Christof Herrmann ist weit gereist und hat dabei seine eigene Philosophie über das Reisen entwickelt. Wir sprachen mit ihm über die Idee der Slow Travel – die Lust an der Langsamkeit und Einfachheit, die man beim Reisen besonders gut entdecken kann.
Anderthalb Jahre war Christof mit dem Rad rund um die Welt unterwegs. Drei Kontinente hat er so erkundet. Danach hat er das Wandern (wieder)entdeckt, hat insgesamt viermal die Alpen überquert und macht sich Ende Juni auf eine viermonatige Wanderung auf dem Jakobsweg. Bei all seinen Reisen ist der Weg ein wichtiges Ziel. Ein Gespräch über die Kunst der Slow Travel.
Wie bist du zum Wandern gekommen?
Christof Herrmann: Ich bin mit dem Wandern aufgewachsen. Mein Vater ist ein großer Wanderer und wir sind als Familie im Sommer immer in den Bergen gewandert. Als Student bin ich einige Jahre sehr wenig gewandert, war mehr als Backpacker, mit Interrail oder Mietwagen unterwegs und bin geflogen. Das Wandern habe ich in den letzten zehn Jahren wiederentdeckt.
Was ist Reisen für dich?
Christof Herrmann: Ich hab immer viele Reisen gemacht. Diese Einfachheit beim Reisen, gerade wenn man zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs ist, tut mir gut. Natürlich will man etwas erleben und sehen, sozusagen seinen Horizont erweitern. Aber ich reise eben auch gerne mit wenig Kram und mit wenig Aufgaben, um dieses voll gepackte Leben hinter sich zu lassen. Das ist ja heute noch schlimmer geworden mit Facebook und Smartphone. Vor allem durch langsames Reisen kommt man zur Ruhe und entkommt der alltäglichen Betriebsamkeit, die wahrscheinlich jeder kennt.
Vom Backpacker zum Radfahrer zum Wanderer ist ja ein Weg der Entschleunigung. Wie hat sich dein Reisen durch Slow Travel verändert?
Christof Herrmann: Das Backpacken ist toll, weil man viele Menschen kennenlernt. Doch es ist auch sehr anstrengend, weil man viel in öffentlichen Verkehrsmitteln sitzt und Zeit in großen Städten verbringt. Irgendwann war mir klar, dass das Fahrrad das richtige Verkehrsmittel für mich war, um länger zu reisen – nicht nur ein paar Wochen, sondern viele Monate. Eineinhalb Jahre Backpacken hätte ich nicht gemacht.
Dazu kommt, dass man mit dem Rad zwischen A und B reist – und nicht nur von A nach B, wie beim Backpacken oder mit dem Mietwagen. Gerade wenn man sich eine schöne Strecke aussucht, wo nicht so viel Verkehr ist, dann ist das eine tolle Art, unterwegs zu sein. Außerdem kommt man trotzdem schnell irgendwo wieder hin oder weg, wenn es einem nicht so gut gefällt.
Als ich von der Radreise zurückkam, habe ich das Wandern wiederentdeckt. Das war natürlich noch mal eine Entschleunigung und noch einmal mehr Eintauchen in die Natur. Man kommt zwar pro Tag nicht weiter als etwa 30 maximal 40 Kilometer, in den Alpen meist weniger als 20 Kilometer. Aber was ich da sehe und höre und rieche und vielleicht sogar schmecke, das bekommt man beim Radfahren eben nicht mit. Da ist man auch wiederum zu schnell unterwegs. Und bei Bus und Bahn sowieso nicht.
Was ist das Reizvollste am Wandern?
Christof Herrmann: Das Erlebnis wirklich in der Natur zu sein und so viel mitzubekommen. Es gibt Tage, da hat man nur Natur um sich herum. Mit einem Fahrrad ist man eben doch meist auf Sträßchen oder Forststraßen unterwegs. Beim Wandern kann man das alles hinter sich lassen.
Wandern hat natürlich auch ein paar Nachteile. Zum Beispiel kann man nicht so viel mitnehmen, wobei ich persönlich das nicht als Nachteil ansehe. Für die kommende Wanderung werde ich einen 32-Liter-Rucksack mitnehmen und damit vier Monate auf dem Jakobsweg unterwegs sein. Wahrscheinlich könnte ich auch auf 25 Liter reduzieren, wenn ich mich nicht rein pflanzlich ernähren würde. Deswegen habe ich immer eine Notfallration für zwei Mahlzeiten dabei, denn ich weiß nie, ob ich im nächsten Ort oder am Etappenziel etwas Veganes bekomme.
Wie wichtig sind die denn Reiseziele überhaupt und wonach suchst du sie aus?
Christof Herrmann: Ich möchte schon ein Ziel haben. Sowohl im Leben, als auch beim Reisen. In den letzten vier Sommern wollte ich die Alpen überqueren und bis ans Mittelmeer gehen. Einmal bin ich von München nach Venedig gewandert, dreimal habe ich die Alpenüberquerung Salzburg – Triest gemacht. Außerdem möchte ich jeden Meter gehen und nicht zwischendrin Strecken, die nicht so schön sind oder steil, mit dem Bus oder der Seilbahn überbrücken. Deshalb werde ich bei meiner kommenden Tour auf dem Jakobsweg auch nicht mit der Fähre über den Bodensee fahren, sondern drum herum wandern, auch wenn ich dann zwei Tage länger brauche.
