Unsere Politiker werden nicht müde, die Vorteile des TTIP vollmundig zu betonen – also dem Transatlantischen Freihandelsabkommen. Doch immer mehr NGOs und Medien warnen vor einem Abbau von Umwelt-, Klima- und Verbraucherschutz. Nun steht eine europäische Bürgerinitiative in den Startlöchern. Wir haben nachgefragt.

Zuletzt erregte die ARD-Sendung Monitor für Aufregung. Nun hat unfairhandelbar (ttip-unfairhandelbar.de) – ein Bündnis aus mehreren Organisationen – eine Kampagne gestartet. Wir sprachen mit Dr. Michael Efler – Volkswirtschaftler, Sozialökonomie und Bundesvorstand von Mehr Demokratie e.V. über die Hintergründe und Ziele der Kampagne.

Dr. Michael Efler, Mehr Demokratie e.V.

Dr. Michael Efler, Mehr Demokratie e.V.

Das TTIP wurde anfangs ja geheim verhandelt. Nach und nach kamen immer mehr Details heraus. Wer hat diese Informationen nach außen gegeben?

Efler: Alle Inhalte sind ja immer noch nicht bekannt. Dass stärker darüber gesprochen wird hängt nicht damit zusammen, dass die EU-Kommission die Bürger beteiligen möchte. Das liegt an einigen engagierten NGOs, die sich in die Details – soweit bekannt – eingearbeitet und dazu eine kritische Öffentlichkeit aufgebaut haben. Das hat nun solche Dimensionen angenommen, dass die EU-Kommission eine sogenannte »Transparenz-Initiative« ergriffen hat – die ich allerdings eher als Charming-Offensive bezeichnen würde.

Von wem ging ursprünglich die Initiative aus?

Efler: Rein formal startet die Europäische Kommission internationale Handelsabkommen, indem sie dem Europäischen Rat eine Empfehlung abgibt. Dieser vergibt dann ein Verhandlungsmandat an die Kommission, die wiederum alleine verhandelt. Doch natürlich ist die Idee zum TTIP nicht alleine in den Institutionen entstanden, sondern in einem engen Dialog der politischen Eliten in den USA und der EU mit Konzern- und Lobby-Vertretern.

Ein Dokument listet für die Vorbereitung vom Januar 2012 bis April 2013 ganze130 Treffen auf – davon 93 Prozent mit Konzernvertretern und ganz, ganz wenige mit Gewerkschaften oder Verbraucherschützern.

Wann soll das Abkommen in Kraft treten?

Efler: Da kann man nur spekulieren. Sicher ist, dass noch mindestens bis Ende diesen Jahres verhandelt wird – wahrscheinlich sogar noch länger. Denn wir haben nun erst mal Europa-Wahlen und im Herbst sind Kongresswahlen in den USA. Das wird die Verhandlungen sicher noch bis 2015 hinauszögern. Und selbst wenn es dann zu einem Abschluss kommt, wird es noch eine Phase von mehreren Monaten bis hin zu einem Jahr geben, während der die Ratifizierung des Abkommens läuft.

Nun wird ja argumentiert, dass uns das TTIP so einige Vorteile bringen würde – etwa Arbeitsplätze. Unter anderem die ARD-Sendung »Monitor« berichtet das Gegenteil. Was sagen Sie: Gibt es denn gar keine Vorteile?

Efler: Das hängt natürlich von dem konkreten Text ab. Einige Teile des Abkommens sind wenig problematisch: Ein begrenzter Abbau von Zöllen, ein begrenzter Abbau von rein technischen Handelsbeschränkungen, sodass beispielsweise Produkte leichter ex- und importiert werden können. Das kann in einem gewissen Ausmaß und ohne schädliche Nebeneffekte zu mehr Handel führen und damit auch ein paar Arbeitsplätze schaffen.

Doch diese großen Visionen, die da immer wieder mit Wucht beschrieben werden, sollte man mit sehr, sehr großer Vorsicht genießen – zum Beispiel, dass jedes europäische Haushalt pro Jahr mit 545 Euro von dem Abkommen profitieren soll. Diese Zahl hängt von vielen Annahmen ab und gilt erst für das Jahr 2027. Es steht etwa überhaupt nicht fest, dass alle gleichermaßen davon profitieren: Möglicherweise haben die exportstarken Länder viel von dem Abkommen, während Länder, die wenig exportieren – etwa Griechenland – am Ende keine Vorteile oder sogar nur Nachteile haben.

