Mit dem Üben von Mut kann man gar nicht früh genug anfangen. Das hat auch Nicola Schmid erkannt, die Gründerin der Plattform für „artgerechte Kindererziehung“ – und gibt Tipps.

Kinder können viel mehr, als Erwachsene vielleicht denken. Wer Nicola Schmids Buch „Mut. Wie Kinder über sich selbst hinauswachsen“ gelesen hat, weiß das. Es kommt eben immer auf die Erwachsenen an, die mit den Kindern zusammen sind: Ermutigen sie sie, Dinge einfach mal auszuprobieren – auch wenn’s vielleicht schief geht? Bringen sie ihnen Tricks und Kniffe bei, wie sie mit Angst umgehen können? Oder suggerieren sie ihnen durch allerlei Bedenken, eigene Ängstlichkeit und Unsicherheit, dass die Welt eigentlich voller Gefahren steckt und die Kinder es lieber den anderen – den Erwachsenen – überlassen sollen, sie vor all den Risiken zu bewahren?

Sechs Formen von Mut

In ihrem Buch beschreibt Nicola Schmid anschaulich und praxisnah in kleinen Geschichten aus ihrem eigenen Alltag mit Kindern, wie Erwachsene Situationen zulassen oder auch schaffen können, in denen Kindern Mut beweisen und üben können. Sechs verschiedene Formen von Mut, hat die Familientherapeutin und Autorin Lisa Dingate sowie die Kinderbuch-Autorin Jennifer Armstrong:

  1. Physischer Mut: Ob beim Zahnarzt oder beim Sprung vom 3-Meter-Brett, es gibt Situationen, da ist physischer Mut gefragt.
  2. Sozialer Mut: Wer in einer Gruppe als einziger etwas nicht kann oder anders macht, braucht sozialen Mut, um das einzugestehen bzw. dazu zu stehen.
  3. Intellektueller Mut: Vermeintlich selbstverständliche Dinge zu hinterfragen, die Dinge von einer anderen Seite zu betrachten und auch mal einzugestehen, dass man sich getäuscht hat, verlangt intellektuellen Mut.
  4. Moralischer Mut: Wer jemandem hilft, obwohl er es total eilig hat; wer sich an die Seite eines gemobbten Schülers oder Kollegen stellt, obwohl er/sie sich damit vielleicht selbst ins Abseits stellt, oder wer Versprechen einhält, auch wenn sie lästig werden, der beweist moralischen Mut.
  5. Emotionalen Mut: Seine Gefühle wahrzunehmen, sie zu zeigen und zu ihnen zu stehen, verlangt in unserer Gesellschaft, je nach Situation und Umfeld, auch ganz schön viel Mut.
  6. Spiritueller Mut: Er verlangt von uns, Unsicherheit und letztlich Unwissenheit auszuhalten. Uns den Fragen zu stellen, auch wenn wir keine beweisbaren Antworten finden können.

Mut will gelernt sein

Selbst denken zu lernen und Dinge zu hinterfragen, hält Nicola Schmid für einen ganz wesentlichen Bestandteil, wenn Kinder (aber auch Erwachsene) den Mut erlernen wollen. Bei Kindern (aber auch erwachsenen Freunden etc.) bedeutet das: Nicht gleich losflitzen und die Probleme anderer lösen wollen – sondern sie ermutigen, ihre eigenen Lösungen zu finden (auch wenn die von dem abweichen, was man selbst für richtig hält) und sie machen lassen.

Denn oft sind es die Situationen, die uns am meisten ängstigen, nerven, ärgern, verunsichern – bei denen wir also am meisten Mut zeigen müssen, wollen wir uns ihnen konstruktiv und lösungsorientiert nähern –, bei denen wir auch am meisten über uns und die Welt lernen können.

Zivilcourage entwickeln

Der Mut-Forscher Gerd Frey weiß: „Die wichtigste Strategie [um Zivilcourage zu lernen und zu üben]: Ich-Stärke und Selbstwertgefühl festigen, sich auf die Quellen couragierten Handelns besinnen, Kompetenzgefühl und Motivation durch Erfolgserlebnisse entwickeln. Dazu gehört die Überzeugung, allein oder mit anderen zusammen etwas bewirken, ein Ziel erreichen zu können (Selbstwirksamkeit)“.

„Kinder brauche Feingefühl, aus der heraus sie eine sichere Bindung entstehen kann, und Eltern, die ihnen mit Wertschätzung begegnen, ihnen Grenzen und Orientierung geben, ihnen Werte vermitteln und vorleben und sie frühzeitig zu selbständigem Entscheiden und Handeln ermuntern“, zitiert Schmid den Mut-Forscher weiter.

Mutprobenräume schaffen

Kinder, die Selbstwirksamkeit erfahren, sind die Kinder, die sich mehr anstrengen, länger durchhalten, ihre Aufgaben besser einteilen, Lösungen statt Probleme suchen, sich selbst besser einschätzen und Erfahrungen besser in Motivation umsetzen – kurz Menschen werden, die bereit sind sich für eine bessere Welt zu engagieren und sich dabei nicht so leicht entmutigen lassen 😉

Doch wie kann man diese Selbstwirksamkeit schaffen? Nicola Schmid gibt in ihrem Buch einige Tipps, wie Erwachsene sogenannte Mutprobenräume schaffen können, in denen Kinder ihre Selbstwirksamkeit erleben und verinnerlichen können. Das beginnt damit, dass man Säuglinge nicht schreien lassen sollte, so Schmid. Später sind es vor allem Gelegenheiten, bei denen Kindern Fehler machen oder gar scheitern dürfen, ohne dass sie sich deswegen als weniger liebenswert oder gut empfinden. Und es geht darum, die Kinder zu ermutigen, anstatt zu loben – letzteres bezieht sich nämlich nur auf den Erfolg, ersteres darauf, dass die Kinder überhaupt etwas probieren, versuchen, tun…

Fazit

Die vielen kleinen Geschichten aus der Praxis machen das prall mit Tipps gefüllte Buch zu einer unterhaltsamen Lektüre, die nicht nur Eltern von Kindern wichtige Einsichten und Erkenntnisse liefern kann – sondern auch Erwachsenen ohne Kindern (schließlich sind wir alle in unserem tiefsten Inneren auch noch Kinder ;-). Diese Erkenntnisse in die Tat umzusetzen ist sicherlich der schwierigste Teil – und den kann auch das Buch nicht abnehmen. Doch es kann einen auf den Weg schicken. Und schließlich ist hier, wie bei vielem, der Weg das Ziel.


Artgerecht Projekt

Unter www.artgerecht-projekt.de bloggen und berichten die beiden Journalistinnen Nicola Schmid und Julia Dibbern über „artgerechte“ Kindererziehung. Hier kann man sich auch in Sachen „Ermutigung“ auf dem Laufenden halten.


Bibliografische Angaben

Mut. Wie Kinder über sich hinauswachsen
Autorin: Nicola Schmid
ISBN 978-3-407-72715-2
Preis: 12.95 (Deutschland)
Verlag: Beltz Verlag

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