Wie dein digitaler Schatten dein Leben bestimmt. Mann vor seinem digitalen Schatten.

Wie dein digitaler Schatten dein Leben bestimmt

Daten, die über uns gesammelt werden, verzerren unsere Persönlichkeit und beeinflussen unser Leben ohne unser Wissen und Mitspracherecht – ein wachsendes Problem für Freiheit und Gerechtigkeit.

Heute morgen war ich einkaufen und wurde an der Supermarktkasse gefragt, ob ich Treuepunkte dabei hätte. Nö, hatte ich nicht. Will ich auch gar nicht. Warum sollte ich, nur für ein paar kleine Rabatt beim Einkauf, alles mögliche über mich preisgeben? Direkt nach mir kam ein Mann im Anzug dran, mit Großeinkauf. Der hatte sogar eine App dabei. Ein Schnäppchenjäger. Ich konnte nicht verstehen, warum das bisschen Bequemlichkeit oder die paar Cent Ersparnis so wichtig sind. Hier mal eine kleine Übersicht über die Daten, die so ein Supermarkt mit den Treuepunkte-Programmen und Bonuskarten abgreift:

  • Persönliche Daten bei der Anmeldung, z. B. Name, Adresse, E-Mail, Telefonnummer
  • Demografische Angaben wie Alter, Geschlecht, Familienstand, Haushaltsgröße
  • Einkaufshistorie inklusive Was, Wann, Wo (Filiale) und Wie viel gekauft wurde
  • Zahlungsinformationen und Einkaufswerte
  • Häufigkeit und Zeitpunkte der Einkäufe
  • Bevorzugte Produktkategorien und Marken
  • Nutzung von Coupons und Rabatten
  • Geräte- und App-Nutzungsdaten bei Teilnahme an digitalen Programmen
  • Möglicherweise Beruf, Einkommen, Hobbys (wenn angegeben)

Beim hastigen Einpacken musste ich unweigerlich an diese Volkszählung denken. Wann war das noch? 1987. An den Aufstand, den es damals gab, weil viele keine Lust hatten, ihre Daten herzugeben. Es gab sogar einen Slogan, der das Unbehagen auf den Punkt brachte:

Nur Schafe lassen sich zählen.

Und heute? Ein paar Treuepunkt hier, ein Gewinnspiel da, Bezahlen mit Kredit- und Kundenkarte, das Auto-Navi, der Fitness-Tracker, Smart-TV-Abende, Surfen im Internet oder einfach nur die Likes, Kommentare und geteilte Inhalte auf Social Media. Ganz schön viele Daten, die da zusammenkommen. Und sie reichen aus, um ein komplettes Abbild unserer Persönlichkeit zu erstellen. Unser Kaufverhalten zu protokollieren, Standort-, Bewegungs- und Gesundheitsdaten zu sammeln, Kontakte, persönliche Vorlieben, Meinungen, Überzeugungen und Konsumverhalten. Und alles das zu einem digitalen Schatten, einem Abbild von uns, zusammenzufügen.

Du fragst dich vielleicht was das jetzt mit einer besseren Welt zu tun haben soll? Ist doch so schön bequem. Fortschritt. Moderne Welt. Alles ganz normale Informationen. Keine Gefahr. Dann lies bitte weiter. Mir geht es um eine Grundidee, eine Haltung. Die Frage, ob es wirklich so normal ist, sich Vergünstigungen mit Informationen über sich selbst zu bezahlen. Denn es bleibt ja nicht beim Supermarkt. Daten sind das neue Gold und alle wollen sie haben. Es kommt doch darauf an, wer sie sammelt und wofür … Und ob er gerade dabei ist, eine bessere Welt zu schaffen oder vielleicht genau das Gegenteil.

Deine Daten für eine schlechtere Welt?

Schon heute entscheiden die über uns gesammelten Daten an unterschiedlichsten Stellen über uns Leben. Stell dir vor, du bewirbst dich für eine Wohnung oder einen Kredit. Doch statt deiner Persönlichkeit entscheidet eine digitale Repräsentation von dir über deine Chancen. Alles was du sonst so tust und bist wird geprüft. Was gar nichts mit der Vermietung oder der Bank zu tun hat, und was eigentlich rein deine Sache ist.

