Dass uns Google auf Schritt und Tritt überwacht dürfte den meisten bekannt sein. Das wir damit Google in den letzten 13 Jahren zur »uneinholbar besten Suchmaschine« gemacht haben, wie der Interface Künstler Johannes P. Osterhoff meint – das dürfte vielen wohl nicht bewusst sein. Diese Autorschaft hätte jedoch nicht nur mehr Anerkennung verdient, meint Osterhoff. Nein, sie müsste auch gewürdigt werden, indem Google die Suchmaschine – ähnlich wie Wikipedia – frei gibt.

Wie Künstler nun mal so sind, hat auch Johannes P. Osterhoff nicht einfach einen platten Brief an Google geschrieben. Nein, er hat sich ein ziemlich witziges Kunstprojekt namens »Google, One Year Piece« ausgedacht, dass seine – und damit unser aller – Autorschaft demonstriert: Er veröffentlicht ein Jahr lang alle seine Google-Suchen im Web. Wir wollten mehr wissen und haben mit ihm gesprochen:

Was passiert da genau, wenn Du googlest?

Jedes Mal, wenn ich bei Google nach etwas suche, sehe ich nicht nur die Ergebnisse, sondern im Hintergrund erstellt ein kleines Programm für jede Suche auf meinem Server eine Webseite. Auf dieser Seite steht die eigentliche Suchanfrage und das Datum. Diese Seite wird automatisch mit allen bisherigen so erstellten Such-Seiten verlinkt. Das ist wichtig, weil für das Ranking der Suchergebnisse bei Google besonders sog. Konglomerate favorisiert werden, d.h. Domains mit vielen einzelnen Unterseiten, die miteinander verlinkt sind. Bei großen Sites ist das so und auch bei Blogs, wie diesem hier. Durch die Dopplung meiner Google-Suchen entsteht so ein Konglomerat aus vielen einzelnen Seiten.

Für das Ranking bei Google kommt noch ein weiterer Faktor dazu – und das ist die Aktualität. Dadurch, dass ich die Suchen dopple, aktualisiere ich meine Seite mit einer sehr hohen Frequenz. Quasi wie eine Nachrichtenseite. Google »mag« das natürlich, überprüft die Seite häufiger und schließt von diesen Werten auf eine höhere Relevanz. So kommt es dazu, dass meine Seiten – die, neben meinem Suchstring, eigentlich gar keinen richtigen Inhalt haben – überraschend gut in den Suchergebnissen angezeigt werden.

Aber nur wenn jemand das gleiche googlet wie Du?

Ja, genau (lacht). Oder etwas ähnliches. Je spezifischer die Suche, desto besser. Wer auf meiner Website auf eine der Suchen klickt, sieht die normalen Suchergebnisse von Google auf meine früheren Suchen und wenn Du da ein bisschen runter scrollst, dann siehst du oft den Eintrag von meiner Performance. Dafür, dass da nur steht, was ich wann mit Google gesucht habe, ist das eigentlich ziemlich gut. Und darum geht es ja bei der Performance – die eigene Suche ist auch relevant.

Unter http://google.johannes-p-osterhoff.com/ findet man alle Google-Suchen des Interface Künstlers…

Und wie kamst Du auf die Idee von »Google, One-Year Performance Piece«?

Ich habe letztes Jahr etwas mehr gegooglet, als eins meiner Projekte zu einem kleinen Meme geworden ist. Wenn plötzlich viele Blogs über ein eigenes Projekt berichten, folgt man so einer Aufmerksamkeitswelle immer noch am besten mit Google.

Seitdem benutze ich Google wohl etwas öfter und irgendwann fiel mir auf, was ich inzwischen alles google. Ich suche nach neuen Projekten von Künstlerkollegen bevor wir uns treffen und schaue nach welches mediale Echo diese oder jene Aktion ausgelöst hat. Ich google ständig bei der Arbeit, google alte Schulfreunde, mich selbst und mir persönlich Unbekannte. Besonders wenn man andere googlet wird es ja eigentlich kompliziert: durch ein sehr einfaches Interface, beauftragt man in den Bruchteilen einer Sekunde ein Unternehmen, Informationen zu dieser Person ohne deren Wissen zu finden. Vor gut 10 Jahren hätte man so eine Firma wohl noch Detektei genannt. Und das Beauftragen einer solchen, hat sich sicher etwas anders angefühlt, als deren trivialisierte digitale Entsprechung.

Aus diesen einerseits sehr freigiebigen Umgang mit Informationen, der aber zugleich nur zwischen mir und Google stattfindet, wollte ich ein Projekt machen. Und so entstand die Idee, meine Suchanfragen, für ein Jahr komplett öffentlich zu machen.

Klickt man darauf, gelangt man zur Google Suchergebnisliste. Gleich unter den Dawanda-URLs findet man Osterhoffs Fake-Seite…

Und welche Botschaft ziehst Du daraus – oder welchen Appell?

Google zieht augenscheinlich einen Vorteil daraus, dass die Suchen isoliert stattfinden und es kaum einen Austausch darüber gibt. Nur so googlet jeder, was ihm in den Sinn kommt. Und nur so kann man durch die Masse aller Suchen auch wieder Trends erkennen und diese Informationen auswerten.

Und das bedeutet, dass wir alle nun schon über 13 Jahre – Google hatte gerade 13-jähriges Jubiläum – zu Googles Unternehmenswert und Suchqualität beitragen. Diese Autorschaft wurde bisher in keinster Weise gewürdigt. Am Anfang von Google stand natürlich eine geniale Idee – die mit den Backlinks. Aber letztlich waren wir Suchende es, die Google zu einer fast uneinholbar guten Suchmaschine gemacht haben.

