Judith Henning und Frank Wolf sind ziemlich unterschiedlich: Während Judith Historikerin und Künstlerin ist, ist Frank Chemiker. Dennoch teilen sie die Begeisterung für’s Urban Gardening und die Permakultur. Ihre Unterschiedlichkeit ist kein Zufall, sondern Prinzip. Ein Gespräch über Permakultur, Resilienz und Diversität.

Was ist Permakultur?

Frank Wolf: Das ist eine Philosophie und ein Gestaltungsansatz, der auf drei Grundsätzen basiert: Sorge für die Erde, sorge für die Menschen und teile Überschüsse fair. Daneben gibt es eine Reihe von Prinzipien, die aus Naturbeobachtungen abgeleitet sind und die die Begründer der Permakultur Bill Mollison sowie David Holmgren in den 1970er Jahren zu einem Denkgebäude zusammengefügt haben.

Judith Henning: Permakultur war die Antwort der beiden Australier Mollison und Holmgren auf die Umweltprobleme, die damals schon immer deutlicher wurden. Sie wollten aber nicht nur auf die Probleme aufmerksam machen. Sie wollten vielmehr Lösungen finden. Damals sprachen sie noch von »Permanent Agriculture«. Daraus wurde später »Permanent Culture«.

Die grundlegende Idee der Permakultur ist, dass die Natur in Kreisläufen funktioniert. Alle Elemente sind in einem System – etwa einem Wald – aufeinander abgestimmt. Es gibt keine Abfälle, alles ist noch zu irgend etwas nützlich, Materialien werden endlos weiter verwendet. Es gibt also nur erneuerbare Ressourcen. Der Mensch ist aus diesem System ausgestiegen. Und in der Permakultur versucht man nun, menschliche Kulturen zu entwickeln, die wieder in Kreisläufen funktionieren, wie sie in natürlichen Ökosystemen vorkommen.

Es geht dabei nicht um Naturschutz als abstrakten Wert, es geht um Naturschutz als Teil der menschlichen Selbsterhaltung. Der Mensch soll die Natur nicht in Ruhe lassen, sondern sich wieder als Teil der Natur sehen und dementsprechend handeln. Die Natur wird nicht idealisiert und der Mensch nicht verteufelt.

Frank: Anders als in der klassischen Naturwissenschaft gibt es keine künstliche Trennung zwischen Mensch und Umwelt. In der Permakultur gibt es keine »Umwelt«, sondern eine »Mitwelt«. Denn indem wir in kompletten Kreisläufen denken und handeln, nehmen wir nicht nur etwas – wir geben der Natur auch etwas zurück.

Diese Kreisläufe beziehen sich in der Permakultur allerdings nicht nur auf die Natur, sondern auch auf die Menschen. Wir achten darauf, Kreisläufe zwischen unterschiedlichen Generationen, Ethnien, Gesellschaftsschichten etc. zu schließen. Hier kommt das Thema »Fair Share« ins Spiel, also das gerechte Verteilen der Überschüsse. In der Permakultur versucht man grundsätzlich viele unterschiedliche Aspekte in seine Überlegungen einzubeziehen. Daraus ergibt sich eine Inklusivität.

Außerdem startet man – wie in der Natur auch – Projekte klein und langsam. Dadurch verringert sich die Fallhöhe. Es verhindert, dass man sich ein riesiges, visionäres Luftschloss aufbaut, dass dann in sich zusammen kracht.

Welche Grundsätze gibt es denn in der Permakultur?

Judith: Da gibt es zum Beispiel den Grundsatz »Observe and interact« – das heißt »Beobachte und interagiere«. Darin steckt auch wieder die Mitwelt-Idee, also die Vorstellung, dass man selbst Teil der Kreation ist. Ein weiterer ist »Produce no waste«, darüber haben wir auch schon gesprochen. Auch über den Grundsatz »Integrate rather than segregate«. In unserer Kultur teilen wir Arbeit immer weiter auf und spezialisieren uns. Die Permakultur geht genau den umgekehrten Weg und sagt: Wir müssen wieder alles zusammen sehen – nicht getrennt. Denn es ist meist sehr viel energieeffizienter, Dinge zusammenzubringen.

