Digitale Zivilcourage . Ein pochendes, digitales Herz.

Warum wir gerade jetzt digitale Zivilcourage brauchen

Zivilcourage bedeutet, sich mutig und verantwortungsvoll für das Gemeinwohl einzusetzen, auch wenn es schwierig wird. So können wir digital Haltung zeigen.

Hass, Desinformation und Überwachung sind Gift für das Miteinander im Netz. Bedrohen Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wie gehen wir mit dieser großen Herausforderungen um? Wir könnten uns auf eine unserer größten Stärken besinnen, unsere Zivilcourage. Mutig Haltung zeigen, Falschinformationen entgegentreten und online für Respekt und Gerechtigkeit einsetzen.

Wenn alle Hemmungen fallen

Einer der Gründe, warum ich mich auf den große Social Media-Plattformen nie richtig wohlgefühlt habe, war das riesige Erregungspotenzial. Da bockten und keiften die Menschen und droschen wild aufeinander ein. Selbst wenn die Themen gar nicht so wichtig und tiefgreifend waren. Da fiel eine hungrige Meute von Kommentierenden über jemanden her und ließ alle Hemmungen fallen. Das hatte nichts mehr von einer wohlwollenden Unterhaltung. Am Anfang war mein Impuls, den Angegriffenen zur Seite zu stehen und für einen respektvollen Umgang einzutreten. Doch es wurde immer mehr, immer aufwändiger.

Erst nach und nach erfuhr ich, dass das kein Zufall war. Dass das ständige Aufeinandereinprügeln, all der Hass, die Aufregung und Dauerempörung teil eines Geschäftsmodells sind. Große Social-Media-Plattformen maximieren Aufmerksamkeit und Nutzerbindung mit ihren Algorithmen, die Hass und Hetze verstärken. Emotionale und toxische Inhalte werden nun mal öfter geteilt. Dieses Modell macht aus polarisierenden Beiträgen ein zentrales Element ihres Geschäfts, das die Einnahmen aus Werbung in die Höhe treibt, während die gesellschaftlichen Schäden ignoriert werden [1].

Und das halte ich für absolut unanständig. Nein, es ärgert mich heftig, denn aus meiner Sicht widerspricht der grundsätzlichen Natur des Menschen, die ich für kooperativ und hilfsbereit halte.

Die deutschsprachige Studie „Lauter Hass – leiser Rückzug. Wie Hass im Netz den demokratischen Diskurs bedroht“ des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz (2024) beleuchtet dies detailliert. Und fordert explizit, Plattformen finanziell für Schäden durch ihre Geschäftsmodelle haftbar zu machen. Aber das ist ja nur die eine Seite, die der Betreiber. Wie heilen wir unserer Wunden?

Soziale Medien schreddern den Diskurs

Sich von Orten zurückzuziehen, die von der Eskalation leben, war für mich ein wichtiger Schritt, den ich nur empfehlen kann. Der bringt erst mal Ruhe rein. Doch er reicht leider nicht. Denn dieses digitale „Geschäftsmodell“ hat sich längst ins reale Leben ausgeweitet. Und nun sind wir an einem Punkt angekommen, wo es zu einer großen, wenn nicht zur größten gesellschaftlichen Herausforderung geworden ist. Wir sind dünnhäutig, nervös, empört und aufgebracht. Und verlieren genau den Zusammenhalt, den wir jetzt so dringend brauchen.

Auf den Punkt gebracht: Manipulative soziale Medien schreddern gerade den Diskurs und erzeugen Misstrauen in andere Menschen und Institutionen. Dadurch schwindet auch die so wichtige Zivilcourage. Potenziell engagierte Menschen werden durch Hass und Desinformation abgeschreckt und ziehen sich aus öffentlichen Debatten zurück. So wie ich. Pures Gift für die Gesellschaft und unsere Demokratie, wie eine Studie des Max-Planck-Instituts (2025) bestätigt: „Digitale Medien bedrohen Demokratie“ [2].

Es braucht Zivilcourage. Also den mutigen Einsatz für das Gemeinwohl, selbst wenn ein persönliche Risiko besteht. Der Begriff stammt aus dem Lateinischen („civis“ für Bürger) und beschreibt das verantwortungsvolle Handeln zum Schutz von Recht, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit. Das offene Eintreten gegen Ungerechtigkeiten, das Helfen und Unterstützen von Menschen in Not sowie das Bewahren demokratischer Werte – sowohl im Alltag vor Ort als auch zunehmend im digitalen Raum. Eigentlich selbstverständlich und, wie ich glaube, eine echte Stärke des Menschen, wenn man es fördert und ihn machen lässt.

