Anja Banzhaf hat eine kleine Leidenschaft: Saatkörner. Seit Jahren beschäftigt sie sich damit, warum die Saatgutvielfalt rasant schrumpft. Im Interview nennt sie Hintergründe, zeigt Zusammenhänge und gibt Tipps für das eigene Vermehren von Saat.

Nach ihrem Geografie-Studium entdeckte Anja Banzhaf bald ihre Leidenschaft für das Thema Saatgutvielfalt. Gemeinsam mit anderen gründete sie einen Gemeinschaftsgarten in Göttingen. Sie engagierte sich politisch und sammelte praktische Erfahrungen in einer professionellen Saatgutgärtnerei. Vor rund zwei Jahre fing sie an zu recherchieren, durch Deutschland zu reisen und mit verschiedenen Garten- und Saatgut-Initiativen zu sprechen. Heraus kam dabei das wunderschöne Buch „Saatgut. Wer die Saat hat, hat das sagen“. Wir sprachen mit ihr.

Warum ist Saagutvielfalt eigentlich so wichtig?

Anja Banzhaf: Vielfalt ist generell wie das Immunsystem unserer Erde und unserer Landwirtschaft; in den Agrarsystemen sorgt sie für Stabilität. Wenn man sich zum Beispiel vorstellt, dass alle Felder in einer Region mit nur einer Sorte an Weizen bestellt sind, dann braucht nur ein Schädling aufzutauchen, der genau diese Weizensorte sehr gerne mag – und unter Umständen ist alles verloren. Wenn man aber ganz viele verschiedene Weizensorten anbaut, dann frisst der Schädling einen Teil davon, aber eben nicht alles.

Und das gilt nicht nur für Schädlinge, sondern auch für Trockenheitsphasen, Phasen mit starken Niederschlägen und für alle anderen Stressfaktoren, die negativ auf die Pflanzen einwirken. Denn durch eine große Vielfalt gibt es immer Sorten, die mit diesen Umständen besser zurecht kommen, als andere. Wenn wir an den Klimawandel mit seinen Extremwetterereignissen denken, werden Anpassungsfähigkeit und Stabilität durch Vielfalt von zentraler Bedeutung sein.

Daneben spielen die unterschiedlichen Anbaueigenschaften auch eine Rolle: Manche Sorten kann man ein bisschen früher aussähen, andere ein bisschen später. Die eine mag lieber sandige Böden, die andere mag es lieber nass. Und auch für unsere Esskultur und die Verarbeitungsmöglichkeiten ist die Vielfalt wichtig. Dinge wie Farbe, Konsistenz oder auch Kocheigenschaften bereichern unser Leben ganz einfach.

Das Saatgut kommt im Bewusstsein des normalen Menschen gar nicht vor. Warum eigentlich?

Anja Banzhaf: Ich kann mir das nur so erklären: Die meisten Stadtmenschen haben ohnehin wenig Zugang zur Landwirtschaft. Dass die Milch von der Kuh kommt, sieht man jedoch schon irgendwie. Zum Beispiel, weil man an einer Weide mit Kühen vorbeifährt oder sie im Fernsehen sieht. Doch Saatgut ist so klein und wird auch nie gezeigt. Dass da die Lebensmittel herkommen, die wir täglich essen, ist vielen vielleicht deshalb nicht bewusst. Doch wenn man es sich mal genauer überlegt, merkt man, dass es alle Lebensmittel nur gibt, weil es Saatgut gibt.

Warum ist die Vielfalt überhaupt in Gefahr?

Anja Banzhaf: Der Hauptpunkt ist das industrielle Agrarsystem. Für das maschinelle Säen, Anbauen und Ernten brauchen die Bauern einfacheinheitliche Sorten: Die Ernte muss zur gleichen Zeit bei allen Pflanzen reif und in etwa gleich groß sein, damit man sie mit den Maschinen gut ernten kann. Dem entsprechend ist Einheitlichkeit auch eines der Hauptziele in der Züchtung – aber natürlich auch ein Grund, warum Vielfalt verschwindet.