Frank: In der Permakultur versucht man Muster zu erkennen. Ein gutes Beispiel dafür ist ein Bild von Monet: Wenn man es von nah betrachtet, sieht man nur einzelne Pinselstriche. Wenn man aber einen Schritt zurücktritt sieht man: Oh, das ist ja eine wunderschöne Seerose. Das ist ein gutes Beispiel für das Problem, dass wir durch die Spezialisierung bekommen. Man sieht nicht mehr, wie die Dinge zusammen gehören, sich gegenseitig bedingen – oder auch, welche Folgen mein Handeln an einer anderen Stelle hat.

An wen richtet sich Permakultur – und wie integriert ihr Permakultur in euer Leben?

Frank: Ich finde an Permakultur und Transition Town – ein Kind der Permakultur, das Permakultur auf das urbane Leben anwenden möchte (www.transition-initiativen.de) – sprechen im Prinzip jeden an. Das ist gerade das Schöne. Bei einem Urban Gardening Projekt treffen sich zum Beispiel Menschen aus ganz unterschiedlichen Kontexten: Menschen, die mit den Händen, und solche, die eher mit dem Kopf arbeiten; Menschen aus unterschiedlichen Einkommensschichten, Berufsgruppen, Alterstufen und Ethnien.Man findet hier den Grundsatz »Integrate rather than segregate« wieder.

Judith: Ja, Permakultur wendet sich einfach an Menschen. Jede und jeder bringt Erfahrungen, Sichtweisen und Kenntnisse mit. »Integrate rather than segregate« betrifft aber die Menschen nicht nur als Gemeinschaft, sondern auch als Individuum. Denn Permakultur bringt auch die unterschiedlichen Bereiche eines Lebens zusammen.

So beschäftige ich mich zum Beispiel für ein aktuelles Permakultur-Projekt mit der Geschichte der Stadt – und durch mein Geschichtsstudium schaue ich da natürlich ganz anders drauf. Ich profitiere aber auch davon, dass ich gelernte Schuhmacherin bin und dadurch ein handwerkliches Können mitbringe – ein wichtiges Thema bei Transition Town: Das Re-Skilling, also Dinge wieder selbst herzustellen oder zu reparieren. So findet man neue Schnittstellen, durch die man auch neue Lösungen findet.

Frank: Das stimmt, es gibt quasi keine unnötigen Fähigkeiten. Es gibt aber auch keine Beschränkungen, in welche Richtung man sich entwickeln kann oder soll. Es gibt bei Permakultur eine Wertschätzung für viele Dinge. Und diese muss auch da sein, um zu einer nachhaltigen Betrachtung zu gelangen.

Diesen Juni findet der erste 72h-Permakultur-Design-Kurs in Hamburg statt. Was geschieht da?

Judith: In Permakultur-Kursen geht es nicht so sehr darum, theoretisches Wissen zu vermitteln, sondern gemeinsam Projekte zu realisieren. Das heißt, Permakultur fasst auch das Thema »Lernen« noch mal neu an. Natürlich wird es in unserem Workshop einen theoretischen Teil geben, indem wir Fragen behandeln wie: Was ist Permakultur? Aber auch: Was ist eigentlich urbanes Leben – also wie sieht das System »Stadt« aus? Und was unterscheidet es vom System »Land«?

Daneben gibt es vor allem aber auch einen praktischen Teil. Einerseits im Sinne eines Design-Workshops, bei dem wir eine Fläche für einen Stadtgarten finden und gestalten wollen. Und zum anderen Erkundungen, bei denen wir schauen, was es in und um Hamburg überhaupt schon alles gibt. Der Kurs findet übrigen vom 1. bis 13. Juli statt in der Werkstatt 3 in Altona. Weitere Informationen findet ihr auf der Seite des Permakultur Instituts.

