Tauschen macht einsam. Beitragen erzeugt Gemeinschaft. Das ist vielleicht ein bisschen überspitzt. Aber auf jeden Fall hat das Beitragen eine gewaltige Veränderungskraft, sagt die Ethnologin und freie Wissenschaftlerin Sigrun Preissing. Ein Interview.

Was macht es mit uns Menschen und unseren Beziehungen, wenn wir Dinge und Dienstleistungen tauschen anstatt sie einfach ohne jede Verpflichtung weiterzugeben? Eine ganze Menge, meint die Ethnologin und freie Wissenschaftlerin Sigrun Preissing. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit den Folgen des äquivalenten Tauschens und der Gabengemeinschaften.

Dabei hat sie herausgefunden, dass zum Beispiel eine Bedürfnisorientierte Produktion (BOP) oder eine Gemeinsame Ökonomiegruppe (GemÖk) gewaltige Herausforderungen für uns bereithalten – aber eben auch enorme Veränderungspotentiale.

Was kritisierst du am äquivalenten Tauschen und warum ist Beitragen besser?

Sigrun Preissing: Erst einmal ist es mir wichtig zu zeigen, was der äquivalente Tausch mit sich bringt und was das Beitragen – möglichst ohne es zu bewerten. Ich habe natürlich auch eine Meinung welche Transaktionsform ich in welchen Situationen oder auch im Großen und Ganzen besser finde. Aber ich denke wir können uns nicht entscheiden oder für das Eine oder Andere einsetzen, wenn wir die Zusammenhänge nicht verstehen.

Beim äquivalenten Tausch tauschen zwei Menschen Dinge oder Dienstleistungen, deren Wert sie gleichgesetzt haben. Nach Abschluss der Transaktion sind sie quitt. Sie sind zu keiner weiteren Interaktion oder Beziehung verpflichtet. Sie sind und bleiben getrennt. Man kann auch sagen sie sind frei. Sie müssen nichts mehr miteinander tun.

Das ist nur möglich weil es einen Rahmen gibt, der diese Menschen sozial integriert. Der Rahmen ist meist ein Staat und wir nennen das dann meistens „Gesellschaft“. Dieser Rahmen sorgt im besten Fall dafür, dass die Menschen Bildung erhalten, medizinische Versorgung – man könnte zusammenfassend auch „Fürsorge“ sagen.

Aber tatsächlich geht es nicht um alle Aspekte von Fürsorge. Es geht nur um die Aspekte, die andere Menschen bereit sind im äquivalenten Tausch auf einem Arbeitsmarkt anzubieten. Andere Aspekte sind nicht käuflich. Indem – in diesem Beispiel – der Staat die soziale Integration übernimmt, sind die einzelnen äquivalenten Transaktionen von der Funktion der sozialen Integration befreit.

So entsteht ja auch Schuld, oder?

Sigrun Preissing: Ja, wenn eine der beiden Personen Ihren Teil des äquivalenten Tauschs nicht (sofort) leisten kann, entsteht Schuld. Das ist ein hierarchisches Konzept. Denn letztlich geht es dabei um Macht und Abhängigkeit. Eine Hierarchie besteht auch zwischen den an einer Transaktion beteiligten Menschen und den Transaktionsmitteln. Diese Waren, Dienstleistungen oder auch Geldmittel behandeln wir wie Objekte. Die Menschen bestimmen darüber, tauschen sie, vernutzen sie und so weiter.

Die Objekte werden durch den äquivalenten Tausch meist zu individuellem Eigentum. Diese Hierarchie fällt uns oft gar nicht mehr auf, weil sie so völlig alternativlos wirkt. Sie hat sich in unseren europäischen Köpfen festgesetzt seit der äquivalente Tausch in Europa die dominante Transaktionspraxis geworden ist. Das war etwa im 17. Jahrhundert der Fall.

Doch wenn man sich mit so genannten Gabengesellschaften beschäftigt zeigt sich, dass äquivalentes Tauschen mit all seinen Begleiterscheinungen kein natürliches und alternativloses Transaktionsverhalten ist. Denn in diesen Gemeinschaften tragen die Menschen traditionell bei anstatt äquivalent zu tauschen. Ähnlich ist es auch mit politisch motivierten Interessengemeinschaften, die eine Beitragsökonomie haben.

