Wie fassen wir Mut? Und wieso macht Mut unsere Welt besser? Das weiß Theo Schoenaker. Der Individualpsychologe hat ein Encouragement-Training entwickelt. Wir haben nachgefragt.

Lohnt sich denn der Mut, sich für eine bessere Welt einzusetzen?

Er lohnt sich, wenn man an das Ergebnis seiner Aktivitäten glaubt. Was wirklich dabei herauskommt, kann man vorher natürlich nie sagen. Aber je deutlicher und überzeugter wir von unseren Handlungsmöglichkeiten sind, desto sinnvoller ist auch die Arbeit oder das Engagement.

Wie werde ich mutig(er)?

Der Mut ist die Antriebskraft unseres Handelns und ist auch dessen Ergebnis. Wir können nicht erst mutig werden und dann etwas tun. Wir können nur anfangen und durch das Handeln mutig werden. Und genauso werden wir ein ermutigender Mensch. Also: Fang an mutig zu sein, ermutige Dich selbst und ermutige andere. Dann wirst Du mutiger und eine ermutigende Persönlichkeit.

Was ist für Sie Mut?

Mutig ist nicht, wer jetzt endlich mal seinen Nachbarn beschimpft und ihm sagt, was er ihm schon immer einmal sagen wollte. Mut hat mit Gemeinschaftsgefühl zu tun. Das heißt: Terroristen sind nicht mutig. Wenn sie sich selbst in die Luft sprengen sind das Akte der Verzweiflung. Mut bedeutet: Ich tue etwas, was getan werden muss und was auch für die anderen gut ist. Außerdem braucht Mut ein sinnvolles Konzept vom Menschen. Es braucht den Glauben, dass Menschen etwas bewirken können. Und das kann er nur, wenn das Konzept zulässt, dass er frei denkt.

Wenn ich fest davon überzeugt bin, dass ich schlecht und sündig bin oder dass nur irgendwelche Kräfte außerhalb von mir mein Leben bestimmen – dann bin ich gelähmt. Was uns am meisten hemmt, ist der Glaube, dass wir Opfer sind. Opfer der gesellschaftlichen Entwicklungen oder der Pharma-Industrie oder der Erziehung oder vieles mehr. Aber das sind wir nicht. Wir sind selbst die Gestalter unseres Lebens. Jetzt kannst Du denken und Dich orientieren und etwas tun. Je mehr das in den Köpfen durchdringt, das jeder etwas tun kann – umso mehr können wir neue Wege gehen.

Warum ist Ermutigung dabei so wichtig?

Die Individualpsychologie von Alfred Adler geht davon aus, dass der Mensch ein mit Vernunft begabtes, soziales Wesen ist. Das heißt, wir können und müssen unseren Verstand gebrauchen – und die Richtung unserer Bewegung im Leben ist sozial. Und weil das so ist, hat der Mensch drei zentrale Lebensaufgaben zu erfüllen, sodass die Menschheit überleben kann. Das erste ist die Liebe – also auch Sex und Fortpflanzung. Das zweite ist Arbeit, also beispielsweise die Herstellung von Nahrungsmitteln – und da spreche ich den Faktor Gerechtigkeit noch gar nicht an. Und das dritte ist, dass wir eine Form des Zusammenlebens oder der Gemeinschaft finden müssen. Für alle diese drei Aufgaben brauchen wir ein Gefühl der Zugehörigkeit.

Wenn wir uns zugehörig fühlen, können wir im Rahmen unserer drei Lebensaufgaben das beste aus uns machen. Wenn da ständig an mir herumgemeckert wird und ich das Gefühl habe: Ich gehöre nicht dazu, ich bin nicht gut genug – dann können wir unsere Aufgaben nicht erfüllen. Das gilt für den Arbeitsplatz, die Partnerschaft, die Nachbarschaft und so weiter. Dann kann ich nur abhauen oder stören und mir so meinen Platz erobern. Das sieht man gut an Kindern. Erst durch die Ermutigung entsteht das Gefühl der Zugehörigkeit. Ich erlebe: Ich bin gut genug, so wie ich bin. Ich gehöre dazu. Auch wenn ich Fehler mache.

Sind wir denn auf dem Weg zu einem weit verbreiteten Gefühl der Zugehörigkeit?

Es passiert schon unheimlich viel, überall: In den Nachbarschaften, in der Kirche, in Schulen, Gemeinden, überall. Innerhalb dieser Gruppen gibt ein starkes Zugehörigkeitsgefühl. Doch das ist gerade das Problem. Wenn wir über Weltfrieden sprechen genügt das nicht.

Die Soldaten an der Front sind ja keine schlechten Menschen oder von Natur aus aggressive Wesen. Diese Menschen fühlen sich zu ihrer Gruppe, zu ihrem Land zugehörig. Und sie haben gelernt, dass der andere ein Feind ist. Und der andere, der Feind, denkt genauso. Das heißt, das Zugehörigkeitsgefühl ist notwendig, um überhaupt sozial leben zu können. Doch wir denken im Moment zu klein.

