Die Deutsche Einheit jährt sich heute zum 20. Mal und alle Welt will daraus eine Jubelveranstaltung machen. Selbst unser neuer Bundespräsident kommt endlich dazu, seine erste große Rede zu halten und es gibt sogar Gratulationen von der Weltraumstation ISS. Doch ist es wirklich ein Grund zum Feiern? Es heißt zwar „Tag der Deutschen Einheit“, doch wohin man auch schaut, man sieht viel eher Uneinigkeit und Ungerechtigkeit. Es kann sein, dass wir einfach noch ein paar Generationen brauchen, bis „zusammen wächst, was zusammen gehört“. Es könnte aber genauso sein, dass wir uns gesamtpolitisch auf dem Holzweg befinden. Eine Rückschau  und ein Blick auf die nächsten Jahre.
Ich kann mich noch genau an die groteske Szene erinnern, bei der damals von Politikern und einer Menschenmenge vor der Frauenkirche (?) das Deutschlandlied angestimmt wurde. Das klang irgendwie schief und krumm, aber selbstsicher. Gleichzeitig wurde von einem der Zuschauer vor Ort permanent der Mittelfinger in die Höhe gereckt – auch ein Symbol… Das Ganze hinterließ irgendwie einen fahlen Beigeschmack und schürte die Sorge, ob dass was da auf uns zukommt wirklich so prima wird, ob die für in 20 Jahren versprochenen Landschaften wirklich erblühen würden, ob es wirklich zu einem Gemeinschaftsgefühl kommen würde, wo doch der Westen sich anschickte sämtliche Fäden der „Einheit“ in die Hand zu nehmen – und nicht wieder her zu geben.

Ein Land wird geplündert

Ich erinnere mich an die Arbeit der Treuhand, von der man schnell den Eindruck bekam, dass sie nichts weiter tat, als den Besitz der Menschen der DDR zu filetieren. Genauso erinnere ich mich an die westdeutschen Händler die jeden erdenklichen Billigschund einfach in Lieferwagen packten und über Land fuhren, um es den unerfahrenen Menschen im Osten als das reinste Gold (natürlich überteuert) zu verkaufen. Mal ehrlich, der Westen tat zunächst einmal nichts anderes, als sich alles unter den Nagel zu reißen.

Dann die große Frage danach, was in der DDR sinnvoll und erhaltenswert gewesen sei und was nicht. Letztlich wurde alles platt gemacht und durch westdeutsche Gesetze, westdeutsche Produkte und westdeutsche Philosophie ersetzt. Das Gefühl das damit bei den Menschen im Osten zwangsläufig entstehen musste, war das der Unzulänglichkeit und Minderwertigkeit. Kurz gesagt, der Westen – selbst im hohen Maße verschuldet und eigentlich mit seinem kapitalistischen Konzept bereits im Endstadium – stülpte dem Osten seinen „Way of Life“ einfach über. Anstatt so viel Sensibilität und Feingefühl aufzubringen, die Menschen mitzunehmen, auf sie und ihre Erfahrungen zu hören und nicht nur eigene Lösungen durchzusetzen. Einer der größten Fehler der gemacht werden konnte. Heute findet man auch im Osten dieselben Ladenketten und Produkte die man aus dem Westen kannte. Von den Ostprodukten überlebte kaum eins.

Und das Solidaritätsgeld dass von nun an zu zahlen war, floss nach einigen Medienberichten größtenteils in die Taschen westdeutscher Firmen die vor Ort zum Beispiel gewaltige Sanierungsarbeiten durchführten.

Warum wurde keine Konföderation gemacht, ein Zusammenschluss von gleichwertigen Staaten, ausgestattet mit dem Grad an Souveränität der notwendig ist, um allen Menschen Selbstachtung und Lebenssinn zu geben? Warum ging das nicht? Diese Frage drängte sich mir damals während des Einigungsvertrages auf und heute, 20 Jahre danach, noch umso mehr.

Stattdessen gab es Kahlschlag wohin man schaut. Die 20 Jahre nach der Einheit, insbesondere die letzten 5 Jahre sind geprägt von unsozialen politischen Entscheidungen, von Demonstrationen der Staatsmacht und der Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen gegen die Interessen der Menschen – mit allen Mitteln; die meisten von ihnen muss man einfach als unsauber und abgefeimt betrachten. Kein Wunder also, dass damit politische Gegenbewegungen gestärkt wurden. Wäre Die Linke heute so populär, wenn es in den letzten 20 Jahren gerecht zugegangen wäre? Bestimmt nicht! Wer also beklagt, dass diese Partei so kurz nach der Auflösung der DDR wiedererstarken konnte, aber gleichzeitig alle unsozialen Gesetze und Maßnahmen gutheißt, muss sich zunächst an die eigene Nase fassen.

Und wie geht es weiter?

Doch dieser Zug ist abgefahren. Wir werden nicht wieder zur Ruhe kommen, denn die ungerechte Politik wird die nächsten Monate noch drastischer werden und alle konservativen Kräfte werden sich zusammen rotten, da sie von diesen profitieren. Sie werden Unmut und Sozialneid voran treiben und die Gesellschaft weiter spalten – und im gleichen Moment von Einheit sprechen. Gleiches bei den Linken, auch sie werden weiterhin Unzufriedene anziehen und damit an Bedeutung gewinnen. Gleichzeitig werden sich die Volksparteien weiter auflösen, denn auch wenn sie noch so viel von der Mitte sprechen – sie können es sich gar nicht leisten, in dieser zu verharren. Die SPD muss sich einen neuen sozialen Touch geben und ist ja auch schon dabei, um die Abwanderung zur Linken zu stoppen. Ich vermute, dass ihnen das nicht mehr gelingen wird. Und die konservativen Parteien, CDU und CSU, werden noch stärker nach Rechts rücken, um allen Menschen die an der gegenwärtigen Entwicklung noch profitieren und zu profitieren hoffen eine Heimstadt zu sein. Das führt jedoch in der Konsequenz dazu, dass es am Ende nur noch zwei Kräfte geben wird. Eine extremer werdende Linke und eine extremer werdende Rechte – beides der reinste Horror.

