen zu erschaffen, in deren Strudel das Land versinken wird.

Die PIIGS-Staaten folgen

So wie es aussieht, werden die Gelder nach Griechenland fließen  – über welche Organisationen auch immer – und sie werden das Unheil noch vergrößern. Zur Erinnerung: Es handelt sich um Verbindlichkeiten gegenüber Banken (übrigens teils denselben Banken die sich vor kurzem selbst noch haben retten lassen). Doch diese Hilfeleistung wird den Rating-Agenturen wie ein Startschuss erscheinen, sich nun die nächsten Staaten vorzunehmen. Seit einigen Wochen sind immer wieder auch Länder wie Portugal, Irland, Italien und Spanien (mit Griechenland bezeichnenderweise „PIGGS“, also „Schweine“ abgekürzt) im Gespräch. Länder die bereits wackeln, ebenfalls zu schlingern beginnen und damit zu Opfern internationaler Kapitaldienstleister werden könnten.

Mal stelle sich das noch mal im Zusammenhang vor: Erst erzeugen Rating-Agenturen (damals im US-Immobilienbereich) durch ihre absurden Einschätzungen von Ramsch-Immobilien die Voraussetzungen für eine Immobilienblase – die dann zerplatzt und weltweiten Schaden anrichtet. Und dann nimmt man sich die gebeutelten Länder einzeln vor, kassiert sie ein, legt sie an die Leine und gibt ihren Bürgern quasi den Status von Leibeigenen.

Der (wohl gewünschte) Seiteneffekt ist natürlich die Schwächung des Euros, welcher als Konkurrenzprodukt zum beherrschenden US-Dollar nicht gern gesehen ist.

Griechenland ist der erste Test

Die Frage ist, wie gehen die Griechen mit den zu erwartenden Auflagen der Kreditgeber um. Denn Sparen und Verzicht sind  angesagt. Was viele Deutsche nicht stört, hören sie doch fortwährend, dass die Schuld hausgemacht sei. Wer nur mauschelt, betrügt und ansonsten faul in der Sonne liegt, solle sich über die Restriktionen nicht wundern, sondern erst einmal lernen, was Anstand, Disziplin und ehrliche Arbeit sind. Warum da noch Mitleid haben?
Doch viel schneller könnten wir selbst um Hilfe anstehen. Sollte das Prinzip der innereuropäischen Solidarität auch bei weiteren Ländern zum Einsatz kommen, werden die Rating-Agenturen am Ende auch unsere Kreditwürdigkeit bemängeln. Kein Wunder: Immer sind unsere jetzigen Schulden auch nicht ohne. So könnte nach und nach, wie beim Domino, jedes Land in die immer hungrigen Rachen in der internationalen Finanzhaie fallen. Und es würde nicht lange dauern, da wäre Europa komplett fremdbestimmt. Die Folgen wären genauso absehbar wie fatal: Rund 500 Millionen Menschen, die Einwohner der Europäischen Union, müssten den Zerfall ihrer Infrastruktur, den Ausverkauf an die internationalen Konsortien und damit auch den Niedergang gesellschaftlicher Strukturen tatenlos zusehen.

Griechenland ist daher nur ein Test… Werden die Menschen auf die Straße gehen, sich wehren und aufbegehren? Oder fügen sie sich in ihr Schicksal, so wie sie es in den letzten Jahrzehnten als Teil der Konkurrenzwirtschaft gelernt haben? Richtet sich ihr Zorn gegen ihre Politiker? Gegen die Banker? Gegen IWF, EZB und EU? Oder womöglich nur gegeneinander. Dies wird sehr genau beobachtet, denn wenn der Coup in Griechenland gelingt und die Menschen sich fügen, sollte es bei den nächsten Ländern auch funktionieren.