Den Vorteilen stehen einige Nachteile gegenüber – etwa die Schwächung des Umwelt-, Klima- und Verbraucherschutz. Für wie gravierend halten Sie die negativen Auswirkungen auf einer Skala von 1 bis 10?

Efler: Das werden erst die konkreten Verhandlungsergebnisse zeigen, die wir noch nicht kennen. Wenn ich voraussetze, dass das Ergebnis die Wünsche der Konzerne und der Kommission beinhaltet, dann sind wir bei mindestens bei 6 oder 7 – also doch schon recht gravierend.

Wird ein deutlich moderateres Abkommen erzielt – das beispielsweise keine oder nur abgeschwächte Investor-Staat-Klagerechte enthält – landen wir so bei 4 oder 5. Wenn noch weitere Zähne gezogen werden, kommen wir vielleicht auf 2 oder 3. Es hängt also wirklich sehr, sehr stark von dem Ergebnis der Verhandlungen ab.

TTIP Kampagnenbild von Attac

Kampagnenbild von Attac gegen das TTIP. Weitere Informationen findet man unter http://www.attac.de/ttip.

Welche Folgen des TTIP halten Sie für die gravierendsten?

Efler: Der kritischste Punkt ist das Investor-Staat-Klageverfahren vor intransparent arbeitenden Schiedsgerichten, da es die staatliche Gerichtsbarkeit umgeht. Dadurch kann es zu dem sogenannten »chilling effect« kommen: Die Länder trauen sich nicht mehr, neue Gesetze zu beschließen, die potentiell in Investorenrechte eingreifen könnten.

Wir sehen jetzt schon, dass Konzerne die Klageverfahren immer stärker nutzten, um Politik zu beeinflussen: Vattenfall klagt gegen den Atomausstieg, Philip Morris klagt gegen ein Zigaretten-Labeling-Gesetz und so weiter und so fort. Diese Entwicklung ist ein großes Problem, das müssen wir unbedingt verhindern.

Nun ist der vermeintliche Handelspartner in letzter Zeit ja nicht gerade durch ein partnerschaftliches Verhalten aufgefallen. Im Gegenteil: Es hat sich gezeigt, dass uns die USA – genauer gesagt deren Geheimdienst NSA – massiv ausspioniert. Halten Sie es denn für zulässig, als Partner darüber hinweg zu sehen?

Efler: Natürlich haben wir eine starke Partnerschaft mit den USA und das finde ich grundsätzlich auch richtig. Doch gerade der Fall NSA zeigt die kulturellen und nationalen Unterschiede. Den USA war Sicherheit schon immer sehr wichtig. Geheimdienste haben dort schon immer eine ganz andere Rolle und auch ein anderes Ansehen. Deshalb halte ich es politisch für durchaus legitim, zum Beispiel erst einmal ein Datenschutzabkommen zu beschließen, bevor man sich an ein Freihandelsabkommen macht. Das scheint jedoch nicht der Fall zu sein. Das finde ich sehr schade.

Wie schätzen Sie die Querverbindungen zum TTIP ein?

Efler: Das ist schwer zu sagen. Die USA betreiben sicherlich einen großen Aufwand, um ihre nationalen Interesse zu schützen. Nichts desto trotz ist der zentrale Punkt aller Überwachungsmaßnahmen die nationale Sicherheit, sprich die Terrorabwehr. Dennoch bleibt die Möglichkeit der Überwachung und des Ausspähens. Und allein die Tatsache, dass wir darüber reden zeigt dies – bevor man sich in die heiße Phase der Verhandlungen begibt, sollte man so etwas eigentlich unbedingt klären.

Zusammen mit anderen Organisation starten Sie das Bündnis unfairhandelbar. Was genau werden Sie hier tun?
Efler: Das Bündnis unfairhandelbar (http://ttip-unfairhandelbar.de) besteht aus mehreren Organisationen, darunter Attac, Campact, Forum Umwelt & Entwicklung und viele mehr. Es hat schon viele kritische Informationen über TTIP zusammengestellt. Außerdem prüfen wir gerade, ob wir eine europäische Bürgerinitiative zum TTIP starten können.