Dieser digitale Schatten (auch bekannt als „digital footprint“) entsteht automatisch, ohne dein aktives Zutun, durch das Hinterlassen von Daten bei deinen Online-Aktivitäten, Einkäufen, der Nutzung von Apps. Er bildet eine virtuelle Version von dir, mit der Firmen, Behörden und Plattformen dich ständig überwachen und bewerten. Ich überlege mittlerweile drei Mal, bevor ich meinen Schatten füttere. Ich will das nicht. Denn ich weiß nicht, wo die Daten irgendwann mal landen und wer sie in Zukunft für was auch immer braucht.

Ich werde grollig, wenn mir ganz normale Dinge verwährt werden, weil ich eben nicht alles teilen will. Ich finde die folgenden Beispiele sind beunruhigend, da keines von ihnen aus meiner Sicht die Welt besser macht.

Polizeibehörden erstellen mit Software wie Palantir digitale Profile, die zu falschen Verdächtigungen führen können. So wurde ein junger Mann aufgrund eines algorithmisch generierten Profils fälschlich als potenzieller Krimineller eingestuft. Obwohl keine belastbaren Beweise vorlagen. Dies führte zu erheblichen Einschränkungen seiner Freiheit und zu sozialer Stigmatisierung. Tagesschau, „Palantir in Deutschland: Einsatz und Kritik“ (2023) [1].

Bei Zalando sorgte das Bewertungssystem „Zonar“ dafür, dass Tausende Beschäftigte aufgrund von digital erfassten Daten gegenseitig bewertet wurden. Diese Bewertungen beeinflussten Lohn, Beförderungen und erzeugten hohen Leistungsdruck sowie eine verschlechterte Arbeitsatmosphäre [2].

In Österreich zeigte eine Studie von Cracked Labs 2021, dass digitale Überwachung in Unternehmen zu Stress, vermindertem Vertrauen und sinkender Arbeitszufriedenheit führte. Die umfassende Datenerfassung greift tief in die Rechte der Beschäftigten ein und führt oft zu Fremdsteuerung und Kontrollverlust [3].

Der digitale Schatten wächst immer weiter

Es ist wie in der Filmkomödie „Der kleine Horrorladen“, wo jeder Tropfen Blut eine fleischfressende Pflanze weiter wachsen und noch hungriger werden lässt. So wie der verzweifelte Angestellte Seymour sie immer weiter nährt und ihr Hunger unersättlich wird, füttern wir den digitalen Schatten mit Daten, der dadurch unaufhaltsam wächst und immer mehr Kontrolle fordert. Seymour tut es aus Verzweiflung, weil er sich von der Pflanze Vorteile erhofft, etwa Anerkennung, Erfolg und Liebe, und dabei alle Gefahr ausblendet. Und wir?

Ich stelle mir immer vor, wohin die Datensammelwut wohl noch führen wird. Und es ist kein Science Fiction. Schon heute ist die Technologie extrem ausgereift, finden so viele Entscheidungen aufgrund von Datenanalysen statt, die mit dem „echten Leben“ nichts mehr zu tun haben. Und die digitale Repräsentation wird nicht nur aus harmlosen Klicks gebildet, sondern durch komplexe Algorithmen, Datenverknüpfungen und Künstliche Intelligenz. Big Tech, staatliche Einrichtungen, Polizei, Unternehmen, alle sammeln emsig, verknüpfen und bewerten sie, meist ohne dein Wissen oder Mitspracherecht.

In China bestimmt das Sozialkreditsystem, basierend auf digitalen Profilen, das tägliche Leben der Bürger – von Freundschaften bis hin zur Wohnungssuche [4]. Wo ist da noch Platz für das Individuum, das Spontane, für andere Meinungen, Ideen und Hoffnungen? Für einen starken, öffentlichen Diskurs? Für Opposition und das Ringen um die besten Lösungen für eine bessere Welt?