Wieso spielen Lebensmitteln und Urban Gardening eine so wichtige Rolle?

Frank: Einerseits ist die Lebensmittelherstellung ein Bereich in dem sehr viel Energie verbraucht wird und der schwere Umweltzerstörungen verursacht (Regenwald für Tierfutter abholzen, Meere leergefischt,…). Andererseits ist aber auch ein Bereich, in dem wir relativ leicht und schnell positive Ergebnisse bekommen können.

Judith: Permakultur beschäftigt sich aber zum Beispiel auch mit Mobilität, Energie, Gemeinschaftsbildung und alternativen Wirtschaftsmodellen. Es geht um einen grundsätzlichen Kulturwandel in allen Lebensbereichen, weg vom Streben nach immer mehr Wachstum und Ausbeutung, hin zu Kreisläufen und Zukunftsfähigkeit.

Ihr sprecht von Resilienz – und nicht von Nachhaltigkeit. Wo ist da der Unterschied?

Judith: Die Grundidee hinter dem Begriff Nachhaltigkeit ist, dass man einem System nicht mehr Ressourcen entnimmt als nachwachsen können, in der Hoffnung, Umweltveränderungen wie etwa einen dramatischen Klimawandel zu verhindern. Resilienz bedeutet Widerstandsfähigkeit, die Fähigkeit, sich krisenhaften Veränderungen stellen zu können. Ein drastisches Beispiel wäre: wie können wir die Nahrungsmittelversorgung in Hamburg sichern, wenn Energie so teuer ist, dass Lebensmittel nicht über hunderte oder tausende Kilometer mit LKWs transportiert werden können?

Frank: Dabei geht es auch darum, wieder mit Redundanzen zu arbeiten. In der Permakultur versucht man Systeme immer so zu gestalten, dass eine Sache mehrere Funktionen erfüllt und dass umgekehrt jede Funktion durch mehrere Elemente abgedeckt ist. In einem Garten würde man also Wasser nicht nur in Tonnen sammeln und einen Anschluss an das Stadtwasser-System haben – sondern man würde auch dafür sorgen, dass der Boden relativ viel Wasser speichern kann und er gut bedeckt ist, sodass er nicht so viel Feuchtigkeit verliert. Eine bodendeckende Pflanze hat dabei mehrere Funktionen: Sie schützt den Boden vor Verdunstung, dient aber auch als Nahrung für Menschen oder Tiere.

Judith: Im gesellschaftlichen Kontext versuchen wir derzeit aus wirtschaftlichen Erwägungen Redundanzen zu vermeiden. Wenn wir allerdings Redundanzen haben, können wir in Krisensituationen umsteigen, da wir Alternativen.

Wenn wie in dem Beispiel von eben unser globales Nahrungsmittelsystem ausfällt dann gibt es Stadtgärten. Die werden bislang eher hobbymäßig genutzt. Aber es gibt sie und es gibt Menschen, die Erfahrungen mit Gemüseanbau sammeln. Das heißt, man könnte relativ schnell Alternativen schaffen.

Vielen Dank für das Gespräch!


Buchtipps von Frank und Judith

Gärtnern im Biotop mit Mensch, Gerda und Eduard Kleber (gut für den Einstieg ins permakulturelle Gärtnern)

Permakultur I., Bill Mollison und David Holmgren (das Buch, in dem das Konzept Permakultur 1978 zum ersten Mal vorgestellt wurde)

Permakultur Praktisch. Schritte zum Aufbau einer sich selbst erhaltenden Welt, Graham Bell.

Earth Care Manual. A Permaculture Handbook for Britain and other Temperate Climates, Patrick Whitefield (umfassendes Handbuch, englisch)


Foto-Credit: Mein bester Dank für das blumige Hintergrund-Foto in meiner Kollage von Judith und Frank (s.o.) geht an Katharina Wieland Müller (via pixelio).