In einem interkulturellen Gemeinschaftsgarten wächst vieles, was wir in unserer Welt gut gebrauchen können: Gemeinschaft, Wissen, Verständnis, Umweltschutz und Artenvielfalt. Ein Streifzug durch den interkulturellen Garten in Hamburg-Wilhelmsburg.
Zehn Jahre ist es nun her, dass zehn Leute aus Wilhelmsburg die Idee hatten, einen interkulturellen Gemeinschaftsgarten zu gründen. Heute sind etwa vierzig Menschen aus 14 verschiedenen kulturellen Hintergründen Mitglied des Vereins. Auf dem Gelände am Veringkanal treffen sie sich zum Gärtnern, Grillen, Spielen und Plaudern. Ein faszinierendes Beispiel für gelungenes Urban Gardening einerseits – und für gelebte Interkulturalität andererseits.
Interkulturell nicht international
Die Idee eines interkulturellen Gemeinschaftsgartens ist eigentlich ganz simpel: Menschen unterschiedlicher Kulturen gärtnern gemeinsam, kommen sich dadurch näher und finden einen Ort des Austauschs, an dem sie voneinander lernen können. Dabei wollten die Wilhelmsburger*innen von Anfang an möglichst viele Kulturen zusammenbringen und so auch die Integration von Migrant*innen voran bringen.
Ein solches Miteinander gelingt besonders gut, wenn die Menschen gemeinschaftlich an einem Projekt beteiligt sind und sich für eine Sache interessieren – zum Beispiel die Gartenarbeit. Wenn die Mitglieder dann auch noch Wissen über ökologischen Anbau austauschen können, ist das doch genial.
Dabei nannten die Gründer*innen ihren Gemeinschaftsgarten bewusst „interkulturell“ – und nicht wie anderorts „international“, weil sie überzeugt sind: die kulturelle Vielfalt steht im Mittelpunkt und nicht die Nationenzugehörigkeit.
Tolle Idee – schwieriger Start
Doch die gute Idee zu leben war nicht ganz so leicht, wie es in der Theorie vielleicht klingen mag. Aller Anfang ist bekanntlich schwer. In Wilhelmsburg waren und sind vor allem dort ansässige Deutsche an dem Projekt interessiert. Menschen mit Migrationshintergrund für den interkulturellen Gemeinschaftsgarten zu gewinnen gestaltete sich dagegen schwieriger.
Zunächst engagierten sich neben den Deutschen auch viele türkischstämmige Menschen in dem Gemeinschaftsgarten. So kam es zwar zum Austausch zwischen diesen beiden Kulturen, jedoch wünschten sich die Gärtner*innen mehr kulturelle Vielfalt.
Eine Satzung über die Mitgliederherkunft sollte dies gewährleisten. Heute kommt ein Drittel der Gemeinschaftsgärtner*innen aus Deutschland, ein Drittel hat türkische Wurzeln und ein Drittel hat einen anderen kulturellen Hintergrund. Vor allem durch Mundpropaganda hat sich der interkulturelle Gemeinschaftsgarten in Wilhelmsburg herumgesprochen. Aber noch immer sind mehr Deutsche am Mitgärtnern interessiert – für die es dann nicht immer einen Platz gibt.
Familien und Einzelpersonen stellen sich vor
Interessierte Familien oder Einzelpersonen stellen sich zunächst einmal im Plenum und beim Vorstand vor. Wenn alles passt und gerade ein Platz frei ist, bekommen sie ein Beet, auf welchem sie anbauen können, was und wie es ihnen beliebt.
Alle Gärtner*innen ernten aus ihrem eigenem Anbau. Als Gemeinschaftsfläche gibt es aber auch ein Kräuterbeet. Zwischendurch gab es Probleme, weil Mitglieder sich an den Früchten anderer Beete bedienten. Mittlerweile haben aber alle gemeinsam Gartenregeln aufgestellt. Denn die interkulturelle Kommunikation ist bei dem Projekt ein wichtiger Bestandteil, den man nicht unterschätzen sollte. So haben die Wilhelmsburger Gärtner*innen mittlerweile einen Ort geschaffen, an dem sich alle wohlfühlen.
Ein Projekt mit Zukunft
Die Idee eines offenen Gemeinschaftsgartens für alle Menschen ist fabelhaft. Natürlich gibt es in der Stadt dafür nur begrenzte Flächen, sodass es immer mehr Interessierte gibt als Kapazitäten. Aber ist es wirklich nötig, den Zugang für mehr interessierte Türk*innen oder Deutsche zu verhindern, um möglichst viel Interkulturalität zu erlangen? Oder geht es nicht vielmehr um die Dynamik der Gruppe, ihre Offenheit für alle Interessierten?
Und wäre ein solcher Gemeinschaftsgarten nicht die perfekte Plattform, um auch nachhaltige Produktionssysteme interkulturell zu entwickeln? Um umweltschonende und sozialgerechte Anbauweisen wie Permakultur gemeinsam aufzubauen? Also wirklich global zu denken, dem Traum vom öko-sozialen Wandel etwas näher zu kommen? Und dabei eben nicht nebeneinander, sondern miteinander und füreinander zu gärtnern? Denn bislang scheinen die Beete wenig Thema des Austauschs zu sein – jede*r gärtnert und erntet für sich allein, nach seinem persönlichen Können und Belieben.