Äquivalentes Tauschen ist also eine bestimmte Qualität zu Wirtschaften, Beitragen eine andere. Und dazwischen gibt es ein Kontinuum von Mischformen dieser beiden Qualitäten.

Was bedeutet „Beitragen“ in diesem Zusammenhang?

Sigrun Preissing: Beitragen heisst, dass nicht gerechnet wird. Jede und jeder von uns tut das – glaube ich zumindest. Denn wir stellen beispielsweise unseren Kindern zu ihrem 18. Geburtstag ja keine Rechnung für unsere Erziehungsleistung. Täten wir das und sie würden uns bezahlen wären wir quitt. Die Beziehung wäre sicherlich vorbei. Das wollen wir normalerweise aber nicht.

Beitragen ist damit so angelegt, dass die Beziehung zwischen den beteiligten Personen weitergeht. Jedes Beitragen bestimmt die Beziehung. Es erneuert oder startet sie. Und es macht auch sichtbar, was zwischen den beteiligten Menschen möglich ist und was nicht ihrer Art von Beziehung entspricht.

Geben und Nehmen sind bei einem Beitrag beides wichtige Fähigkeiten. Wenn ich so gerne etwas Beitragen möchte und niemand nimmt es an, ist das keine leichte Erfahrung. Und wenn ich immer beitrage, aber meine Bedürfnisse nie erfüllt werden, fühle ich mich wahrscheinlich nicht angenommen.

Außerdem hat Beitragen auch mit Zugehörigkeit zu tun. Es ist das Gegenstück von der Trennung im äquivalenten Tausch. Über Beitragen zeigen wir unsere Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Gruppen. Wir machen sichtbar, dass wir gemeinsame Werte teilen, verbinden uns und sind eingebunden – also sozial integriert.

In Gabengesellschaften ist es unerlässlich, dass jede Transaktion sozial integriert, denn es gibt jenseits dessen keine soziale Integration durch einen weiteren Rahmen, wie den Staat. Oder es gibt ihn, aber er funktioniert (in diesem Territorium) nicht.

Was bedeutet Beitragen für die Hierarchie in einer Gemeinschaft?

Sigrun Preissing: Wenn nicht gerechnet wird, kann man auch nichts schuldig bleiben. In diesem Sinne entsteht keine Hierarchie. Hierarchien gibt es natürlich trotzdem – nämlich jene, die in der Gruppe bereits gelebt werden. Sie zeigen sich in den gemeinsamen Werten. Wenn zum Beispiel Männer in einer Gruppe mehr wert sind als Frauen, so schlägt sich das auch in der Beitragspraxis nieder.

Beitragsökonomie ist also kein Schutz vor Herrschaft. Aber es gibt die Möglichkeit über entsprechende andere gemeinsame Werte eine Gemeinschaft der Freiwilligkeit zu schaffen. Diese Chance gibt es im äquivalenten Tausch nicht. Geld bringt automatisch Hierarchien und Herrschaft hervor, die sich auch nicht abschaffen lassen.

Dazu kommt, dass Beitragen ein anderes Verhältnis zwischen Menschen und zwischen Mensch und Mitwelt voraussetzt und hervorbringt. Ich kann das nicht ganz genau erklären, weil das den Rahmen hier sprengen würde. Aber wenn Menschen nicht abschließend äquivalent tauschen, dann sind die beteiligten Personen beziehungsweise sie und ihre Mitwelt nicht mehr in dem Maße getrennt, wie wir es in unserem Alltag des äquivalenten Tauschs gewohnt sind. Es ist dann auch gar nicht nötig. Auch ist im Beitragen der Begriff „Wert“ im marktökonomischen Sinne sinnlos. Das bedeutet nicht, dass Transaktionen keinen Wert haben. Der Wert richtet sich aber nach den geteilten Werten der Gruppe.

Bedeutet das, dass du lieber beiträgst statt zu tauschen?

Sigrun Preissing: Das kommt darauf an. Manchmal bin ich froh, dass ich äquivalent tauschen kann und mich nicht mit allem und jedem verbinden muss. In dem Leben, dass ich momentan hier in Deutschland führe, würde mich das überfordern. Und ich habe gleichzeitig die Überzeugung, dass Beitragsökonomien für viele gesellschaftliche Probleme Lösungen bereithalten.

