Viele Portugiesen halten die Demokratie in Europa bereits für abgeschafft. Warum? Weil das Parlament dort bei Finanzfragen kaum noch selbst entscheiden kann. Die Entscheidungen werden nämlich mittlerweile hauptsächlich von der Troika aus Weltbank, Währungsfonds und EU vorgegeben.
Dem Demokratieabbau entgegenwirken
»In vielen Ländern führt die Eurokrise zu Demokratieabbau und Souveränitätsverlust – manchmal löffelchen- und manchmal auch eimerweise wie in Griechenland«, meint die Organisation Mehr Demokratie e.V., die sich schon seit Jahrzehnten für direkt-demokratische Elemente einsetzt. Sie macht nun Vorschläge, wie sich diesem besorgniserregenden Demokratieabbau in Europa begegnet werden könnte.
Uns ist doch nicht mehr zu trauen!
Während die einen für die Demokratie zelten und durch Europa wandern (Stichwort Occupy- und Acampada-Bewegung), fragen die anderen mal leise, mal laut, wie viel Demokratie wir uns den »leisten« könnten. Denn – so das Argument, mit dem zum Beispiel auch der eigentlich von der griechischen Verfassung vorgeschriebene Volksentscheid zum Rettungspaket abgeschmettert wurde – dem Volk ist nun wirklich nicht zu trauen: Wir egozentrischen Einzeltiere denken eben kurzfristig – und vor allem an unseren eigenen, kurzfristigen Vorteil. Wir sind nicht imstande so weit vorausblickend wie Politiker zu handeln.
Ich hoffe, ihr merkt die Ironie in meinen Worten. Denn ich frage mich, ob wir uns so undemokratische Politiker leisten können. Die Schere zwischen Arm und Reich driftet in Deutschland immer weiter auseinander. Und wenn wir Griechenland oder Portugal mit Deutschland vergleichen. dann sieht es länderübergreifend in der EU auch nicht besser aus. Das ist nicht einfach nur ungerecht. Das sorgt für soziale Konflikte – und diese entladen sich, wenn sie nicht irgendwann mal endlich politisch gelöst werden, für gewaltsame Entladungen.
Dabei spielt Politiker-Verdrossenheit und das rapide sinkende Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik eine ganz wesentliche Rolle. Denn wenn die Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr daran glaubt, dass die Politiker die Probleme lösen können (erst recht nicht zum Wohl der Allgemeinheit), dann wird der Ruf nach irgend einer Art von Selbstjustiz lauter werden. Und/oder der Ruf nach einem »Retter in der Not«. Und wie der aussehen könnte, das wissen wir aus unserer Geschichte nur zu genau…
Es gibt keine Alternative zur Demokratie
Meiner Meinung nach müssten die Regierungen – und müssten auch die Politiker in Brüssel – nun Mut zeigen und auf die Bevölkerung zugehen. Sie müssten sich transparent machen, anstatt sich hinter Immunität und Nicht-Rechenschaftspflichten zu verschanzen. Und sie müssten Formen finden, wie die Menschen glaubhaft in die Suche nach Lösungen eingebunden werden könnte. Sei es in direktdemokratischer Form (ja, ich weiß, dass es dagegen Bedenken gibt – die Volksseele lässt sich ja medial nur gar zu leicht verführen) oder in Form neuer Repräsentanten. Also endlich das Demokratie-Defizit in Brüssel zu lösen oder vielleicht gar ganz neue Formen der politischen Beteiligung zu finden.
Dazu haben wir auch z.B. ein Interessantes Interview mit Commons-Expertin Silke Helfrich geführt. Und auch Ex-FDPler Christoph Giesa machte sich bereits Gedanken über Alternativen (siehe dazu unsere Buchbesprechung). Wie sieht es zum Beispiel mit der Idee der Bürgerhaushalte aus, das in Nordrhein-Westfalen schon mal erprobt wurde, um gemeinsam mit den Bürgern zu ermitteln, wo wie viele Gelder eingespart werden könnten? Ähnlich könnte man europaweit nach Lösungen für die Krise suchen – bzw. nach der Antwort auf die Frage, in welche Zukunft wir gehen wollen?
Vorschläge für neue Demokratie-Ergänzungen
Aber zurück zum Anlass meines Blogposts: Auch der Verein »Mehr Demokratie« macht nun Vorschläge – und würde sich sehr freuen, wenn wir via Kommentare auf der Website fleissig mit diskutieren würden. Zwei konkrete Vorschläge stellt der Verein zur Debatte:
1// Volksabstimmungen über die Eurorettungspolitik
»Die Bevölkerung in Geber- und Nehmerländern muss gefragt werden, wenn es um die Umschichtung von Milliardenbeträgen und die stärkere Zentralisierung der Wirtschaftspolitik geht. Für alle Menschen in Europa ist die Eurokrise mit Risiken und Einschnitten verbunden. Wird das den Menschen von oben aufgezwungen, kann das Europa spalten. Die Diskussion gehört in die Öffentlichkeit und sie muss auch von denen geführt werden (können), die Europa tragen, den Bürgerinnen und Bürgern. Nur so – und wenn sie mehrheitlich beschlossen werden – lassen sich Einschnitte und Risiken tragen und lässt sich die Krise gemeinsam bewältigen. Wir fordern Referenden über die Eurorettungspolitik! In Deutschland bietet sich dafür das Zustimmungsgesetz des Bundestags zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) an«.
2// Einberufung eines europäischen Konvents
Er soll die Zusammenarbeit in Europa langfristig auf ein demokratisches Fundament stellen. »In vielen Fällen geschieht die Souveränitätsübertragung auf die europäische Ebene schleichend, in einigen – etwa wenn neue völkerrechtliche Verträge die bestehenden Spielregeln einfach umgehen – kracht es im Gebälk der EU. Das europäische Haus bekommt Risse, wenn sich wenige Entscheidungsträger in den obersten Stock verkriechen und von dort aus befehlen. Der Aufbau eines gemeinsamen Europas muss beim Fundament – bei den Bürgerinnen und Bürgern – beginnen. Wir fordern, dass die Änderung der Europäischen Verträge von einem Konvent aus Vertretern der nationalen Parlamente, der Staats- und Regierungschefs, des Europäischen Parlaments und der Kommission vorbereitet wird. Wie Europa aussehen soll, muss breit und Ergebnis-offen beraten werden. Ein Konvent kann Lösungen entwickeln, über die dann in Volksabstimmungen zu entscheiden ist«.
Wie gesagt: Das sollen lediglich erste Überlegungen sein, Gedankenanstöße. Mich würde sehr interessieren, was ihr dazu denkt. Welche Ideen habt ihr? Was stinkt euch? Wofür würdet ihr euch einsetzen? In welchem Fall würdet ihr sagen: Ja, so können wir unsere Zukunft gestalten? Ich bin gespannt!
Weitere Infos unter: www.mehr-demokratie.de/index.php?id=europa-kampagne
Danke an Fritz Zuehlke für das Bild (via pixelio)!
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