Läufst du auch wieder zurück?
Christof Herrmann: Wenn man es richtig machen würde, müsste man auch wieder zurücklaufen. Früher, vor ein paar hundert Jahren, haben die Menschen das auch so gemacht. Die sind von der Haustüre aus losgelaufen und auch wieder zurück. Sie waren richtig lange unterwegs, manche mehrere Jahre.
Ich werde das nicht machen, aber ich werde mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückreisen. Schließlich bin ich dann ja vier Monate dorthin gelaufen. Die ganze Strecke in zwei Stunden zurückzufliegen, würde meines Erachtens die ganze Fernwanderung irgendwie nichtig machen. In ein Flugzeug bin ich seit Jahren nicht gestiegen.
Nach meinen Alpenüberquerungen bin ich auch immer mit dem Zug zurückgefahren. Das waren jedes Mal sehr schöne Reisen, denn man kommt zum Teil durch genau die Gegenden, die man zuvor durchwandert hat. Da kann man die Zeit noch einmal Revue passieren lassen, man sieht die Landschaft an sich vorbeiziehen und erinnert sich.
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Jakobsweg 2016 live
Ab Juli wandert Christof in vier Monaten über den Jakobsweg: Von Nürnberg bis Santiago de Compostela. Täglich berichtet er mit Fotos und Texten von seinen Erlebnissen. Um seine Reise zu finanzieren, nimmt er dafür 25 Euro. Hier kannst du das buchen.
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Hast du Tipps für Leute, wie sie ihren Urlaub besser planen könnten?
Christof Herrmann: Eine Idee könnte sein, erstmal seine eigene Umgebung zu erkunden. Wir machen das ja heutzutage anders herum: Ich kenne Menschen, die kennen Neuseeland besser, als die Fränkische Schweiz, wo ich herkomme. Also könnte man sich doch auch erstmal in seinem Bundesland oder in seinem Land oder von mir aus auch in Europa umsehen. Dort, wo man ohne Flugzeug hinkommt.
Man kann wirklich sehr viele Sachen zu Fuß erreichen oder mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Es ist interessant, direkt von der Haustür aus loszulaufen oder zu fahren und zu schauen, wie weit man kommt. Wenn man einen halben Tag geradelt ist, dann kommt man schon durch Gegenden, wo man vorher noch nie war und die sind auch schön. Neuseeland ist im Grunde ja auch nichts anderes als eine Mischung aus Norwegen, Irland und der Schweiz. Oft ist der Nutzen, in die Ferne zu gehen, eigentlich gar nicht so groß, wie wir denken.
Und natürlich empfehle ich, mit so wenig Gepäck wie möglich zu verreisen. Vielleicht einen 30-Liter-Rucksack und sich zu sagen: Okay, damit reise ich jetzt vier Wochen. Entweder zu Fuß oder auch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Einfach nicht mehr mitnehmen. Wenn wirklich was fehlt, kann man es nachkaufen oder leiht es sich von anderen Travellern.
Wie ist das mit der Zeit nach dem Reisen?
Christof Herrmann: Ich versuche von allen Reisen irgend etwas mit in meinen Alltag zu übernehmen, was mir gut getan hat, was ich erlebt oder gesehen habe. Das kann etwas ganz Kleines sein. Man muss nicht komplett seinen Lebensstil verändern, nur weil man in Kreta oder sonst wo gesehen hat, dass die Menschen mit weniger glücklicher sind. Aber das zu erkennen und das im Kleinen zu übernehmen und auch versuchen, es beizubehalten, halte ich für wichtig. Mich haben meine Reisen auf jeden Fall stark inspiriert und auf lange Sicht verändert.
Das mach ich übrigens wie beim Lesen. Ich versuche mir bei jedem Buch eine wichtige Sache, einen wichtigen Gedanken oder eine bedeutsame Idee zu merken und in mein Leben zu übernehmen. Und beim Reisen mache ich das auch so. Egal, ob es eine Woche im Schwarzwald war oder drei Monate in Spanien: Was war gut, was hat mich inspiriert?
Auch versuche ich nach der Rückkehr das Einfache und Langsame der Reise wieder mehr in mein Leben zu integrieren. Schnell und kompliziert wird es schnell wieder, wenn man nicht höllisch aufpasst. Selbst wenn ich nur eine Tagestour in die Natur mache und ich einen Tag lang nicht auf mein Handy geschaut oder die E-Mail gecheckt habe, spüre ich die Entschleunigung. Mich macht das Langsame und Einfache schnell glücklich. Ich erkenne, dass ich nach gar nicht so vielen Dingen streben muss. Die Natur kann uns ein erstaunlicher Lehrmeister sein, denn sie eilt nie und dennoch wird alles erreicht.
Vielen Dank für das Gespräch.
Ich habe zu danken.
Bildquellen: Christof Herrmann
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