Seit über einem Jahr demonstrieren die Menschen in Syrien gegen das Regime von Baschar al-Assad. Ein Ende ist noch nicht in Sicht. Im Gegenteil, meint Aktham Abazid. Er hat zusammen mit Andre Find und Elias Perabo die Organisation »Adopt A Revolution« (www.adoptrevolution.org) gegründet. Wir sprachen mit Aktham über die Lage in Syrien, die Idee seiner Organisation und unsere gemeinsame Hoffnung auf Frieden und Freiheit.

Die Idee von »Adopt A Revolution« ist nicht neu – aber wirkungsvoll: Mit einer einmaligen Spende oder (besser!) einer 3-monatigen Patenschaft können wir hier im reichen Westen die Arbeit der so genannten Bürgerkomitees in Syrien unterstützen. Bei den Bürgerkomitees handelt es sich um zivilgesellschaftliche Organisationen, die das Assad-Regime stürzen, die Gewalt beenden und vor allem ein friedliches, gerechtes und demokratisches Syrien hervorbringen wollen. Das verbindet sie mit vielen anderen Aktivisten rund um die Welt. Und schafft ein gemeinsames Band zwischen Nationen, Kulturen und Religionen.

Viele Medien – auch das ZDF – berichteten bereits über „Adopt A Revolution“ (klick auf das Bild, um den Beitrag zu sehen)

 

Aktham, wie ist die Idee zu »Adopt A Revolution« entstanden?

Die Initiative kam von Elias Perabo, einem Campaigner, der einige Jahre bei Klima Allianz (www.die-klima-allianz.de) gearbeitet hat. Er war letztes Frühjahr für einige Monate in Syrien und im Libanon. Er hat in Beirut mit den Aktivisten gelebt, ein paar kleine Demos in Damaskus mitgemacht und gesehen, wie die Aktivisten dort versuchen, sich zu organisieren und Unterstützung zu holen.

Danach kam er mit der Idee für »Adopt A Revolution« nach Deutschland zurück. Zusammen mit seinem Freund Andre Find, ebenfalls Campaigner und lange für Campact (www.campact.de) tätig, besprach er die Idee mit zwei syrischen Aktivisten, die zu der Zeit in Deutschland waren. Im November letzten Jahres haben sie dann schließlich auch mich kontaktiert. Meine Aufgabe ist es, den Kontaktknoten zu den syrischen Netzwerken zu bilden.

Durch ihre Arbeit kennen Elias und Andre einige Leute, die uns mit der Seite geholfen haben: Programmierung und Grafik. Insgesamt besteht das Team aus acht Leute. Die meisten davon arbeiten nur Teilzeit für »Adopt A Revolution«, so ein oder zwei Tage die Woche. Und nicht alle kennen sich. Wir sind ziemlich verteilt – Hamburg, Berlin, Potsdam, Leipzig – und organisieren alles online.

Die ersten zwei Wochen waren dennoch extrem stressig. Doch dann haben einige Stiftungen ihre Unterstützung zugesagt. Zum Beispiel die Bewegungsstiftung, medico international oder die taz. Anfang des Jahres hatten wir dann unseren großen Auftritt bei der Bundespressekonferenz. Seit dem gibt es uns offiziell.

 

Wie ist es bisher gelaufen? Wie viele Paten habt ihr?

Bis jetzt läuft es ganz toll. Gleich im Januar haben zirka 600 Leute unseren Online-Appell unterschrieben, rund 200 Menschen gespendet und etwa zwei Dutzend sind Pate geworden. Heute haben wir über 1.300 Spender. Davon haben ungefähr 100 Leute eine Patenschaft abgeschlossen, bei der sie jeden Monat so 20, 30 oder 50 Euro zahlen.

Da wir natürlich nicht genau wissen, wie lange die Revolution noch dauert, laufen die Patenschaften zunächst einmal drei Monate. Auf der anderen Seite sind diese Komitees die Saat für eine demokratische Bürgerbewegungen und eine starke Zivilgesellschaft. Deshalb glauben wir, dass wir sie auch noch nach Ende der Revolution unterstützen sollten – vielleicht so ein paar Monate bis hin zu einem Jahr.