Wir denken in Zugehörigkeit zu jemandem oder zu einer Gruppe oder einem Land. Wir müssten aber in den Kategorien denken wie: Zugehörigkeit zu Europa, der Welt, der Menschheit, der Natur insgesamt. Wir müssen lernen, dass es nur eine Religion gibt – die von Mensch zu Gott. Sonst gibt es sehr, sehr starkes Zugehörigkeitsgefühle, aber sie sind dann Teil des Problems. Dann denkt der eine nämlich: Ich bin besser als der andere. Das entmutigt letztlich auch.

Inwieweit kann und muss man gegen das Übel in unserer Welt kämpfen?

Grundsätzlich halte ich nicht so viel vom Kämpfen, denn es bleibt ja immer ein Verlierer übrig und der ist der Feind von morgen. Wir sollten gelassener werden, denn Lösungen sind kurzfristig nicht möglich. Denken Sie an den Weltfrieden. Die Politik kann etwas machen, die Religion und die Wissenschaft. Aber es gibt keine kurzfristigen Lösungen. Wir Menschen können nur lernen, besser miteinander umzugehen. Dazu brauchen wir eine ermutigende, besonnene Art, wie wir miteinander umgehen. Diese kann auf Dauer etwas bewirken – aber das braucht Zeit.

Wie haben Sie eigentlich herausgefunden, das „Mut“ Ihr Lebensthema ist?

Ich habe zunächst mit Stotterern gearbeitet. So war ich 20 bis 30 Jahre von Erwachsenen umringt, die stotterten. Dabei habe ich viele Momente der Verzweiflung erlebt, denn das Stottern ist ein sehr hartnäckiges Symptom. Doch es gab Zeiten, in denen diese Menschen mehr stotterten und solche, in denen sie weniger stotterten. Und ich habe entdeckt, dass dies an ihrem Selbstvertrauen liegt. So habe ich das mit dem Stottern beiseite gelegt und mich auf das Thema „Selbstsicherheit und Mut“ verlegt: Wie ermutigt man denn Menschen?

Und wie ermutigt man Menschen?

Ich habe mir Menschen angeguckt, die einen ermutigenden Einfluss auf andere haben und habe mich fragt: Was hat der gemacht. So habe ich zehn Eigenschaften gefunden, die man üben und lernen kann. Und mittlerweile habe ich an über 200 Fällen erlebt, dass Menschen, die diese Qualitäten haben oder lernen, die besten Fortschritte machen.

Also: Menschen, die sich darauf fokussieren andere zu ermutigen, die fassen selbst mehr Mut und Selbstvertrauen. Diejenigen, die immer nur um sich kreisen und sich immerzu fragen: „Was habe ich davon?“ – die werden auf Dauer psychosozial krank. Mehr oder weniger, aber sie werden krank. Das heißt der Weg zu psychosozialer Gesundheit ist die Gemeinschaft und die Fähigkeit, andere ermutigen zu können.

Also andere ermutigen ist wichtiger als mutig zu sein?

Genau! Also: Fang an und der Mut kommt. Mach Dir am besten nicht allzu viele Sorgen, sondern tue einfach etwas, ermutige und bleibe da dran.

Wie sieht denn eine bessere Welt aus, in der wir uns gegenseitig ermutigen und mutig sind?

Es gibt schon ein Beispiel, dass zeigt, wie diese bessere Welt aussehen kann: Der Klassen- oder auch Familienrat. Das ist eine Vorlage, wie künftige Gesellschaften miteinander umgehen können. In diesen Klassen oder Familien hängt ein großes Blatt Papier an der Wand, auf das alle die Probleme, die sie mit anderen haben, aufschreiben – aber auch das, was die anderen richtig gemacht haben. Einmal in der Woche gibt es eine Sitzung: Die Kinder sitzen mit dem Lehrer oder den Eltern im Kreis und beginnen mit einer Ermutigungsrunde. Einer nach dem anderen ermutigt einen anderen. Sie lernen schnell, dass sie den anderen meistens für sein Sozialverhalten loben.

Nach der Ermutigungsrunde kommen die Probleme dran. Man geht das Blatt durch und fragt, ob die Probleme noch aktuell sind. Dann fangen alle an, Lösungen zu suchen. Kinder lernen dabei, das Gute im Anderen zu sehen, Probleme klar zu beschreiben und zu warten, bis es an der Zeit ist, das Problem anzugehen. Sie lernen über Lösungen nachzudenken und respektvoll die Meinung oder Sichtweise des anderen wahrzunehmen. Sie lernen, was wichtig ist: Ermutigung, Gemeinschaftsgefühl und Beratung.


Links zum Thema