Und die FDP? Tja, sie setzte stets auf den Mittelstand und auf Besserverdiener. Doch diese Klientel schrumpft – gerade wegen der von ihnen unterstützten neoliberalen Politik.  Die FDP hat also weder begriffen, dass ihre Wählerschaft ausdünnt, und wenn doch, dann zumindest nicht, dass sie Politik gegen genau diese Gruppe betreibt. Das Gleiche bei den Grünen. Im Moment im Aufwand muss man die Grünen jedoch stets an ihre Realpolitik erinnern. Hier in Hamburg wurde schlichtweg der Wähler belogen („Ohne uns gibt es kein Moorburg-Kraftwerk“) und man hat den Eindruck, da halten sich Politiker lediglich wegen der Pensionen krampfhaft an ihren Stühlen fest. Und auch auf Bundesebene. Wer bitte schön saß bei der Lockerung der Finanzmarktgesetze und bei der Zustimmung zum Afghanistankrieg auf der Regierungsbank. Der Eindruck, dass hier eine Partei – ebenso wie die SPD – ihre Grundprinzipien über Bord geworfen hat, lässt einen Kloß im Hals zurück. Je schlimmer jedoch die Situation in unserem Lande wird, desto weniger wird man hier tatsächlich Lösungen erwarten können, denen man auch Glauben schenken mag. Traurig, aber auch bezeichnend für eine Wandlung der politischen Kultur.

Am Ende könnte es sein, dass tatsächlich nur noch zwei große Sammlungsbewegungen nachbleiben, eine linke und eine rechte – auch wenn ich diese Bezeichnungen für absolut untauglich halte. Doch in der Konsequenz könnte das bedeuten, dass einige Bundesländer links und andere rechts regiert werden. Doch die tiefe Kluft und zu erwartende aggressive Opposition wird eine geordnete Politik nicht möglich machen und – schlimmer noch – auch die Menschen auf der Straße weiter gegeneinander aufbringen. Die Gefahr der Uneinigkeit wird also eher noch größer.

Was wir lernten können – wenn wir wollen

Die positive Bilanz der letzten 20 Jahre könnte vielleicht sein, dass der Westen doch noch vom Osten zu lernen beginnt. Er könnte das an vielen Stellen, doch die wichtigste könnte schon bald auch zu entscheidenden werden: Wir im Westen sind in den letzten Jahrzehnten gleichgültiger geworden, satter, egoistischer und arroganter. Uns ging es gut und darauf bilden sich viele was ein (ohne zu begreifen, dass unser Wohlstand auf dem Rücken der ärmsten Völker betrieben wurde). Wir könnten lernen uns neu zu erden, vielleicht mehr darauf zu achten, was im Leben wichtig ist und – vor allem – dass man nicht alles hinnehmen sollte. Wir haben schlichtweg vergessen wie das geht mit dem Protest. Wir ereifern uns zwar gegen andere, sind neidisch, tückisch und sogar wütend auf diejenigen die uns jetzt als Täter verkauft werden sollen, doch wir sind schlichtweg feige wenn es darum geht, sich gegen die zu wenden die uns das Ganze eingebrockt haben. Doch dies kann nun mal erst geschehen, wenn wir erkennen, dass wir selbst dazu beigetragen haben, durch unseren Ehrgeiz, durch unser Profistreben, durch unser Konkurrenzdenken und unsere unersättliche Gier nach mehr.

Die Menschen in Stuttgart machen es uns gerade vor. Warum sollen wir still halten und jeden Unfug mittragen, den sich eine Handvoll Leute ausgedacht hat, um noch mehr Profite zu machen? Warum sollen wir den Mund halten und lediglich bezahlen? Die Gegenwehr gegen das Projekt Stuttgart 21 zeigt a) dass es eben nicht nur „linke Chaoten“ sind, die nun beginnen „Nein!“ zu sagen und das auch zu zeigen. Es sind Menschen aus allen Gesellschaftsschichten,  junge Menschen, alte Menschen, Arme und Reiche – ein Querschnitt durch unsere Gesellschaft die, dass sollten die Verantwortlichen erkennen, einfach die Nase voll haben von dieser Politik des Eigennutzes. Der Protest zeigt b) dass der Staat eigentlich nur das Mittel der Autorität und Gewalt besitzt. Argumentieren kann er nicht, denn da gibt es nicht viel zu sagen. Er kann sich nur gegen die Demonstranten aussprechen, sie über ihre Haus- und Hofmedien verteufeln oder sie nieder prügeln. Doch jede dieser Maßnahmen kehrt als publizistischer Boomerang zurück. Denn Politiker wollen geliebt werden und diese Liebe wird ihnen nun entzogen. Und in diesem Gefühl sind sich die Deutschen wirklich schon sehr einig!

Heute am Tag der Deutschen Einheit ist Gelegenheit über Einiges nachzudenken. Zum Beispiel über die Frage, wer in unser Gesellschaft Einigkeit herstellen hilft und wer sich dagegen verhält und diese sogar bedroht. Die Antwort ist leicht zu finden…