Repair statt Recycle

Wir leben in einer überfließenden Konsumgesellschaft. Über das Repair Manifest und die psychologischen Gründe für das Reparieren.

Ja, wir leben in einer schlimmen Konsumgesellschaft, in der jedes Jahr ein anderes Modeparadigma unser Erscheinungsbild beherrscht. In dem wir neue Handy- und Rechner-Modelle erwerben müssen (obwohl die alten noch funktionieren), um nicht die Außenseiter zu sein. Und in der die Unternehmen sogar Menschen beschäftigen, die gezielt Sollbruchstellen entwickeln, um so den Absatz neuer Geräte etc. am Laufen zu halten. Das alles ist nicht schön. Es macht uns unfrei. Es verdreckt unsere Umwelt.

Und es verhindert, dass wir Dinge haben, die uns durch unser Leben begleiten – quasi als eine Art „Tagebuch“. Denn wer von uns kennt es nicht, dass man beim Anblick der furchtbar ausgelatschten Turnschuhe daran denkt, wo man mit denen schon überall war. Und was man mit ihnen erlebt hat. Genug Gründe, um sich von der Werbeindustrie nicht mehr in die Irre jagen zu lassen – sondern den Wert der gebrauchten Dinge zu erkennen und sie so lange wie möglich zu erhalten. Zu reparieren, anstatt wegzuschmeißen, im besten Fall zu recyclen und neu zu kaufen. Eine Initiative hat sich dem verschrieben. Wir haben sie bei der Ars Electronica am vergangenen Wochenende getroffen.

Reparieren ist Kunst: Platform 21

Ja, gebrauchte Gebrauchsgegenstände sind mehr als nur gezeichnet. Sie erzählen uns unsere Geschichte. Reparieren wir also Dinge, anstatt sie weg zu schmeißen, werden wir zum aktiven Chronisten unseres Lebens. Und nicht nur das: Wer etwas reparieren will muss kreativ sein. Man muss seine Hände gebrauchen, Wege und Tricks finden, wie man möglicherweise das ein oder andere Ersatzsteil improvisieren kann.  Das ist inspirierend und erfüllend. Findet jedenfalls Arne Hendriks, der deshalb die Plattform 21 (www.platform21.nl) ins Leben gerufen hat.

Das ist eine Initiative von Künstlern. Sie haben zu diesem Thema sogar ein „Repair Manifest“ verfasst, indem sie unter anderem von den Unternehmen fordern, dass diese nur Dinge herstellen, die sich auch reparieren lassen (das könnte man – nebenbei bemerkt – beispielsweise Campers sagen! Das Unternehmen verkauft Schuhe und gibt sich dabei ein recht ökologisches Mäntelchen. Doch sind deren Plastisohlen erst mal abgelatscht kann man nichts mehr machen – obwohl das Leder selbst noch gut ist).

Das man allerdings nie weiß, wie schnell Unternehmer reagieren (oder ob überhaupt) sind die Künstler schon mal selbst aktiv geworden: Sie haben sich recht kreative Reparaturlösungen einfallen lassen,die sehr viele Menschen gebrauchen könnten – auch wenn sie davon vielleicht noch nichts wissen.

Woolfiller: Pulli-Löcher filzen

So hat Heleen Klopper (www.heleenklopper.nl) beispielsweise ein Filzverfahren entwickelt, mit dem man kleine Löcher in Pullovern stopfen kann. Ein Schaumstoff als Unterlage, eine Filznadel und Filzwolle. Dann legt man einen Wollebausch auf das Loch und sticht so lange mit der Nadel durch Wolle und Strickpullover, bis das Ganze verfilzt ist (geht recht schnell). Die Bedingung, damit es funktioniert: Der Pullover muss aus Wolle sein und die Filzwolle muss eine bestimmte Faserlänge haben. Am einfachsten ist es sicherlich, wenn man die Künstlerin unterstützt und sich ein Set via Web bei ihr bestellt (www.woolfiller.com).

Zerbrochenes Geschirr vergolden

Eine weitere Sache, die uns gleichermaßen fasziniert und überzeugt hat: Zerbrochenes Geschirr repariert die Künstlerin Lotte Dekker (www.lottedekker.nl) mit Hilfe von Gold. „Kintsugi“ nennt sich das Verfahren. Es stammt aus Japan – und es sieht einfach wunderschön aus! Nicht ganz so pragmatisch, dafür aber mit mehr Öffentlichkeitswirksamkeit geht Jan Vormann ans Werk: Er besserte bereits in vielen internationalen Großstädten Gebäudeschäden mit Hilfe von Lego-Steinen aus. So auch auf der Ars Electronica in Linz (siehe Foto ganz oben).

Diese und weitere interessante Projekte (auch etliche Do-it-yourself-Anleitungen à la www.instructables.com) gibt es auf der (leider eingestellten, d.h. nicht weiter aktualisierten) Plattform www.platform21.nl. In diesem Sinne wünschen wir: frohes Reparieren!

ilona

ist freie Jour­na­lis­tin, Publizistin, Projekt­ma­che­rin und Medienaktivistin. Seit über zehn Jahren schreibt sie Bücher, Blogposts, macht Podcasts, gibt Workshops und hält Vorträge. Zudem begleitet und berät sie öko-soziale Organisationen, Gemeinschaften, Künstler:innen, Kreative und Aktivist:innen bei der ganzheitlichen und nachhaltigen Planung und Kommunikation ihrer Projekte und Bücher.

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