Was bringt Meinungsfreiheit, wenn sie nicht an die Wahrheit gebunden ist? Was, wenn nur der / die etwas sagen dürfte, der / die die Wahrheit sagt? Doch: Was ist Wahrheit? Ist Wahrheit eine gesellschaftliche Konvention? Und welche Lüge ziehen Sie eigentlich der Wahrheit vor? Solche und weitere Fragen stellt die Ausstellung >>Freedom of Speech<< im Hamburger Kunstverein

Die Meinungs- und Rede-Freiheit ist ein Recht, das sich die Menschen lange und mühsam erkämpfen mussten und müssen. Ein Recht aber auch, das die Gefahr des Missbrauchs in sich birgt – man denke nur an die Sarazins dieser Welt. Aber natürlich auch an die Tatsache, das wir natürlich alle Tabus haben. Jeder von uns.

Das dem so ist, zeigt gleich am Eingang der Ausstellung die filmische Dokumentation einer Aktion von Christoph Schlingensief: Anlässlich der Wiener Festwochen baute Schlingensief 2000 ein Container-Dorf mit in Östereichs Hauptstadt auf. Darin sollten – ähnlich wie in dem damals so umstrittenen TV-Format „Big Brother“ – Asylbewerber, die täglich aus dem Land gewählt werden konnten. Hintergrund war der damals Aufsehen erregende Wahlerfolg der rechtsgerichteten FPÖ-Partei.

Bilder von der Aktion „Ausländer raus“ in Wien. Weitere Infos findet man auch bei Wikipedia. Schlingensief, Bitte liebt Österreich!, 2000. Foto: Didi Sattmann / Johann Klinger

„Die Epoche der Provokation ist vorbei“, behauptet am Anfang der Dokumentation der Philosoph Sloterdeijk. Im Verlauf der Dokumentation wird allerdings klar, das dem nicht unbedingt so ist: Die Debatten vor dem Container-Dorf werden immer hitziger. Gesetzte, ältere Menschen schreien und kreischen und versuchen Schlingensief in ein Handgemenge zu verwickeln.

Der Stein des Anstoßes ist anscheinend aber nicht die Tatsache, dass es FPÖ-Wahlplakate mit ausländerfeindlichen Parolen und Asyl-Containerheime gibt, in denen die Menschen auf ihre Abschiebung warten. Nein, der Stein des Anstoßes ist, dass Schlingensief mit dieser Aktion das Bild, das Image der Österreicher befleckt.

Und so ist es eine antifaschistische Organisation, die letztlich die Container-Behausung stürmt und die Asylbewerber „befreit“ – anscheinend ohne sich gewahr zu werden, dass sie damit gemeinsame Sache mit rechtsgerichteten Organisationen machen. Denn denen können sie schließlich keinen größeren Gefallen tun, als den Hinweis auf bestehende Misstände zu entfernen.

Der britische Künstler Mark Wallinger rekonstruierte 2007 ein vom Friedensaktivisten Brian Haw errichtetes Protestcamp gegen den Irak-Krieg: Ein Stuhl und ein Megaphon war damals zu 600 Spruchtafel, Plakaten, Bannern etc. an. 2003 wurde das Camp in unmittelbarer Nähe zum Parlament aus „Sicherheitsgründen“ verboten. Credit: Mark Wallinger, State Britain, 2006. Foto / photo: Dave Morgan. Courtesy Antony Reynolds Gallery, London

Damit zeigt sich exemplarisch, das man sich dem Thema „Meinungs- und Redefreiheit“ wohl nicht ideologisch nähern kann. Ob man links oder rechts ist, christlich, jüdisch, muslimisch oder buddhistisch etc. (Stichwort „Karrikaturenstreit“, zu dem es in der Ausstellung auch einen Bereich gibt – u.a. mit einer Southpark Folge…) – es gibt keine gute oder schlechte, keine richtige oder falsche Meinungsfreiheit. Viel eher scheinen wir uns in unserer Gesellschaft darauf geeinigt zu haben, dass über die Diskussion und Pluralität der Meinungsvielfalt ein gutes Mittelmaß zu finden ist (das das eine trügerische Illusion werden kann, ist allerdings auch klar).

Ebenfalls zu sehen in der Ausstellung des Hamburger Kunstverein „Freedom of Speech“: Arbeiten der Nonne Sister Corita Kent. Sie arbeitete – ähnlich wie Warhol, allerdings für eine Nonne eher ungewöhnlich – mit Pop Art. Das brachte ihr den Vorwurf der Gotteslästerung ein. Allerdings wandte sie sich in ihren Werken gegen Rassismus und Armut – und auch den Vietnamkrieg. Von der römisch-katholischen Kirche soll damals nichts zu hören gewesen sein so die Ausstellung. Infos zum Sister Corita Art Center: www.corita.org. Hier zu sehen, die Arbeit: Sister Corita Kent, rose, 1965
Reprinted with permission from the Corita Art Center, Immaculate Heart Community, Los Angeles

Es ist die Frage, wie man mit anderen Meinungen bzw. einem selbst unangenehmen Meinungen umgeht – und wo man die Grenze zieht. Solche Fragen und Überlegungen sind in Zeiten wie diesen – in denen die Debatten immer hitziger werden (siehen Stuttgart21, Castor-Transporte, Sarazin oder Wikileaks) von besonderer Bedeutung. Kunst kann uns dabei insofern eine Hilfe sein, als dass sie Kontraste, Zusammenhänge und Widersprüche unserer Gesellschaft spielerisch aufzeigen kann… Und in dem sie vielleicht die letzte Bastion der wirklichen Meinungsfreiheit ist, in der auch Tabus angesprochen werden können, über die wir sonst schweigen möchten.

Mit ihrer Aktion „bürgersteig“ thematisierte die Künstlerin Silke Wagner 2001 und 2002 die Abschiebepraxis in der Bundesrepublik. Dabei überschritt sie die Grenze zwischen Kunst und Aktivismus: Ein VW-Bus wurde zum Kunst-, Aktions- und Informationszentrum gleichermaßen. Lackiert mit einer, der Lufthansa nach empfundenen Corporate Identity sorgte die Aktion nicht nur für Aufsehen, sondern auch für einen Prozess von Seiten der Fluggesellschaft. (In Zusammenarbeit mit aktion-fluchtwagen, Unabhängige Antifa Aktiv, kein mensch ist illegal – Hanau. Foto: Wolfgang Günzel)

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Infos zur Ausstellung

>>Freedom of Speech<<
bis 30. Januar 2011
Infos und kostenlose App: www.kunstverein.de

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Credit zum Bildaufmacher: Dan Perjovschi mixt Graffiti und Illustration, um weltweit auf Gebäuden Statements zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen zu hinterlassen (www.perjovschi.ro)