Doch wir haben ein Problem: Wir kommunizieren nur noch über ein paar soziale Kanäle miteinander. Digital. Und wir handeln genau dort wichtige, soziale Belange aus, wo uns Zivilcourage ausgetrieben wird. Versuchen Meinung zu machen, gesehen zu werden und Reichweite zu bekommen. Auf der Strecke bleiben das Gemeinwohl und letztlich die Basis für die Demokratie: Wohlwollen und Vertrauen. Wer hat schon Lust auf Shitstorms.

Digitale Gewalt wird in Kauf genommen

Die wenigsten können sich vorstellen, Plattformen wie X, Facebook, Instagram, TikTok oder YouTube zu verlassen. Dort hat man sein Netzwerk, dort erlebt man was, informiert sich und fühlt sich als Teil einer Gemeinschaft. Dass dieses Erlebnis komplett kuratiert ist, also gesteuert, dass die Informationen gesiebt, ausgesucht und oftmals bezahlt und alle Tätigkeiten genau beobachtet werden, nimmt man in Kauf. Denn dort nicht zu sein bedeutet raus zu sein, aus dem Spiel. Bedeutungslos, ungehört, womöglich bald vergessen. Das viele das in einer Welt der Aufmerksamkeitsökonomie fürchten ist vollkommen klar.

Aber dafür wird leider auch in Kauf genommen, dass ein rauer Ton herrscht, das Aufregung und Auseinandersetzung zum digitalen Alltag gehören. Und dass es jemanden trifft. Das Menschen angefeindet, verlacht, beschimpft und auf fieseste Weise angegangen werden. Das sich teils heftigste Emotionen gegen sie entladen. Genau damit beschäftigt sich die Studie „Angegriffen & alleingelassen“ von HateAid und der TU München (2025). Sie dokumentiert, wie Hassrede auf den Plattformen zu massiven Angriffen führen. Betroffene emotional trifft und sie aus dem digitalen Raum vertreibt – mit Beispielen für Beschimpfungen, Verspottung und Dauerhetze [3].

Digitale Zivilcourage wäre also der mutige Einsatz für das Gemeinwohl, selbst wenn ein persönliche Risiko besteht – in der digitalen Welt. Doch was heißt das genau? Wie kann man Zivilcourage zeigen?

Wie digitale Zivilcourage zeigen?

Ilona hat sich bereits mit der Frage befasst. In ihrem Beitrag „Was kann ich gegen Digitale Gewalt tun? Wie schütze ich mich vor Hass im Netz?“ zeigt sie, wie man sich vor digitaler Gewalt schützt und dagegen vorgeht. Hier findest Du mehrere ganz konkrete Tipps. Und dazu noch Überlegungen, wie man anderen Menschen helfen kann, die von digitaler Gewalt betroffen sind.

In den Beitrag „Nur Mut: Lovestorm gegen Hass im Netz“ berichtet sie von der Initiative LOVE-Storm [4]. Deren Ziel ist es, Angegriffenen zu Seite zu stehen und ihnen den Rücken zu stärken. Zu ermutigen, sich ebenfalls sinnvoll und hilfreich gegen Hass im Netz einzubringen. Und den Hatern gewaltfrei Grenzen zu zeigen.

Digitale Zivilcourage ist also ein echtes GOOD-REBELS-Projekt gegen toxische Algorithmen und Hetze im Netz. Ein rebellischer Hack, der Mut zeigt, indem man für Fairness und Menschlichkeit eintritt, statt sich in irgendwelchen Echokammern zu verstecken. Im Gegensatz zur klassischen Zivilcourage, die auf der Straße und im echten Leben gezeigt wird, kämpft sie digital für das Gemeinwohl. Setzt sich für andere ein. Für Recht, Freiheit und soziale Gerechtigkeit.

Es gibt viele Wege das zu tun und in den meisten Fällen spürt man, wann Zivilcourage gefragt ist. Wenn nicht, dann lohnt es auf jeden Fall, sich mal kurz Zeit zu nehmen und in andere hineinzuversetzen. Gerade dann, wenn die Wogen hoch schlagen. Die Situationen sind oft sehr individuell, aber einige Dinge sollte man grundsätzlich beachten. Hier ein paar Anregungen.