Aber auch in Deutschland wächst die Überwachung durch digitale Schatten, mit erheblicher rechtlicher Unsicherheit. So hat eine Pilotstudie vom Max-Planck-Institut über die „Überwachungsgesamtrechnung“ 2024 als Lehre formuliert, dass die digitale staatliche Überwachung in Deutschland komplett neu aufgestellt werden müsse. Maßnahmen müssten registriert und dokumentiert und zumindest innerbehördlich transparent gemacht werden [5]. Ich dachte, das wäre schon der Fall!

„Die Freiheit des Menschen wird im Digitalen verspielt


(Bischof Gebhard Fürst, Vorsitzender der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz [6])

Wenn dein Schatten in falsche Hände fällt

In einem Zeitalter, in dem alles über dich gesammelt wird, wird immer häufiger unbemerkt über deine Chancen oder Verstöße entschieden. Das betrifft die medizinische Versorgung, Beschäftigung oder gesellschaftliche Teilhabe. Ist aber zunehmend auch eine Gefahr die Demokratie, weil die umfangreiche Sammlung und Verknüpfung persönlicher Daten einerseits die Privatsphäre massiv einschränkt und andererseits autoritären Akteuren oder Unternehmen ermöglicht, Menschen gezielt zu überwachen, zu kontrollieren und Einfluss auf politische Meinungen zu nehmen. Dies kann zu einer Verlagerung von Macht zugunsten weniger führen.

Was ist, wenn alle heute gesammelten digitalen Daten in die Hände einer demokratiefeindlichen Institution oder Regierung gelangen? Solche Akteure könnten gezielt Oppositionsgruppen unterdrücken, die Privatsphäre massiv verletzen und durch gezielte Desinformation und Manipulation die Demokratie destabilisieren. Ein „digitaler Autoritarismus“, der durch die Nutzung von Datenmacht autokratische Herrschaftsstrukturen verstärkt und Freiheitsrechte bedroht. Ein ausführlicher wissenschaftlicher Beitrag dazu findet sich im Verfassungsblog des Max-Planck-Instituts [7].

All dies macht deutlich: Wer die Kontrolle über seinen digitalen Schatten hat, kann sich besser gegen Diskriminierung, Überwachung und Manipulation schützen. Die Gefahr besteht jedoch darin, dass die Schatten zunehmend automatisiert und unverstanden in Algorithmen zusammenfließen. Ich habe ein mulmiges Gefühl, was das betrifft und damit begonnen, mir Schritte zu überlegen, wie ich meine Schatten möglichst klein halten und das System dahinter schwächen, zumindest bremsen kann. Traurig, dass so viele Menschen die Gefahr einfach nicht sehen wollen. So wie der Angestellte aus dem Blumenladen Seymour bei seiner hungrigen Pflanze.


Fünf mutige Schritte gegen den Missbrauch deiner Daten

  1. Gib deine Daten nicht her, denn es muss nicht sein. Sind ein paar kleine Rabatte oder andere Vergünstigungen es wirklich wert, dass du alles Mögliche über dich preisgibst und damit deinen digitalen Schatten immer weiter vergrößerst?
  2. Informiere dich über die Verwendung deiner Daten, wenn du es nicht genau weißt. Frage nach und wenn die Verwendung unklar ist oder dir eigenartig vorkommt, dann lass es bleiben. Wer deine Daten haben will, ohne genau zu sagen, was er damit vorhat, sollte leer ausgehen.
  3. Organisiere dich in zivilgesellschaftlichen Bewegungen wie Digitalcourage [8] oder den Chaos Computer Club [9). Gemeinsam können wir Druck auf Politik und Wirtschaft aufbauen, um Datenschutz und Kontrolle zurückzugewinnen. Digitalcourage veranstaltet übrigens am 10.10. wieder die BigBrotherAwards – die Oscar-Verleihung für Datenkraken (lohnt sich) [10].
  4. Setze dich für Gesetze ein, die den digitalen Schatten regulieren. Das Grundrecht auf Datenschutz und Privatsphäre muss endlich gesetzlich verankert und wirksam durchgesetzt werden. Ein aktuelles Beispiel zum Thema Chatkontrolle findest du hier [11]. Schau genau hin: Ohne klare Regeln wächst dein Schatten unkontrolliert.
  5. Nutze und fördere datenschutzfreundliche Technologien. Unterstütze Open-Source- und dezentrale Projekte, die dich vor Überwachung schützen. So baust du eine digitale Infrastruktur, in der Freiheit und Selbstbestimmung im Mittelpunkt stehen, nicht Kontrolle und Überwachung. Hier zwei Beispiele, einmal für den Datenschutz im Betrieb [12] und einmal im Heimbüro [13].