Dazu kommt, dass es in den letzten 100 Jahren in der Industrie der Saatguthersteller eine unglaubliche Konzentration gab. Etwa 75 Prozent des globalen Saatgutmarktes wird von nur zehn Unternehmen dominiert. Und diese Unternehmen versuchen natürlich ihre Marktmacht auszuweiten und unterdrücken dabei oft kleinbäuerliche Strukturen, das von Bäuerinnen und Bauern selbst produzierte Saatgut verschwindet. Das Ergebnis ist, dass weltweit ungefähr 75 Prozent der Kulturpflanzenvielfalt vernichtet wurde. In Deutschland sind es sogar bis zu neunzig Prozent.

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Aktionen zur Saatgutvielfalt

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Wie viele Arten und Sorten an Nutzpflanzen gibt es eigentlich?

Anja Banzhaf: Es gibt in meinem Buch eine Abbildung, die das mal ins Verhältnis setzt: Es sind weltweit zirka 250.000 Pflanzenarten bekannt. Rund 50.000 davon könnten wir für unsere Ernährung nutzen. Weltweit werden davon etwa 7.000 Pflanzen als Kulturpflanzen angebaut. Doch nur 30 Pflanzen decken 95 Prozent unserer Nahrungsenergie ab, davon drei Arten ganze 60 Prozent. Das sind Weizen, Mais und Reis. Also das ist ein wahnsinniges Gefälle zwischen der Vielfalt, die eigentlich möglich wäre, und der tatsächlich genutzten Anzahl an Nutzpflanzenarten.

Gibt es da auch einen Zusammenhang zu unserer Gesundheit?

Anja Banzhaf: Den gibt es. Und es gibt auch konkrete Untersuchungen dazu. Zum Beispiel zu der Frage, ob diese einheitlich gezüchteten Sorten auch weniger Nährstoffe haben.
Ich habe das zwar in meinem Buch ausgeklammert, weil das noch mal ein eigenes Thema ist. Aber es ist offensichtlich, dass unsere Gesundheit oder zumindest unser Wohlbefinden leidet, wenn wir uns einseitig ernähren.

Alleine, was man in der Umgebung an Wildkräutern entdecken könnte…

Anja Banzhaf: Ja, das stimmt. Die haben wir oft nicht auf unserem Speiseplan.
Was kann denn aber jeder einzelne von uns tun, um die Vielfalt zu fördern?
Anja Banzhaf: Das Wichtigste ist, sich das Thema überhaupt erst einmal bewusst zu machen: Ohne Saatgut gibt es kein Brot, keinen Pizzateig, kein Obst, kein Gemüse. Von diesem Punkt ausgehend lohnt es, sich zu informieren. Vielleicht kann man mal einen Schaugarten besuchen. Auch mit anderen Menschen darüber reden und diskutieren ist eine gute Möglichkeit, um das Thema sichtbar zu machen. Außerdem kann man auch mal im Supermarkt oder beim Gemüsehändler nachfragen, welche Sorten es da gibt. Vielleicht kann der seine Kisten beschriften, sodass man weiß, welche Paprikasorte da zum Beispiel vor einem liegt.

Und dann ist es natürlich wichtig, kleinbäuerliche Strukturen zu unterstützen. Also auf dem Wochenmarkt oder im Hofladen einkaufen, sich einer Solidarischen Landwirtschaft anschließen und ähnliches. Und ganz zentral ist auch, sich Saatgut von samenfesten Sorten zu besorgen und einfach selbst etwas anzubauen. Auch wenn es nur ein Salatkopf oder eine Tomatenpflanze auf dem Balkon ist. Dadurch bekommt man wieder eine Verbindung zu den Zusammenhängen. Und vielleicht fängt der ein oder andere ja dann auch an, selbst Saatgut zu produzieren. Je mehr Saatgut wir selbst gewinnen, desto weniger Kontrolle haben Saatgutkonzerne über uns.

Wir kompliziert ist es denn, selbst Saatgut herzustellen?

Anja Banzhaf: Viele Menschen haben da eine große Hürde im Kopf und denken, dass das super kompliziert wäre. Bei manchen Arten ist das auch so. Da braucht man spezielles Wissen und auch viel Platz, weil man eine bestimmte Anzahl von Pflanzen anbauen muss, die sich gegenseitig befruchten.