Wie wir vom einen ins andere kommen, all diese Fähigkeiten erlernen und nebenbei die Gefahr von totalitären Systemen zu bannen ist, weiß ich leider auch nicht. Das muss ich ja zum Glück auch nicht allein, weil wir so Viele sind und gemeinsam Lösungen finden können.

Meiner Meinung nach ist es gut, wenn wir möglichst viele Erfahrungen im Beitragen machen, experimentieren und mutig voranschreiten, auch wenn wir die vielen Lösungen noch nicht kennen. Gleichzeitig bin ich inzwischen davon überzeugt, dass es für eine Transformation in eine befreite Gesellschaft nicht ausreichen wird, nur Erfahrungen im Beitragen mit Menschen zu machen, die wir kennen und mögen.

Für eine gesellschaftliche Transformation müssen wir diese Beitragserfahrungen auch mit Menschen machen, die wir nicht kennen. Das klingt – je nach dem, was wir gerade für ein Leben führen – sehr ambitioniert. Doch meine Erfahrung dazu ist, dass manches, was sich in der Theorie so kompliziert anhört, in der Praxis gar nicht mehr so dramatisch ist.

Welche Alternativen hast du untersucht?

Sigrun Preissing: Für das Buch „Beitragen und äquivalentes Tauschen“ habe ich zwei Projekte über drei Jahre hinweg begleitet. Zum einen handelt es sich um die Bedürfnisorientierte Produktion (BOP). Zum anderen um eine kleine Gemeinsame Ökonomiegruppe (GemÖk).

Die BOP war ein Projekt, an dem sich ungefähr 800 Menschen beteiligt haben. 14 von ihnen lebten auf dem Pappelhof in Norddeutschland. Zuerst produzierten sie mit den anderen Menschen aus dem Netzwerk gemeinsam Kartoffeln und Getreide, das sie einfach weitergaben (also nicht äquivalent tauschten, sondern als Beitrag ohne Erwartung einer Gegenleistung abgaben).

Das Beitragen im Netzwerk weitete sich aber schnell auf alles mögliche aus. Da das Beitragen einen hohen Wert an sich hatte, gab es intern fast keinen äquivalenten Tausch mehr – egal, um welche Transaktionen es ging.

Die Pappelhöferinnen und -höfer haben die Produktion tatsächlich einige Jahre nur über Beitragen geleistet. Jede Person konnte sich nach ihren Bedürfnissen nehmen. Da es keine Mitgliedschaft gab, hatte niemand einen Überblick, wer dazu gehörte und wer nicht. Das bedeutet im Klartext, dass Geben und Nehmen nicht nur entkoppelt werden sollte. Ein Abrechnen von Geben und Nehmen war tatsächlich nicht mehr möglich. Somit hatte sich das Beitragen also auch zwischen Menschen ausgebreitet, die sich nicht kannten und sich vielleicht niemals getroffen haben.

Die GemÖk war hingegen eine sehr kleine Gruppe: drei Frauen teilten ihr komplettes Geld bedürfnisorientiert untereinander. Dazu gehörten die alltäglichen Einnahmen und Ausgaben, aber auch in die Ökonomie eingebrachte Schulden, Vermögen und eine gemeinsame Altersvorsorge. Was die drei Frauen von einer klassischen Kommune unterschied war, dass sie nicht zusammen wohnten, sondern verteilt in Deutschland und Dänemark lebten. In der GemÖk durfte ich sehr nah die individuellen und kollektiven Prozesse miterleben, die das Beitragen bei den Frauen auslöste.

Wo liegen die Grenzen? Wo stößt man an, wenn man versucht aus der Tauschlogik herauszukommen?

Sigrun Preissing: Wenn wir versuchen, uns der äquivalenten Tauschlogik zu entziehen, stoßen wir an viele Grenzen. Da sind zum einen die eigenen emotionalen Grenzen. Es ist zum Beispiel gar nicht so leicht einfach zu nehmen, ohne etwas zu geben – und sich dabei nicht schuldig zu fühlen. Das kommt daher, dass wir mit äquivalenter Tauschlogik aufgewachsen sind und sie uns ständig umgibt. Zum anderen gibt es natürlich die Grenzen der anderen. Für sie gilt dasselbe.