„Der Schutz personenbezogener Daten muss konsequent gestärkt werden, um Technologien wie Künstliche Intelligenz und Cloud-Dienste datenschutzkonform nutzen zu können.


(Isabelle Stroot, Referentin Datenschutz, Bitkom e.V. [14])

Eine bessere Welt ohne digitale Schatten?

Ganz ohne wird es nicht gehen und ich kann mir viele Verwendungszwecke für gesammelte Daten vorstellen. Vor allem in einer besseren Welt. Stell dir eine Welt vor, in der dein digitales Ich dir gehört, kontrolliert und nur für dich genutzt wird. In dieser Welt entscheidest du, welche Daten du teilst, mit wem und zu welchem Zweck – ganz bewusst und transparent. Jede Nutzung deiner Daten geschieht nur mit deinem Wissen und deiner aktiven Zustimmung, sodass deine Privatsphäre und deine Rechte jederzeit gewahrt bleiben.

Deine Daten werden nicht missbraucht, schon gar nicht von politischen Gruppierungen oder anderen Akteuren, die versuchen, die Demokratie auszuhöhlen oder gesellschaftliche Spaltungen zu vertiefen. So wird Technologie zum Werkzeug für deine Selbstbestimmung und ermöglicht dir zugleich, von den Vorteilen digitaler Innovationen zu profitieren, ohne deine Freiheit oder die demokratischen Grundwerte zu gefährden.

Wenn wir nur die 3,5 Prozent der engagierten Menschen mobilisieren und sie sich gegen den Missbrauch ihrer Daten einsetzen, könnte der digitale Schatten zum Werkzeug für soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Freiheit werden – nicht für Überwachung, Macht und Ausgrenzung. Ich werde auf jeden Fall weitermachen, denn eine bessere Welt ist für mich eine Welt, in der digitale Selbstbestimmung und demokratische Integrität unantastbar sind. Gemeinsam können wir die Kontrolle über unsere Daten und unser Leben zurückgewinnen!

Quellen / Links:

Marek

ist freier Medienmacher und Rebell – ein unbequemer Fragesteller und leidenschaftlicher Geschichtenerzähler. Schon als Kind zog er mit Bleistift und Neugier los, um die Wahrheit hinter den Fassaden zu entdecken. Heute kämpft er gegen die Scheinwelten aus Manipulation, Spaltung und Oberflächlichkeit. Mit rebellischem Geist und klarem Blick berichtet er über die Themen, die unsere Zukunft formen: digitale Freiheit, gesellschaftlichen Wandel, echte Gemeinschaft und lebenswerte Zukunft. Sein Antrieb: Menschen zu inspirieren, zu motivieren und gemeinsam eine bessere Welt zu schaffen.

2 Kommentare

  • Würden die Datensammler (wie z.B. Google, Meta, die ganzen Supermarktkonzerne, etc.) die Daten nicht digital und damit unbemerkt sammeln, sondern es stünde jemand regelmäßig vor der eigenen Tür (wie bei der Volkszählung 1987) und fragte genau nach den Daten, die wir täglich in der Internetwelt verteilen: Der Aufschrei wäre vermutlich groß und fast alle würden sich weigern.

    • Allerdings. Und stell Dir mal vor, jemand würde dazu noch immer die komplette AGB vorlesen, die man sonst einfach schnell weg klickt. Dadurch, dass das Datensammeln nahezu unsichtbar ist, aber die vermeintlichen Vorzüge greifbar sind, springen Menschen allzu schnell darauf an.

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