Aber bei ganz vielen Pflanzenarten geht das auch ganz einfach. Mit denen sollte man anfangen und herumprobieren. Wichtig ist, klein anzufangen. Wenn man gleich das Saatgut aller im Garten angebauten Arten und Sorten selbst vermehren will, dann wird man nicht weit kommen.
Also lieber erst mal ein oder zwei Kulturen vermehren. Etwa Bohnen, denn da ist das Saatgut ja das Gleiche, wie das, was wir essen. Oder auch Tomaten, die die Kerne ja in der Frucht haben. So bekommt man wahrscheinlich schon so viel Saatgut zusammen, dass man das zum Teil auch verschenken kann.

Stimmt, da gibt es ja die Saatguttauschbörsen…

Anja Banzhaf: Ja, die gibt es mittlerweile in vielen verschiedenen Städten: Stadtgärtner, Kleinbauern und Hobbygärtner, die ihr selbst vermehrtes Saatgut frei tauschen.

Hier ein Erfahrungsbericht von einer Hamburger Saatguttauschbörse

Und nun noch eine ganz andere Frage: Was bedeutet Opensource im Zusammenhang mit Saatgut?

Anja Banzhaf: Eigentlich sollte Saatgut ein Gemeingut sein, also uns allen gehören, immerhin hängt unser Leben davon ab. Aber dem ist nicht so. Die Agrarindustrie hat verschiedene Methoden entwickelt, wie sie sich Pflanzensorten aneignen kann. Eine davon sind geistige Eigentumsrechte, etwa in Form von Patenten oder dem in der EU geltenden Sortenschutz Zum Beispiel dürfen Bauern und Gärtner Saatgut einer geschützten Sorten nur nachbauen, wenn sie die Erlaubnis des Sortenschutzinhabers haben.

Auch müssen sie in der Regel Lizenzen an diesen zahlen. Dadurch steigt natürlich die Machtkonzentration. Denn die Firmen, die das meiste Geld haben, können auch die meisten Sorten eigentumsrechtlich schützen lassen. Und der Spielraum für Gärtnerinnen und Gärtner wird dadurch immer kleiner. Aus einer ähnlichen Situation heraus ist vor einigen Jahrzehnten die Idee der OpenSource-Lizenz entstanden. Sie stammt aus dem Bereich der Softwareentwicklung, wo es auch strenge Eigentumsansprüche von Unternehmen und sehr wenige Freiheiten für Entwicklerinnen und Entwickler gibt.

Eine Software unter einer Open Source Lizenz hingegen darf von allen weiterentwickelt und verändert werden, aber nur unter der Bedingung, dass das Ergebnis wieder unter derselben Lizenz weitergegeben wird. Die Open Source Lizenz ist auch ein Eigentumsrecht, aber dieses wird zur „Befreiung“ der Software umgenutzt. Nun gibt es verschiedene Initiativen, die überlegen, ob sich dieser Gedanke der Open Source Lizenzen auch auf Saatgut übertragen lässt. Dabei gibt es aber auch noch eine Reihe von offenen Fragen und Schwierigkeiten – es ist also ein spannendes Feld.

Vielen Bäuerinnen und Bauern auf der Welt widerstrebt zum Beispiel die OpenSource-Idee, weil auch diese Lizenz eine Form von Eigentumsrecht darstellt. Man müsste praktisch für alle Sorten, die man unter eine Open Source Lizenz stellen möchte, erst einmal den Sortenschutz beantragen, um sie dann wieder freizugeben. Das ist natürlich ein aufwendiger Prozess – und auch ein fragwürdiger, wenn man ja eigentlich gegen den Sortenschutz wirken möchte.

Doch ohne eine solche Lizenz bleibt das Problem, dass Sorten, die bisher frei sind – also auf die noch niemand einen Sortenschutz beantragt hat – von jedem, der das Geld für den Schutz aufbringt, beansprucht oder enteignet werden könnten. Also wenn Bäuerinnen und Bauern eine Sorte entwickelt haben, kann theoretisch irgendein Saatguthersteller diese Sorte für seine Züchtung weiterverwenden und dann Sortenschutz darauf anmelden. Es ist und bleibt also ein Feld voller Widersprüche, an dem gerade viel herum gedacht wird.

Danke Anja für das Gespräch!

 

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Saatgutvielfalt: Wer die Saat hat, hat das Sagen. Von Antje Banzhaf

Saatgut. Wer die Saat hat, hat das sagen

Anja Banzhaf
ISBN 978-3-86581-781-5
19,95 Euro

oekom Verlag (www.oekom.de)

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