Von Deutschland ist nicht allzu viel Widerstand zu erwarten. Die Deutschen sind es nun mal gewohnt, sich lieber um Gartenzaungrenzen zu prügeln oder Falschparker aggressiv anzugehen, als sich zur Wehr zu setzen. Selbst wenn sie so offensichtlich angegriffen und abgezockt werden. Lieber nicht auffallen, lieber mit den Wölfen heulen und jedes zurück ins Glied schubsen der aus der Reihe tanzt… Wer aufmuckt und die offensichtliche Ungerechtigkeit anprangert gilt dann als Autonomer, als Störer, als Linker, als verkappter Kommunist oder als Verschwörungstheoretiker. Das es hier erst einmal nur um die Gerechtigkeitsfrage geht, ist vollkommen schnuppe. Rückgrat ist nicht so gefragt in Deutschland. Da hakt man sich schon lieber untereinander die Augen aus.

Wenn man sich mal ganz entspannt anschaut, in welchen Ländern nicht gemauschelt, getäuscht und getrickst wird, dann wird man leider feststellen müssen, dass wir in Deutschland auch keine Engel sind. Nicht nur dass wir die ersten waren, die sich den berühmten „blauen Brief“ für überbordende Verschuldungen in Brüssel abgeholt haben. Das Schwarzbuch vom Bund der Steuerzahler ist voll der Geschichten über den verfehlten Umgang mit der Staatskasse. Und wenn man jetzt mal die Mauscheleien der letzten Jahre hier bei uns aufzählen würde, dann käme schon einiges zusammen. Das will man nicht so gern hören, doch der Begriff von der Bananen Republik Deutschland (BRD) kursiert bereits seit Jahren – unberechtigt? Doch wohl kaum…

Wie kommen wir raus aus der Nummer?

Manche sagen: „Werfen wir die Griechen doch einfach raus aus dem Euro!“. Bedenken die Fürsprecher auch, dass wir in logischer Konsequenz dann ebenso die nachfolgenden Staaten – und dann vielleicht auch uns selbst noch raus werfen müssten? Was geschähe dann? Würde sich diese Desaster nicht ebenso auf die gefühlte Einheit – von Brüssel doch stets beschworen und gefordert – auswirken? Würde nur die Währungsunion zerbrechen oder die gesamte europäische Gemeinschaft? Mal ehrlich… die Folgen wären nicht abzusehen. Sicher jedoch wäre die damit verbundene (und jetzt schon zu beobachtende) politische Krise die sich in einer europaweiten „Unruhe“ entladen könnte. Und dann? Polizei auf der Straße? Militär? Panzer? Mir scheint die Rauswurf-Strategie nicht durchdacht.
Warum nehmen sich die Regierungen nicht die Drahtzieher vor und nennen Roß und Reiter? Wollen sie nicht? Können sie nicht? Es scheint doch, als müsse auch hier das Problem an der Wurzel packen und in der Analyse tiefer gehen, als nur Ressentiments gegen Nachbarstaaten zu formulieren. So scheint es, als könne mal wohl von der politischen Kaste nichts zu erwarten. Denn sie waren es ja die den Finanzmärkten, dem Kapital, den Banken, diesen Machtzuwachs bescherten. Die Politik scheint komplett von diesen Kreisen abhängig, unfähig Courage zu zeigen und sich zu wehren. Ein Offenbarungseid der politischen Struktur an sich.

Bleiben nur die Bürger übrig. Werden sie sich wehren oder immer wieder aufs Neue ausplündern lassen? Denn wir sind es die die Zeche zahlen sollen. Wir, unsere Kinder und wohl auch noch unsere Enkel. Wie weit gehen Unterwürfigkeit, Wirtschaftshörigkeit und Konkurrenzdenken? Bis zum totalen Verlust der Eigenständigkeit? Wir werden unsere Infrastrukturen verlieren, unsere Souveränität, unsere nationalen Ressourcen und zuletzt unsere Zukunft. Im schlimmsten Fall wird uns diese Krise und ihre zukünftigen Auswirkungen noch das gesamte Jahrhundert beschäftigen. Wollen wir das? Machen wir das mit? Wo bleibt das: „Nein. Bis hierhin und nicht weiter!“?

Bildquelle:
Thorben Wengert, Pixelio.de