Geldfrei leben – wie fühlt sich das an? Ich habe es ausprobiert und bin zu erstaunlichen Erkenntnissen Geld gelangt…

Die Challenge

Fast eine Woche ohne Geld leben – so lautete, die Herausforderung, die die Bloggerin Stephanie und die Facebook-Gruppe „Geldfrei leben“ aufgestellt hatten. Ich habe in der Zeit einen Workshop mitgemacht, indem es um die Krisen in unserem Geldsystem und deren Auswirkungen auf unser gesellschaftliches, persönliches, aber auch berufliches Miteinander geht – und da lag es nahe, mich dem Selbstexperiment anzuschließen.

Meine Erfahrungen

Nun mag der ein oder andere denken: Naja, ist ja schon ein bisschen geschummelt – denn ich habe den Workshop und das Zugfahrt-Ticket schon im voraus bezahlt (ohne freilich zu wissen, dass ich die Challenge machen würde). Außerdem war ich in dem Ökodorf Siebenlinden, in dem der Workshop stattfand, mehr oder weniger rundum versorgt. Es fiel also nicht wirklich auf.

Nur in Kleinigkeiten hat es sich gezeigt: Wenn alle anderen abends essen gingen – und ich nur mitkonnte, weil ich eingeladen wurde. Oder ich unbedingt (zu bezahlenden) Internet-Zugang brauchte und auch hier jemanden finden musste, der mir seine nicht genutzte Zugangszeit überlassen konnte. Das war in diesem Fall nicht schlimm, weil ich in einem Umfeld war, das mein Experiment nicht komisch, sondern interessant fand und es unterstützte.

Ich war aber auch einige Tage vorher in einem temporären Co-Working-Space einer Agentur eingeladen, bei dem es eher beruflich „professionell“ zuging – hier hatte ich mich mittags, als alle zusammen etwas essen gingen, nicht getraut zu sagen, dass ich gerade kein Geld ausgeben kann, weil ich ein Selbstexperiment mache. Erst recht nicht hätte ich mich von jemandem einladen lassen. Das hätte sich komisch angefühlt und ich dachte, die anderen würden vielleicht denken, ich hätte kein Geld und würde das nur mit so einer Challenge-Ausrede kaschieren wollen…

Kein Geld, kein Respekt?

Insgesamt hat mich die Tatsache, dass ich auf Einladungen angewiesen war – oder mein Experiment sogar verheimlichte – an Kindertage erinnert. Wisst ihr noch, wie ihr euch damals anstrengen musstet, um Mama oder Papa ein Eis an einem schönen Sommertag aus dem Kreuz zu leiern? Oder um endlich die heiß ersehnten Schuhe zu bekommen? Oder, oder, oder? (Wobei die Einladungen in Siebenlinden kamen, ohne dass ich fragen musste! Das hat mir die Sache natürlich leicht gemacht).

Ich hab mal ein bisschen recherchiert und festgestellt: In seiner Arbeit „Selbstwert und Geld“ beschreibt der Psychologe und Geschäftsführer des Sigmund Freud Instituts in Frankfurt am Main Rolf Haubl, dass Geld ein wichtiges Inititationszeichen in unserer Gesellschaft ist: Wer erwachsen ist, hat sein eigenes Geld. Das gilt natürlich eher unbewusst.

Das ist aber ein wichtiger Grund, warum es zum Beispiel abwertend empfunden werden kann, wenn man Obdachlosen etwas zu Essen gibt, anstatt Geld. Man zeigt ihnen damit quasi, dass man sie für unmündig hält, selbst zu entscheiden, was sie sich von dem Geld kaufen wollen. Es ist sicherlich auch der Grund, warum Hausfrauen und Hartz-IV-Empfänger von manchen fast schon so wie unmündige Kinder behandelt werden und sie sich insgesamt oft nicht vollkommen frei in ihren Entscheidungen und wertschätzend behandelt fühlen. Überhaupt – das kann ich aus eigener Erfahrung als Freiberufler sagen, der immer um ein faires Honorar verhandeln muss – verbinden wir mit der Höhe unseres Einkommens/Honorars oft die Wertschätzung, die uns andere entgegenbringen.