Auf jeden Fall können wir heute 30 Komitees finanzieren. Dazu kommt unser neuer Ableger in Holland, den die katholische Friedensbewegung Pax Christi (www.paxchristi.de) initiiert hat. Pax Christi sitzt bei uns im Beirat und war von der Idee so begeistert, dass sie sie ihren niederländischen Kollegen vorstellte – und die haben uns dann quasi adoptiert (lacht). Und die Niederländer finanzieren derzeit 5 weitere Komitees. Das heißt insgesamt unterstützen wir 35 Komitees.

Wie organisieren sich die Aktivisten in Syrien?

Hauptsächlich über das Internet. Dabei haben vor allem die Komitees im Landesinneren das Problem, dass sie nur wenige Stunden am Tag einen Internetzugang haben. Die Aktivisten, die an den Grenzen leben, können die Netzwerke der Nachbarländer anzapfen. Manchmal fahren sie auch tatsächlich hin und her, um nicht nur Informationen, sondern auch Geld und Geräte auszutauschen – aber das ist noch viel gefährlicher.

Außerdem gibt es in jedem Komitee immer Menschen, die nach außen so tun, als wären sie nicht aktiv. Sie müssen dann teilweise auch zu Pro-Assad-Demonstrationen gehen. Das fällt ihnen natürlich schwer, weil sie sich wie Verräter fühlen. Aber für die Bewegung ist das sehr wichtig. Meistens sind das Frauen, weil sie leichter die Kontrollen passieren können. Aber in den Brennpunkt-Regionen bleiben die Frauen zuhause. Denn die Assad-Regierung nimmt Frauen oder Schwestern gerne fest, um untergetauchte Aktivisten unter Druck zu setzen.

Für uns wird die Kommunikation mit den Komitees auch immer schwieriger. Einige Aktivisten müssen richtig untertauchen, dann erreichen wir sie einfach nicht mehr. Und natürlich werden Aktivisten auch verhaftet oder getötet. Oder wie in Homs, als sie belagert wurden, da ist die Kommunikation auch schwierig. Da kriegt man kaum mehr was mit. Und dann müssen sich die Aktivisten natürlich hauptsächlich mit humanitären Problemen beschäftigen.

Die Menschen in Syrien sind dann zwar dankbar für das Geld, aber sie haben überhaupt keine Zeit für die Berichte, die wir gerne für die Menschen hier veröffentlichen würden. Andere wiederum haben ein großes Bedürfnis, sich zu äußern und ihre Lage mitzuteilen. Aber es ist schwierig und wirklich Nerven aufreibend.

 

Wie würde Dein Land aussehen, wenn alles gut geht?

Wenn alles gut geht? Das ist sehr schwer zu sagen. Schon jetzt bilden sich Komitees, die sich um das öffentliche Leben kümmern: Verkehr, Müllabfuhr, der Schutz öffentlicher Einrichtungen und so weiter. Aber wie es auf politischer Ebene weiter gehen soll ist schwer zu sagen; da muss man die Entwicklung genau betrachten, sich Zeit nehmen und einen klaren Kopf behalten.

Es ist ja vor allem die jüngere Generation, die die politische Bewegung trägt. Die Älteren sitzen meist herum und philosophieren. Einige reiben sich die Hände und sagen: ja klar, macht ihr die Revolution und danach übernehmen wir das Land! Und die Jungen sind derzeit natürlich auch so mit der Revolution beschäftigt, dass sie gar keine Zeit haben, irgendwelche Konzepte zu entwickeln. Und wie man einen Staat lenkt oder eine Wirtschaft, das lernen Sie gerade erst.

Wir wissen ja noch nicht mal, wie stark die Staatskassen belastet sind. Ich hoffe, dass wir nicht Milliarden von Schulden abzahlen müssen, bis meine Kinder alt sind (lacht). Aber ich denke: wenn sich die Menschen in Syrien unter diesen Umständen organisieren konnten, dann können sie das noch viel besser, wenn niemand da steht und sie erschießen will.

