Mensch und Natur. Foto von Bernd Kasper (via Pixelio)

Wirtschaft und Nachhaltigkeit – das ist in unserem derzeitigen Denken ein Widerspruch. Entweder Arbeitsplätze, Wohlstand und Wachstum oder Umweltschutz, fair Share und soziale Gerechtigkeit. Einer, der meint, dass sich beides auch zusammen denken lässt ist der Deutsche-Bank-Manager Pavan Sukhadev.

Und so hat er sich eine Auszeit von seiner Tätigkeit als Banker genommen, leitete die Green Economy Initiative der UN-Umweltorganisation UNEP sowie die TEEB-Studie, die den ökonomischen Wert von Natur und Ökosystemen erfassen sollte. Auf dem Erdgipfel Rio 2012 präsentierte seine Kampagne >>Corporation 2020<< – und schrieb dazu während seiner Dozenten-Tätigkeit an der Elite-Universität Yale auch gleich noch das gleichnamige Buch, das im Oekom Verlag in Deutsch erschienen ist.

Die Entstehung der Corporation 1920

Keine Frage also, dass Sukhdev zu den Vertretern der so genannten >>Green Economy<< gehört – also denjenigen, die grundsätzlich für ein Wirtschaftssystem mit Privatunternehmen und Wirtschaftswachstum sind. Dennoch meint er, dass die Unternehmen so wie sie derzeit ausgerichtet sind, der Dreh- und Angelpunkt aller negativen Entwicklungen sind.

Um das zu belegen, skizziert Sukhdev zunächst die Entstehung des Konstrukts >>Unternehmen<<. Menschheitsgeschichtlich gesehen ist das Unternehmen, so wie wir es heute kennen, nämlich noch relativ jung. Genau genommen hat es seine endgültige (derzeitige) Form um die 1920er erreicht, weshalb Sukhdev diese Form der Unternehmen auch >>Corporation 1920<< nennt.

Von der Corporation 1920 zur Corporation 2020

Nach dem zweiten Weltkrieg folgte die Ära der Deregulierung, die bis heute anhält. In dieser Zeit konnten die Corporations 1920 ihre alles beeinflussende Machtposition erlangen. Sie sorgen heute dafür, dass wir trotz besseren Wissens in Katastrophen wie Klimawandel, atomaren GAU, globale Armut und so weiter und so fort rennen… zumal immer schneller.

>>Größe, Fremdkapital, Werbung und Lobbying … bilden einen mächtigen Werkzeugkasten für das, was so treffend als ‚unerbittliches Gewinnstreben‘ bezeichnet wurde, denn sie ermöglichen es, die Nachfrage zu beeinflussen, den Vertrieb zu erweitern, die Produktionskosten zu senken, Produktionsmöglichkeiten und einen Wettbewerbsvorsprung zu schaffen, das Unternehmenswachstum zu finanzieren und positive Feedback-Schleifen zwischen all diesen Antriebskräften der klassischen Unternehmensperformance zu erzeugen<<, meint Sukhdev.

Vereinfacht gesagt: Größe, Fremdkapital, Werbung und Lobby-Arbeit erzeugen ein sich selbst immerzu verstärkendes System, das sich immer schneller und schneller dreht, und das keiner der gesellschaftlichen Protagonisten anhalten zu können meint.

Die Lösung: Corporate 2020

Um dem destruktiven Teufelskreis zu entkommen, brauchen wir eine neue Art von Unternehmen: Die Corporation 2020. Doch wie soll die aussehen? Um diese Frage zu beantworten, schaute sich Sukhdev zunächst an, welche Vor- und Nachteile Unternehmen ganz generell für die Umwelt mit sich bringen.

