In einer Schenkökonomie (Gift Economy) kauft man Waren und Dienstleistungen nicht – man bekommt sie geschenkt. Verrückt? Nicht ganz. Der Web-Designer Adrian Hoppel kann auf diese Weise vier Kinder ernähren und glücklicher leben.

Der Web-Designer aus Philadelphia Adrian Hoppel arbeitet nicht für Geld. Er verschenkt die Websites, die er für seine Kunden baut. Nicht, weil er anders nicht an Aufträge käme. Sondern weil er davon überzeugt ist, dass die Schenkökonomie einfach viel sinnvoller ist, als unser herkömmliches Wirtschaftssystem.

Wie alles begann

Über 15 Jahren lang hat er den amerikanischen Traum gelebt – ist durch die Welt gejettet, hat Karriere gemacht, viel gearbeitet und viel verdient. Doch glücklich wurde er dabei nicht. Vor drei Jahren fiel ihm dann das Buch »Sacred Economy« von Charles Eisenstein in die Hände, der darin unter anderem von der Gift Economy (Schenkökonomie) berichtet.

Gemeinsam mit dem Drängen seiner Frau hat ihm das den letzten Anstoß gegeben, einerseits aus dem sicheren Dasein eines Festangestellten auszutreten und sich als freiberuflicher Web-Designer selbständig zu machen. Andererseits hat es in ihm den Wunsch geweckt, die Gift Economy zu leben. Also baute er eine Website, auf der er die Funktionsweise der Schenkökonomie erklärt und seine Dienste interessierten Unternehmen, Organisationen und Freiberuflern anbot. Damit begann für Hoppel eine zweite, weitaus faszinierendere Karriere.

Vom Traum zum Medienwunder

Am Anfang hatte Adrian Hoppel schon Existenzängste – etwa wenn er an einem Projekt sechs Wochen oder mehr arbeitete und nicht wusste, ob und was er dafür bekommen würde. »Für so eine Art des Unternehmertums gibt es keinen Businessplan. Auch heute weiß ich nicht, wie die kommenden Monate für mich aussehen«, erklärt er in dem Audio-Interview mit True Voice Media, das ihr euch hier anhören könnt*:

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»Nach 15 Jahren im normalen Geschäftsbetrieb ist das nach wie vor eine extreme Herausforderung für mich. Allein die Frage nach dem, was passiert, wenn wir wachsen: Können wir Büroräume anmieten? Können wir Mitarbeiter einstellen, wenn wir keinerlei Prognosen aufstellen können, was künftig rein kommt?« erklärt er.

Und natürlich hatte auch er anfangs die Angst, die Leute könnten sich die Website einfach schnappen und ohne Kommentar abhauen. Doch das faszinierende und auch motivierende an seiner Geschichte ist, dass dies keineswegs geschah. Man könnte eigentlich sogar sagen: Im Gegenteil. Und damit ist nicht gemeint, dass er viel mehr verdient, als »normale« Webdesigner (laut seiner Angaben verdient er in etwa gleich).

Nein: >>im Gegenteil<<, weil Adrian Hoppel mit seiner Art der Dienstleistung mittlerweile eine ganz gewaltige Aufmerksamkeits- und Medienmaschine in Gang gesetzt hat: Beiträge in der Huffington-Post, in Radio- und Fernsehsendern und natürlich Blogs weltweit haben ihn zu einer kleine Berühmtheit unter den Kultur Kreativen gemacht. Die Mund-zu-Mund-Propaganda funktioniert wie geschmiert. Hoppel kann sich über zunehmend spannende Aufträge nicht beklagen… Zuletzt hat er die neue Website von Charles Eisenstein gebaut – und auch das hat ihm natürlich wieder eine Menge Reputation und Bekanntheit verschafft.

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Gift Economy – mehr als ein PR-Gag

So ganz von ungefähr kam diese Entwicklung nicht. Als sich Adrian Hoppel vor zwei Jahren selbständig machte, hat er sich schon überlegt, was ihn von den vielen, vielen anderen Web-Designern unterscheiden könnte – und seine Art Geschäfte zu machen tut dies definitiv. Seine Entscheidung hatte also durchaus auch eine strategische Komponente zu der Hoppel auch steht. Nichts desto trotz ist für ihn die Sache mit der Gift Economy keineswegs nur ein PR-Gag – sondern eine Herzensangelegenheit.

Denn Strategie und Überzeugung, das gehört für ihn zusammen: »Denn wie startet eine Geschäftsbeziehung üblicherweise? Ich mache dem Kunden ein Angebot, in dem ich versuche für so wenig Arbeit so viel Geld wie möglich zu bekommen. Der Kunde antwortet darauf mit Verhandlungen, durch die er für so wenig Geld so viel Arbeit wie möglich bekommen möchte. Das vergiftet von Anfang an die Zusammenarbeit. Mein Wunsch war es, diesen Fokus auf den eigenen Vorteil aus der Geschäftsbeziehung zu nehmen. Ich wollte meinen Kunden sagen können: Hör zu – ich baue Dir was immer Du möchtest!«

Transparenz und Vertrauen durch Gift Economy

Vorbei also das leidige Thema, dass Kunden irgendwann keine weiteren Wünsche einbringen können, weil das Budget aufgebraucht ist. Adrian setzt für seine Kunden genau das um, was sie sich wünschen – und zwar so gut wie er es kann. Das schenkt er dann seinen Kunden. Und ob und wie (also mit Geld oder Naturalien oder Dienstleistungen) sie ihn dafür entlohnen, bleibt ihnen frei überlassen. »Dadurch verändert sich die Beziehung komplett – von der gegenseitigen Vorteilsnahme hin zu Vertrauen, Offenheit und Transparenz«, erklärt er.