Es gibt viele kompetente und fähige Leute in Syrien, die eigentlich nur in Ruhe arbeiten wollen – was bisher ja nicht möglich ist. Sie sehen die Korruption und sind auch dagegen. Aber wenn man das unter Assad sagt, fliegt man raus oder wird verhaftet. Aber wenn sie in Ruhe arbeiten könnten, würden sie unser Land sicher schnell wieder hinkriegen.

 

Würdest Du dann zurückgehen?

Ja, klar! Also wenn alles gut geht… da gibt es viele in der Opposition im Ausland. Die bereiten sich nun alle auf die Zeit danach vor. Sie wollen Parteien gründen – wobei mich bislang noch keine, die ich gesehen habe, überzeugen würde!

 

Was für eine Partei würdest Du denn wählen?

Ich weiß nicht. Viele Syrer wollen nach Syrien zurückkehren – wissen aber nicht, wohin sie eigentlich politisch wollen. Und selbst wenn sie es wissen, haben sie keine Ahnung, wie sie dahin kommen wollen. Die Menschen in Syrien lernen erst das Alphabet der Demokratie. Sie haben praktisch vier Jahrzehnte in einer demokratischen Wüste gelebt. Es gibt viel Nachholbedarf – vor allem in der Praxis. Also wenn die Exil-Syrer zurückkehren und eine Partei gründen wollen, aber hier überhaupt nie in der politischen Praxis gearbeitet haben – da frage ich mich schon, worauf sie eigentlich bauen wollen.

Anders ist das mit den Menschen in Syrien. Die Leute sind unglaublich kreativ und lernen schnell. Ich finde das unglaublich: Wenn man da nur einen Fuß vor die Tür setzt, wird man abgeknallt. Aber dennoch schaffen sie es, sich zu organisieren und politisch aktiv zu werden. Nur fehlen ihnen eben die Mittel. Also ich muss einfach erst mal schauen, mit wem ich was machen kann. Ich bin zum Beispiel auch für den Umweltschutz. Man muss eben Geduld haben… schon wieder Geduld! Ach nee (lacht).

 

Wie sähe denn diese Welt aus, die Du Dir wünschst?

Für mich ist Freiheit immer auch mit Verantwortung verbunden. Sonst herrscht Chaos. Und die, die darunter gelitten haben, dass es keine Freiheit gab, die wissen das. Sie verstehen, dass sie nicht nur frei sein können, sondern dass sie auch durch ihr Verhalten – ohne es zu wissen – andere in ihrer Freiheit einschränken oder anderen sogar Unrecht antun können.

Wie hier in Europa diese Wirtschaftsgeier: Sie müssen wissen, dass ihre Freiheit nicht grenzenlos ist. Es gibt immer die, die sich zu viel nehmen – auch hier in Deutschland. Klar, das ist ihr »Recht«. Aber wir sollten ihnen klar machen, dass sie die Welt nicht in aller Öffentlichkeit bescheißen können, nur weil sie das Geld für die besten Anwälte haben! Ich möchte nicht, dass wir das in Syrien erleben. Das werden wir irgendwie. Aber ich hoffe, nicht sofort.

Fühlst Du dich an dieser Stelle mit Occupy, Echte-Demokratie-Jetzt! und all den anderen Bewegungen auf dieser Welt verbunden?

Ja, sehr. Ich war bei den ersten Treffen von »Echte Demokratie jetzt!« hier in Berlin. Aber dann hatte ich leider keine Zeit mehr. Was ich sehr schade finde, denn das ist eine neue Kultur! Dieser Appell an die Menschen: steht auf und macht das Wenigste. Was ihr machen könnt – setzt ein Zeichen für eure Rechte! Oder sagt laut: das wollen wir nicht! Und das Beste ist, dass diese Bewegung global ist. Dieser Geist muss immer lebendig bleiben. Egal wo! Auch in Syrien. Denn wenn wir das mit der Revolution hingekriegt haben, dann fängt für uns die Arbeit erst richtig an! Deshalb muss dieser Geist bestehen bleiben – auch für die nächsten Generationen.

Danke für das Gespräch und Dir und Deinen Mitstreitern alles Gute!