Seine Antwort: Wo die Corporation 1920 heute so genannten externalisierte Kosten erzeugt, die an der Gesellschaft hängen bleiben (zum Beispiel die Kosten der Finanzkrise, der BP-Ölkatastrophe >>Deepwater Horizon<< oder der GAU in Fukushima… die Beispiele ließen sich problemlos fortsetzen), soll die Corporation 2020 einen positiven gesellschaftlichen Spin-Off erzeugen.

Beispiele für diese neue Form eines Unternehmens gibt es laut Suhdev schon: Das IT-Unternehmen InfoSys sorgt mit seiner unternehmenseigenen Akademie zum Beispiel dafür, dass viele Menschen eine Aus- und Weiterbildung erhalten. Es erzeugt also so genanntes >>Human Kapital<<. Das brasilianische Kosmetik-Unternehmen Natura hingegen unterstützt mit seiner Beschäftigungsstruktur die Gleichberechtigung der Frauen.

True Economic Value Added (TRUEVA)

Um nun den (wahren) Wert eines Unternehmen für die Welt (Gesellschaft) einschätzen zu können, schlägt Sukhdev die Kennzahl des so genannten >>True Economic Value Added<< – kurz auch TRUEVA genannt – vor. Diese Kennzahl soll dem ökonomischen Wert eines Unternehmens dessen ökologischen Wert gegenüberstellen.

Ein Beispiel: Bei einem Unternehmen wie etwa BP würden demnach auch die Kosten für Umweltkatastrophen wie die von Deepwater Horizon einbezogen werden (und zwar die gesamten!). Keine Frage: Unter diesem Blickwinkel wären viele Unternehmen, die heutzutage angeblich so großartige >>Gewinne<< abwerfen, unrentabel. Zum Beispiel die Palmöl-Industrie, die zum großen Teil für die massive Abholzung des Regenwaldes verantwortlich ist.

Der Weg zur Corporation 2020

Kein Corporation 1920 würde sich >>freiwillig<< zu einer Corporation 2020 entwickeln. Die drängende Frage ist also, wie sich diese Weiterentwicklung der Unternehmensform voran getrieben lässt. Neben der Einziehung der wahren externen Kosten (mit dem oben genannten TRUEVA) schlägt Sukhdev vor, genau die Fakturen einzudämmen, die dem Corporation 1920 seine Vormachtstellung sichert.

Dazu gehört, das Fremdkapital zu begrenzen, Werbung nur noch verantwortungsvoll zu betreiben und den Verbrauch von Ressourcen, anstatt die Gewinne zu besteuern. Der Weg von der Corporation 1920 zur Corporation 2020 wird kein einfacher sein – Sukhdev rechnet eher mit erheblichen Turbulenzen, deren erste Vorläufer wir schon längst erleben. Doch die bereits eingesetzten Lebensmittel-, Treibstoff- und Klimakrisen ließen uns keine andere Wahl.

Fazit

Pavan Sukhdev liefert mit seinem 260 seitigen einen interessanten Blickwinkel auf die aktuelle Unternehmenskultur – und einen wohltuend optimistische Aussicht darauf, wie es in Zukunft weiter gehen könnte. Allerdings fehlen mir Überlegungen zu der Frage eines unendlichen Wirtschaftswachstums – und was dieses mit der Ausbeutung der Natur zu tun hat.

Ebenso geht Sukhdev nicht auf die Frage ein, wie wir den Konsequenzen abnehmender fossiler Brennstoffe begegnen können; wie wir globale soziale Gerechtigkeit erlangen können (ohne dass wir in der reichen westlichen Welt massiv weniger konsumieren); und wie wir mit den Folgen des Klimawandels umgehen sollten.

Bibliografische Hinweise

Corporation 2020. Warum wir Wirtschaft neu denken müssen

Corporation 2020
Warum wir Wirtschaft neu denken müssen
Pavan Sukhdev
Übersetzt von Annette Bus, Heinz Tophinke und Kurt Beginnen
978-3-86581-437-1
19,95 Euro
Oekom Verlag (www.oekom.de)