Denn nach EU-Recht können eine Millionen EU-Bürger die EU-Kommission auffordern, das Abkommen zu stoppen – oder zumindest die kritischen Punkte herauszunehmen. Diese Entscheidung soll bis zur Europawahl gefallen sein. Aber ich bin guter Hoffnung, dass eine Bürgerinitiative in diesem Fall das richtige Mittel ist: Wir haben täglich neue Anfragen von Organisationen und Verbänden aus ganz Europa. Es sieht also gut aus.

Kampagnenbild TTIP vom Deutschen Umweltinstitut

Auch das Deutsche Umweltinstitut warnt vor TTIP und hat eine entsprechende Online-Aktion eingerichtet.

Sie rufen auch zu Spenden auf – 41.000 Euro soll die Kampagne kosten. Wofür wird das Geld eingesetzt und: Reicht das denn überhaupt?

Efler: Das ist in der Tat nur eine Startfinanzierung. Sollte es zur europäischen Bürgerinitiative kommen, sind wesentlich höhere Beträge notwendig, um europaweit die Strukturen für eine professionelle Kampagne und das Sammeln der eine Millionen Unterschriften aufzubauen.

Doch zunächst geht es darum juristisch zu prüfen, ob die Bürgerinitiative möglich ist. Da gibt es einige Fallstricke, in die wir möglichst nicht geraten sollten. Dann möchten wir das Ganze wissenschaftlich begleiten und aufarbeiten. Möglicherweise muss auch noch das ein oder andere Gutachten in Auftrag gegeben werden. Das bindet jetzt schon Ressourcen, da sind 41.000 Euro schnell weg.

Nun ist das TTIP ja nicht das einzige Freihandelsabkommen. Es gibt bereits einige und sicherlich sind auch einige weitere im Entstehen. Könnte es denn künftig noch viel größere Freihandelszonen geben und welche Folgen hätte dies?

Efler: Also grundsätzlich ist Mehr Demokratie e.V. wirtschaftspolitisch neutral, was Freihandelsabkommen im Allgemeinen angeht. Was uns jedoch schon interessiert, sind die Auswirkungen auf die Demokratie: Wir möchten demokratiepolitische Nachteile ins Visier nehmen und möglichst verhindern.

Dies vorausgeschickt glaube ich, dass das TTIP eine sehr wichtige Vorreiterrolle hat. Wenn der Abschluss tatsächlich gelingt, werden die darin getroffenen Vereinbarungen sicher in anderen Abkommen wieder auftauchen. Man wird dann immer wieder argumentieren: Wenn wir schon mit den USA weitgehende Investitionsschutzrechte vereinbaren, dann brauchen wir das doch erst recht für China und andere Staaten.

Deshalb hat das TTIP auch eine Vorbildfunktion und es ist besonders wichtig, genau hinzuschauen und nichts zu vereinbaren, was uns bei einem anderen Partner vielleicht noch schwerer auf die Füße fällt. Dazu gehören zum Beispiel auch Zusammenarbeitsregeln, die wirklich hanebüchen sind.

Demnach sollen Konzerne zum Beispiel schon im Vorfeld Einfluss auf regulatorische Gesetze nehmen oder diese sogar verhindern können. Noch bevor die Gesetze in die Parlamente kommen, sollen sie dann in bestimmten Gremien diskutiert werden, in denen die Konzern- und Lobby-Vertreter sitzen.

Was muss geschehen, um TTIP und seine negativen Folgen zu verhindern? Gibt es eine reelle Erfolgschance?

Efler: Ja, die gibt es. Das TTIP muss ja nicht nur vom EU-Parlament, sondern sehr wahrscheinlich auch von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden. Das heißt, wir können sowohl auf das europäische Parlament, als auch auf alle oder einige nationale Parlamente einwirken. Positiv ist, dass das Thema zumindest in Deutschland und Österreich schon sehr kritisch debattiert wird – auch in den Massenmedien. Und wenn es zu einem sogenannten gemischten Abstimmungsverfahren kommt, würde es reichen, wenn sich ein Mitgliedsstaat verweigert.

Ich bin also durchaus optimistisch. Wir haben beim ACTA-Abkommen, beim Multilateralen Investitionsabkommen MAI vor 15 Jahren oder auch bei bestimmten WTO-Runden immer wieder gesehen: Zivilgesellschaftlicher Proteste können solche Abkommen verhindern. Es ist also möglich – auch bei scheinbar großen Playern – von unten nach oben etwas zu erreichen.

Ein schöner Schlussappell. Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg bei der Kampagne!

 


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Vielen Dank an OpenSourceWay für das schöne Aufmacherbild (via flickr)