Jede interkulturelle Gartengemeinschaft muss sich damit wohl fragen, was ihr Hauptziel ist: Sollen möglichst viele Kulturen zusammenkommen? Stehen das Gemeinschaftsgefühl und die Gruppendynamik im Vordergrund? Geht es vor allem um die urbane Begrünung? Oder aber um die ökologische Nutzung von Land?
Drei Ziele Multikultureller Gärten
Und wenn alle drei Ziele – multikultureller Austausch, Gemeinschaft und ökologische Anbauweisen – gleichermaßen wichtig sind, handelt es sich wohl viel mehr um eine Utopie. Eine durchaus erreichbare Utopie übrigens von einem Ort, an dem die Menschen kulturelle und ökologische Diversität gleichermaßen leben können.
Auf der einen Seite die kulturelle Diversität durch die Interkulturalität der Mitwirkenden: ein*e jede*r kommt aus einem bestimmten gesellschaftlichen Hintergrund mit einem bestimmten Wissen und einer bestimmten Herangehensweise, mit einer eigenen Geschichte und persönlichen Ideen und Träumen. Durch das Thema „Garten“ ist ein Grundstein gelegt, um sich über Dinge auszutauschen. Und dabei wird niemand ausgegrenzt, alle sind willkommen und können eigene Erfahrungen und ihre Geschichte zu einem großen Ganzen beitragen.
Auf der anderen Seite wird die ökologische Diversität durch diese kulturelle Vielfalt eigentlich von selbst gegeben. Dabei könnte es vor allem um das Prinzip der Permakultur gehen: Die Anbauweise zielt auf ein landwirtschaftlich möglichst produktives Ökosystem mit großer Diversität und somit auch Widerstandsfähigkeit.
Permakultur und Einklang mit der Natur
Mit Hilfe von Permakultur können Menschen auch auf kleiner Fläche viel anbauen – zum Beispiel in einem städtischen Gemeinschaftsgarten. Außerdem geht es bei der Permakultur darum, der Natur ihren eigenen Lauf zu lassen und nichts zu erzwingen. Das menschliche Handeln wird eins mit der Natur. Die Menschen überwinden die Grenzen, die sie selbst aufgebaut haben. Einerseits zwischen den Menschen selbst, andererseits zwischen Mensch und Umwelt.
Denn woher wir auch kommen, aus welchem Land und aus welcher Kultur – wir alle sind Menschen auf der einen Erde. Und um diese Erde zu erhalten, sollten wir endlich anfangen, die Grenzen und Vorurteile in unseren Köpfen loszuwerden. Mit einem interkulturellen Gemeinschaftsgarten können wir auch einen Ort der Solidarität schaffen und lernen, zu teilen.
Das bietet große Chancen. Für viele Geflüchtete ist es zum Beispiel schwer, in Deutschland anzukommen. Durch einen Gemeinschaftsgarten können wir diesen Menschen zwar nicht annähernd eine Heimat geben, ihnen aber doch zumindest einen kleinen Raum zur Entfaltung bieten.
Für viele unserer heutigen Krisen gibt es Ideen, Initiativen, Lösungsansätze von Leuten, die sich eben nicht vor den Problemen verstecken. Anstatt sich immer nur aufzuregen, lautet die Devise: Handeln. Sozial und ökologisch – für eine bessere Welt.
Jede*r ist willkommen
In Wilhelmsburg klappt auf jeden Fall eines schon ganz hervorragend: Die Gemeinschaft. Auch, wenn es hierbei nicht unbedingt immer um’s Gärtnern an sich geht, sondern um den Austausch und gemeinsame Aktionen.
So kommen beispielsweise alle Mitglieder einmal im Monat zur Versammlung zusammen. Im Sommer treffen sich viele abends und an den Wochenenden zum gemeinsamen Grillen. Aber auch Ausflüge machen die Vereinsmitglieder ab und zu. So sind schon viele Freundschaften und glückliche Momente für die Hobbygärtner*innen entstanden.
Und auch für interessierte Besucher*innen ist der Gemeinschaftsgarten in den wärmeren Monaten jeden Sonntag geöffnet! Neue Impulse, Ideen und Aktionen von kreativen Köpfen sind auf dem Weg zur öko-sozialen Utopie immer gefragt.
Infos zum Interkulturellen Garten in Hamburg-Wilhelmsburg
Der Gemeinschaftsgarten liegt in der Veringstraße 147, in 21107 Hamburg- Wilhelmsburg – im Park am Veringkanal. Besuchen kann man ihn mit dem Metrobus Nummer 13. Dann steigt man an der Haltestelle „Krankenhaus Groß Sand“ aus. Weitere Informationen und Kontaktdaten findest du auf der Website des Gemeinschaftsgartens unter www.interkgarten.de.
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