Aber es gibt auch ganz existentielle Grenzen: die meisten von uns leben in einem Umfeld, indem der äquivalente Tausch dominiert. Natürlich leben wir in einer Welt, in der es Momente des Beitragens gibt, Momente des äquivalenten Tausches und solche, die beides in unterschiedlichen Anteilen enthalten. In manchen Situationen ist das Beitragen vorgesehen. Etwa, wie bereits erwähnt, Kinder großzuziehen. Und es gibt Situationen, die uneindeutig sind: Kann man Liebe beispielsweise nun kaufen oder nicht?

Daneben gibt es aber viele Situationen, in denen der äquivalente Tausch vorgesehen ist. Wenn ich zum Beispiel in einen Buchladen gehe und ein Buch haben möchte, dnan muss ich es gegen Geld eintauschen. Wer als Einzelne*r nur noch beitragen möchte, wird wahrscheinlich nicht mehr wohnen können und vielleicht auch nicht mehr ausreichend Essen haben. Uns fehlen schlicht und ergreifend die geforderten Tauschmittel.

Das heisst in einer Gesellschaft, in der äquivalenter Tausch in ökonomischen Alltagshandlungen dominant ist, können wir uns nur kollektiv dieser Logik entziehen. Das klingt sehr deprimierend. Gleichzeitig gibt es die erfreuliche Nachricht: Es gibt immer mehr Menschen, die sich für ein Leben ohne Tauschlogik interessieren, sich damit auseinandersetzen und diese Freiräume auch leben.

Was könnten konkrete erste Schritte sein, die jemand machen kann?

Sigrun Preissing: Ich finde es zuerst wichtig zu erkennen, wo wir in unserem Leben Beitragen. Wir machen das meiner Meinung nach alle schon! In der Familie, mit Freund*innen, vielleicht in einem Verein oder einer Gemeinde. Aber auch, wenn wir eine Verschenke-Box auf die Straße stellen und sich andere einfach etwas ohne Gegenleistung nehmen können. Das sind nur sehr kleine Beispiele, aber es sind Momente, in denen wir eine andere ökonomische Praxis bereits leben.

Nun können wir reflektieren, wie sich diese Momente anfühlen: was ist leicht und was fällt uns schwer? Wann sind wir vielleicht auch enttäuscht, weil wir andere Erwartungen an die Anderen hatten? Und wie oft fühlt es sich auch leicht an und ist einfach schön, Dinge zu teilen oder anzunehmen, ohne in Gegengaben zu denken.

Das ist in meinen Augen die wichtigste Ressource für eine gesellschaftliche Veränderung. Denn von diesen Erfahrungen aus können wir weitergehen und versuchen mehr Menschen in diese Praxis einzubeziehen. Auch Menschen, die wir nicht kennen. Wir können experimentieren, Netzwerke ausbauen und die Utopie einer ökonomischen Praxis ohne äquivalenten Tausch leben.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Über Sigrun Preissing

Sigrun Preissing verbringt viel Zeit damit, ihre Netzwerke zu pflegen und sich darin zu organisieren. Daneben kümmert sie sich um einen Obstgarten und gründet mit einigen Menschen gerade eine Genossenschaft, um Häuser zu entprivatisieren und sie dauerhaft zu günstigen Mieten bereitzustellen. Darüber hinaus geht sie mit anderen Wissenschaftler*innen der Frage nach, ob wir gesellschaftlich Geld abschaffen sollten oder lieber nicht. Dazu gibt sie gerade ein Buch heraus. Zeit gegen Geld tauscht sie mit dem Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben: in einem Bildungszentrum ist sie als Dozentin angestellt und gibt dort Seminare zur politischen Bildung für junge Erwachsene.

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Cover "Beitragen und Äquivalendes Tauschen" von Sigrun PreissingBeitragen und äquivalentes Tauschen

Alternatives Wirtschaften

Sigrun Preissing

ISBN 978-3-89741-385-6

Preis 34,95 Euro

Ulrike Helmers Verlag

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