Gerade im Bereich Web-Design gibt es laut Hoppel viel Misstrauen, weil sich viele Menschen nicht genau damit auskennen und deshalb nicht nachvollziehen können, was da genau während eines Auftrages passiert. Wenn sie ein Angebot bekommen, können sie oft nur glauben, dass die darin aufgeführten Posten alle so richtig sind. »Ich habe das umgedreht, in dem ich gesagt habe: Es gibt keinen Grund für Misstrauen, weil es für Dich keine Verpflichtung gibt«, erklärt Hoppel. Am Ende jedoch hätten seine Kunden einfach das Gefühl, dass die Beziehung einfach total außer Balance ist, wenn sie nicht auch etwas zurück schenken… Die Gift Economy funktioniert!

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Mein buntes Leben in der Gift Economy

Das Leben in der Gift Economy lässt Adrian Hoppel und seine Familie nicht nur auskommen. Es hält auch so manche Überraschung bereit. Und zwar weil Adrian Hoppel nicht jedoch nur für Geld arbeitet, sondern seine Arbeit auch gegen andere Dienstleistungen und Produkte tauscht. »Die meisten zahlen mir Geld. Aber manche schenken ihm auch etwas anderes«, erklärt er. Um was es sich dabei genau handelt, bleibt seinen Kunden überlassen.

Neulich erhielten er und seine Töchter zum Beispiel einen kompletten Wochenend-Trip nach New York geschenkt, inklusive Broadway-Besuch, Fahrt, Essen, Übernachtungen und Sight-Seeing-Tour. »Wenn mir der Kunde Geld gegeben hätte, hätte ich das nie dafür ausgegeben. Aber so war es ein echtes Geschenk, eine echte Bereicherung. Ich stand mit meinen Töchtern in New York und dachte: Das alles hätten wir nie erlebt und gesehen, wenn ich nicht in der Gift Economy arbeiten würde«, erklärt er in dem bereits erwähnten Audio-Interview.

Gift Economy in der Praxis

Damit sich Projekte – ein übliches Problem für Web-Designer – nicht endlos hinziehen und nie zu Ende sind, arbeitet Adrian Hoppel sehr stark Projekt bezogen: Am Anfang eines Projektes listet er genau auf, was sich der Kunde wünscht, was seine Lösungsvorschläge sind und wie viel Zeit das geschätzt in Anspruch nehmen wird. »Die Gift Economy ist neu für sie und Web-Entwicklung meistens auch fremd… Also ist es wichtig, hier einen gemeinsamen Boden zu finden. Und die meisten Menschen haben eine Vorstellung davon, was sie pro Stunde bekommen würden«.

Außerdem nennt er seinen Kunden, welche Stundensätze Web-Designer üblicherweise haben, sodass sie eine Vorstellung davon bekommen, was seine Arbeit wert ist. »Die meisten sind für diese grobe Orientierung dankbar«, ist seine Erfahrung. Dann dokumentiert er die tatsächlichen Arbeitszeiten und nennt sie seinen Auftraggebern. Kommen neue Aufgaben und Projekte dazu, geht dieser Prozess von vorne los.

Tipps für den Einstieg in die Gift Economy

Bei allem Erfolg und aller Begeisterung: Auch Adrian Hoppel sieht die derzeitigen Herausforderungen, die das Leben in der Gift Economy noch mit sich bringt: »Derzeit stecken wir mitten in einem Wandel. Viele Menschen leben schon in einer Share Economy – aber es gibt eben immer noch viele Rahmenbedingungen, die sie in der alten Welt festhalten: Telefonrechnungen, Miete, Server-Kosten etc. Die Frage ist, wie man mitten in diesem Wandel existieren kann. Das ist nicht einfach«, erklärt er.

Er selbst habe in den letzten beiden Jahren eine enorme Lernkurve durchlebt und viel durch Versuch und Irrtum heraus finden müssen. Sein wichtigster Rat lautet daher: »Geht langsam und vorsichtig vor. Überlegt euch, welche Dienstleistungen und Produkte ihr als Geschenk anbieten könnt – und welche nicht. Macht damit Erfahrungen und wachst daran«.

Eines zeigt die Erfolgsgeschichte des Adrian Hoppel allerdings auf jeden Fall: Es ist aufregend, anspruchsvoll, aber auch voller unbezahlbaren Lohns in Form von Reputation, Anerkennung und Respekt, wenn man sich als Pionier aufmacht, um als einer der ersten neue Wege zu erkunden…

 


 

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* Alle Zitate von Adrian Hoppel stammen aus dem o.g. Interview mit True Voice Media. Die Bilder haben wir über pixelio.de erhalten.