Geld uns seine Auswirkung auf Dich

Geld ist für uns scheinbar allgegenwärtig und alternativlos. Es ist scheinbar der Gradmesser für unseren Erfolg und unser Lebensglück. Aber ist es das wirklich. In dem Workshop „Empowered Fundraising“ kamen Menschen zusammen, die nach einer Alternative zum gegenwärtigen Geld- und Wirtschaftssystem suchen. Wir haben uns die verschiedenen Funktionen des Geldes bewusst gemacht und auch die Komplikationen, die damit einhergehen:

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6 Funktionen des Geldes

  1. Geld als Maßeinheit: Mit Geld bewerten wir Dinge. Das ist auch eigentlich kein Problem – nur dass wir nicht alles mit Geld bemessen können. Wie viel ist ein Menschenleben wert? Wie viel ist ein fruchtbarer Boden, saubere Luft und klares Wasser wert? Neben Menschenleben und Boden sollten wir auch Geld selbst nicht mit Geld bewerten – denn das öffnet den Finanzspekulationen Tür und Tor, wie wir wissen.
  2. Geld als Tauschmittel: Wenn wir Dinge mit Geld bewerten können, können wir es natürlich auch gut nutzen, um sie zu tauschen – ohne dabei immer genau das parat haben zu müssen, was der andere gerade sucht.
  3. Geld als Wertspeicher: Im Widerspruch dazu steht jedoch die Funktion des Geldes als Wertspeicher. Denn alles Geld, was dem Kreislauf entzogen und gespart/gespeichert wird, ist logischerweise nicht mehr zum Tauschen da. Was dann passiert, sehen wir z.B. gerade in Griechenland: Es entstehen Arbeitslosigkeit und Armut.
  4. Geld als Zuteilungsmedium: Wenn wir Dinge mit Geld bewerten und die freie Verfügbarkeit von Geld einschränken (weil manche es speichern), dann folgt daraus automatisch, dass sich nur bestimmte Menschen bestimmte Dinge leisten können. Geld wird dann zu einem Mittel, um rare Dinge zuzuteilen.
  5. Geld als Geldmaschine: Im Zusammenhang mit der Bewertung von Geld durch Geld steht auch, dass Geld dazu da ist, um noch mehr Geld zu machen. Ob es sich dabei um den Zins, die Rendite oder Spekulationsprofit handelt – Geld ist eine Möglichkeit, um Geld zu verdienen. Dies hat selbstredend problrematische Aspekte, wie wir in den letzten Jahren nur zu eindrücklich gesehen haben.
  6. Geld als Machtinstrumment: Die Funktionen des Wertspeichers, Zuteilungsmediums und der Geldmaschine bewirken in Kombination, das Geld als eines der wesentlichsten Machtinstrumente unserer Zeit taugt.

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Die entscheidende Frage dabei ist, wie wir wieder ein gerechtes Geldsystem etablieren können. Denn klar ist, dass die Geldmacht weltweit extrem ungleich verteilt ist – und dass dies natürlich auch bewirkt, dass Änderungen in eine gerechtere Richtung schwierig sind.

Schenken für eine bessere Welt

Alles in allem führt unsere Art, Geld zu nutzen, zu drei Vorstellungen über unsere Welt:

  1. Es ist nicht genug für alle da
  2. Mehr ist besser
  3. Es gibt keine Wahl

Diese 3 Vorstellungen sind natürlich nur Illusionen. Selbstverständlich ist genug für alle da. Selbstverständlich ist mehr nicht immer besser – fair ist besser. Und selbstverständlich haben wir eine Wahl – es gibt Alternativen, auch wenn die Mächtigen uns das anders weiß machen wollen…

Die Frage ist nur: Was können wir tun? Wenn man sich der derzeitigen Situation ausgesetzt sieht, überkommt einen schnell Ohnmacht! Was kann ich als Einzelner schon tun? Ich muss doch Geld verdienen, um meine Miete zu bezahlen…

Die Idee des o.g. Workshops setzt genau umgekehrt an: Schenken ist die subversivste Sache, die man im Hinblick auf unser ungerechtes Geldsystem tun kann. Kehre also den Spieß um: Verschenke Deine Arbeitskraft, Deine Ideen, Deine Produkte, Deine Projekte – und akzeptiere, was Du dafür zurück geschenkt bekommst.

Schenkökonomie: Wir experimentieren

Du findest, das klingt verrückt? Der Web-Designer Adrian Hoppel macht das seit einigen Jahren bereits. In Deutschland gibt es immer mehr Menschen wie Raphael Fellmer, die komplett geldfrei leben (auch mit Familie und auch im Alter!). Also ist es nicht einen Versuch wert?

Ich finde: Auf jeden Fall! Und deshalb machen Marek und ich uns nun daran, in Sachen Schenkökonomie zu experimentieren. Wir halten euch über unsere Erfahrungen auf dem Laufenden.

Falls ihr Erfahrungen damit habt und Tipps, die ihr gerne weitergeben möchtet, dann schreibt uns hier einen Kommentar. Wir sind auch gespannt auf eure Fragen und Bedenken!

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Links zum Thema

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