Und dieser Link führt zu einer minimalistischen Such-Ergebnissseite mit Flattr-Button und Kommentarfunktion

Und siehst Du das kritisch? Also sagst Du: wir sollten stolz darauf sein, dass wir Google so gut machen? Oder sollten wir alle ein Plug-In installieren, um uns nicht so kontrollierbar zu machen?

Die Plug-Ins, die ich benutze, um meine Suchangaben aufzuzeichnen, sind ja eigentlich das Gegenteil der Anonymizer. Aber sobald viele öffentlich googeln und aus den Suchen Webseiten generieren, identifiziert Google die Seiten natürlich und stuft sie im Ranking herab. Eigentlich wundert es mich, dass es noch nicht passiert ist (lacht).

Aber im Ernst, wenn ich über Google rede, hört sich das vielleicht so an als fände ich alles an Google schlecht. Die Leistungen von Google sind schon aus technischer Sicht, und im Bereich der Mensch-Maschine-Interaktion, unerreicht. Google Maps, Streetview, Scholar, all das sind großartige Tools, deren Erfindung und tatsächliche Umsetzung an sich großartig sind und die ich auch nicht missen möchte. Aber Google ist nunmal ein profitorientiertes Unternehmen und deshalb darf bei all den Leistungen auch nicht vergessen werden, wer die Google-Web-Suche eigentlich so gut gemacht hat wie sie heute ist.

Und das sind wir, die User durch unser ständiges Suchen und Auswählen. Und diese intellektuelle Leistung ist im Geschäftsmodell von Google in keinster Weise berücksichtigt. Deswegen trete ich während dem Jahr der Performance auch als Autor und nicht als User auf und sage, dass meine und unsere intellektuelle Leistung bei der Google-Suche nicht hoch genug zu bewerten ist und denen von Autoren gleicht.

Der User als Autor?

Ja, genau. Ich, und wahrscheinlich Du auch, werde im Lauf des Jahres wohl knapp 8000 Mal mit Google suchen. Wenn man alle Suchwörter zusammen nimmt, entspricht das immerhin dem Umfang eines kurzen Buches, einer Novelle etwa. Und wenn man sich vorstellt, wie komisch es uns vorkommen würde, wenn wir jedes Jahr einer Firma so ein Buch mit unseren Interessen und geheimen Vorlieben zur Verfügung stellen …

Wäre es zu weit gegriffen zu sagen, Google sollte das System freigeben – wie das beispielsweise auch bei Wikipedia der Fall ist?

Das wäre ein Weg. Aber auch unwahrscheinlich. Google und Wikipedia sind zwar beide durch unsere Beteiligung groß geworden, aber aus ganz unterschiedlichen Zielen und Rahmenbedingungen heraus entstanden. Eigentlich kann man davon ausgehen, dass Google mit ihren vielen, vielen Services noch genug Geld verdienen wird. Immerhin denkt der Google Chief Internet Evangelist Vint Cerf schon über die Interplanetare Google-Suche nach. (lacht) Und Partizipation und Offenheit haben eigentlich noch keiner Platform geschadet.

Nun findet man auf Deinen Such-Seiten auch Flattr-Buttons und Kommentarfelder – gibt es denn Rückmeldungen in schriftlicher oder monetärer Form?

Also die finanzielle Rückmeldung ist nicht so, dass ich davon leben könnte – aber das habe ich auch nicht erwartet. Mir ging es eher um den Wert der Google-Suche an sich. Und natürlich freue ich mich in diesem Zusammenhang über ein paar Euro, die ich pro Monat dazu kriege. So nach dem einen Jahr werde ich etwa hundert Euro verdienen. Aber ich denke mal, dass auf diese Art noch niemand mit den eigenen Google-Suchen Geld verdient hat und deshalb freue ich mich auch über kleine Beträge (lacht). Und bisher ist es ja so, dass nur Google an meinen Suchanfragen verdient. Schon allein die Tatsache, dass ich einen kleinen Betrag für mich beanspruchen kann, gefällt mir.

Und was die Kommentare angeht, so sind das auch nicht wirklich viele. Es kommentieren manchmal tatsächlich mir vollkommen unbekannte Menschen, aber das ist sehr selten. Hauptsächlich kommentieren Freunde, wenn ich nach ihnen gegooglet habe und sie meine Suchen in den Ergebnissen zu ihrem Namen finden. Die Kommentare sind manchmal aber auch sehr hilfreich.

Z.B. habe ich nach einem Vortrag, den ein Freund und ich besucht hatten nach »hedonistische Tretmühle« gegooglet (Suche 1206 [Link http://google.johannes-p-osterhoff.com/query/1206]). Der Sprecher hatte das damals ausgeführt … Der erste Treffer bei meiner Suche war ganz gut und ich hätte mir den Begriff wohl so gemerkt. Besagter Freund hat mich in den Kommentaren aber darauf hingewiesen, dass es »hedonische Tretmühle« heißt. Manchmal hat eine öffentliche Suche also auch ganz konkrete Vorteile.

Nun sollen Deine Google-Suchen am Ende des Jahres auch als Buch erscheinen. Wie wird das aussehen?

Wahrscheinlich wie eine Art Telefonbuch in Google-Farben. Lustig wird es ja, wenn man versucht, diese Textmenge in eine brauchbare analoge Form zu übertragen. Also wahrscheinlich mit ganz vielen Tabellen, Listen und Diagrammen. Der alphabetische Index der einzelnen Suchworte ist schon fast so umfangreich wie die Suchanfragen selbst. Er ist also irgendwie nützlich und dann doch wieder absurd. Ich finde, so sollte das Buch auch werden.

Danke für das Gespräch!

Mehr zu Johannes Osterhoff: www.johannes-p-osterhoff.com
Zur Projektseite von »Google, One Year Piece«: http://google.johannes-p-osterhoff.com