Was braucht es für digitale Zivilcourage?

  • Als erstes eine mutige Haltung, sich für etwas oder jemanden stark zu machen und das auch zu zeigen
  • Einen Blick für Misstände, um die Momente zu erkennen, wenn deine Hilfe gefragt ist
  • Einen Blick dafür, wann Du etwas ausrichten kannst, ohne dich erfolglos zu verschleißen
  • Am besten Communities, die dir Rückenwind geben
  • Plattform-Kenntnisse, um die Besonderheiten von X, Facebook & Co. richtig einschätzen zu können

Konkrete Maßnahmen

  • Social Media (z. B. X, Facebook, Instagram):
    • Poste gegen Hasskommentare, immer mit Fakten und Empathie, statt mit Gegenhetze
    • Unterstütze Betroffene direkt: „Das ist falsch und unfair – hier die Fakten!“, notfalls melden, wenn jemand zu schlimm mit anderen umgeht
    • Starte Threads (neue Postst), die polarisierende Narrative aufbrechen und Brücken bauen
  • Foren und Kommentarspalten (z. B. Reddit, News-Portale):
    • Teile Quellen und checke Fakten, um Desinformation zu killen, ohne hitzige, endlose Streitorgien füttern
    • Unterstütze die Moderierenden, indem du toxische User aufrufst oder blockst
  • Andere digitale Bereiche (E-Mail, Apps, Gaming):
    • Spreche auf GAme-Plattformen toxische Spieler sachlich an, melde sie und rufe zu fair play auf. Bleibe konstruktiv und vermeide Eskalation
    • Bei Online-Petitionen oder Apps wie Change.org [5] unterschreiben und teilen, auch wenn es Gegenreaktionen gibt

Fazit

Das sind einige Ideen, wie wir digitale Zivilcourage zeigen können. Ich meine, dass wir in diesen aufgeregten Zeiten genau diese „Superkraft“ brauchen. Aber dass es darauf ankommt, nicht weiteres Öl ins Feuer zu gießen, sondern Wege zu finden, zu deeskalieren und wieder ins Gespräch zu kommen. Je mehr wir uns alle zersplittern, desto kleiner die Chance, sich als eine Gemeinschaft zu fühlen. Als eine Gesellschaft, die dazu imstande ist, die großen Herausforderungen ihrer Zeit zu anzugehen.

Ich glaube, dass das Argument „Ich alleine kann sowieso nichts tun“, nicht zutrifft. Nicht zutreffen darf. Denn eine Gesellschaft ist immer eine Gruppe aus Individuen, die aufeinander Einfluss nehmen. Im Guten wie im Schlechten. Menschen die die Welt zu einer „Wir-gegen-die-Geschichte“ machen und andere anstiften, es ebenso zu tun, werden keine echten Impulse für das Gemeinwohl setzen. Denn am Ende geht es nur gemeinsam. Und wenn jedes Individuum darin bestärkt wird, für andere da zu sein und sich einzusetzen, bekommt es direkt etwas zurück. Ein gutes Gefühl, Dankbarkeit und im besten Fall auch Hilfe und Verständnis der anderen.

Zivilcourage bedeutet an dieses Gemeinwohl zu appellieren und sich dafür einzusetzen und (so ist es nun mal) auch und gerade dann, wenn genau das schwierig wird. Jede Stimme zählt. Besonders im Netz. Der persönliche und gesellschaftliche Gewinn von solidarischem Engagement kann riesig sein und der Verlust durch passives Zuschauer ebenso.

Quellen & Links

Marek

ist freier Medienmacher und Rebell – ein unbequemer Fragesteller und leidenschaftlicher Geschichtenerzähler. Schon als Kind zog er mit Bleistift und Neugier los, um die Wahrheit hinter den Fassaden zu entdecken. Heute kämpft er gegen die Scheinwelten aus Manipulation, Spaltung und Oberflächlichkeit. Mit rebellischem Geist und klarem Blick berichtet er über die Themen, die unsere Zukunft formen: digitale Freiheit, gesellschaftlichen Wandel, echte Gemeinschaft und lebenswerte Zukunft. Sein Antrieb: Menschen zu inspirieren, zu motivieren und gemeinsam eine bessere Welt zu schaffen.

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