Ja: Es ist ausgerechnet ein FDP-Mitglied, das hier zu mehr Partizipation, politischem Engagement und Demokratie für alle aufruft – und nicht nur für ein Klientel. Christoph Giesa ist Anfang dreißig, hat – nach eigenen Aussagen – während seines Studiums nur deswegen gearbeitet, damit er sich seine Parteiarbeit „leisten“ kann… und ist bitterlich enttäuscht.
Ein Blick hinter die Kulissen
Nun hat er ein Buch geschrieben, das einen Blick hinter die Kulissen der politischen Bühne liefern soll; das den „Citoyen“ aufrütteln soll aktiv zu werden; und das Vorschläge macht, wie den, mehr Bürgerbeteiligung in eine bereits bestehende Demokratie sozusagen nachträglich hinein operiert werden könnte.
Bekannt wurde Christoph Giesa – so steht es zumindest im Klappentext des Buches – als er sich während des vergangenen Bundespräsidentschafts“wahlkampfs“ für seinen Wunschkandidaten Joachim Gauck einsetzte: Er startete u.a. eine Facebook-Gruppe und forderte, die Wahl des Bundespräsidenten endlich freizugeben. Doch das kann seiner Ansicht nach sicherlich nur der Anfang sein. Die verkrusteten Hierarchien und Strukturen der derzeitigen Parteienlandschaft hätten nur noch wenig mit Demokratie zu tun. Die innovativen Ideen der Youngsters haben keine Chance in einem Paralleluniversum, in dem es vor allem um den individuellen Machterhalt geht.
Die Liebe zum Volksentscheid
Das gängigste Beispiel ist sicherlich unser Nachbar Schweiz mit seiner Liebe zum Volksentscheid. Ein Vorbild sieht Giesa aber auch in den USA – die Amerikaner hätten ihre Demokratiekrise Anfang des letzten Jahrhunderts gelungen bewältigt. Heute können gewählte Volksvertreter, zum Beispiel durch einen so genannten Recall, auch wieder (demokratisch) abgewählt werden.
Weiter schweift sein Blick nach Südamerika: Im sogenannten Bürgerhaushalt sieht er ebenfalls eine wünschenswerte und machbare Erweiterung unserer jetzigen Demokratie: In der Hafenstadt Porto Alegre – etwa so groß wie Hamburg – bestimmten die Bürger pro Stadtteil erstmals selbst, wie die Haushaltsgelder verteilt werden sollten.
Aber auch wir hier in Deutschland hätten positive Beispiele zu bieten, meint Giesa: In etlichen Bundesländern dürfen die Wähler mittlerweile kumulieren und panaschieren – oder einfacher gesagt mehrere ihrer Stimmen auf einen Kandidaten nieder regnen lassen – oder ihre Stimmen zwischen verschiedenen Listen aufteilen.
Erste Gehversuche fruchten…
Vorbildlich seien auch erste Gehversuche in Sachen Bürgerhaushalte: Das Land Nordrhein-Westfalen habe, mit der Bertelsmann Stiftung, Entsprechendes angeschoben, um gemeinsam mit den Bürgern zu ermitteln, wo wie viele Gelder eingespart werden könnten. Es ist nachvollziehbar, dass Politiker bei solch unangenehmen Entscheidungen die Verantwortung am ehesten an uns Bürger zurückgeben – aber deshalb sicherlich nicht mehr oder weniger unklug.
Auch die Piratenpartei mit ihrer Liquid Demokracie biete bedenkenswerte, neue Ansätze: Dabei handele es sich um eine Mischform von indirekter und direkter Demokratie. „Jeder Teilnehmer kann selbst entscheiden, wie weit er seine Interessen [selbst] wahrnehmen will, oder von Anderen vertreten werden möchte“, kann man im Wiki der Piratenpartei lesen. Wichtig ist auch, dass man sein übertragenes Stimmrecht zurückfordern kann und nicht bis zur nächsten Wahlperiode warten muss. „Es ergibt sich somit ein ständig im Fluss befindliches Netzwerk von Delegationen“, schreibt die Piratenpartei.
Unser Fazit: Insgesamt ein gut geschriebenes, informatives Buch, das Lust auf Engagement macht. Nichts desto trotz blieb bei mir an vielen Stellen das Gefühl zurück, dass der Autor mit seinen Gedanken knapp daneben geschossen hat. Die Diagnosen bleiben an der Oberfläche. So reicht es meines Erachtens zum Beispiel nicht aus, die steigende Politikerverdrossenheit (nicht Politikverdrossenheit!) mit verkrusteten Parteistrukturen zu erklären – denn die gab es die letzten zwanzig Jahre ja schon ganz genau so. Man denke nur an den Spendenskandal der CDU und Helmut Kohls standhafte, fast kindische Weigerung die Namen der Spender heraus zu rücken…
Auch reicht die zunehmende gesellschaftliche Bedeutung der sozialen Medien nicht als alleinige Erklärung für einen steigenden Partizipationswillen – schon gar nicht, da dieser vor allem im großbürgerlichen Lager zu steigen scheint. Ich frage mich: ist es nicht so, dass die Menschen erst dann aktiv werden, wenn es ihren eigenen Interessen „an den Kragen“ geht? Und geht es ihren eigenen Interessen nicht im Moment an den Kragen, weil die „Märkte“ aus dem Ruder laufen – was ja nicht zuletzt seine Ursachen in der Deregulierung der Bankenbranche findet, was wiederum eine Kernforderung der FDP ist… Und Giesa diesen Widerspruch keineswegs anspricht.
Und ist dies – wenn nun sogar die mittlere bis obere Mittelschicht zum demokratisch-partizipativen Sturm bläst – tatsächlich ein Zeichen zunehmender Demokratisierung, die ja auch irgendwie nach zunehmender gesellschaftlicher Gerechtigkeit, Teilhabe und sozialem Frieden klingt? Nicht unbedingt. Der Volksentscheid um die Einheitsschulen in Hamburg war laut vieler NGOs und Sozialverbände vor allem ein Aufstand der Besserverdienenden, die um die Privilegien ihrer Kinder fürchteten.
Und genauso könnte man sich – wenn man die Vorschläge Giesas weiter spinnt – auch seine Forderungen vorstellen, würden sie denn dann irgendwann mal Realität. Denn die meisten seiner Visionen setzen einen gewissen Grad an Bildung, Zeit (also Geld) voraus. Und hier beißt sich wohl – zumindest derzeit noch – die Katze in den eigenen Schwanz: Wo die soziale Herkunft einen solchen Einfluss auf die Bildungs-, Berufs- und damit auch Verdienstchancen hat, wie bei uns in Deutschland, könnten die von Giesa genannten Direktdemokratieversuche einfach nur für noch mehr soziale Ungerechtigkeit sorgen: Denn dann kann sich nur einbringen, wer es sich zeitlich (also finanziell) leisten kann und die entsprechende Bildung mitbringt.
Das muss nicht sein, hätte aber für meinen Geschmack unbedingt mit gedacht werden müssen in einem Buch, dass sich Gedanken über unsere aller Zukunft macht und eine bessere Welt fordert… Alles in allem: Lesenswert, aber unbedingt auch weiterdenkenswert.
Die bibliografischen Angaben:
„Bürger. Macht. Politik“ Christoph Giesa. Campus Verlag, 228 Seiten, 17,99 Euro, ISBN 3-593-39465-7, www.campus.de
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