Wie leistungsorientiert ist eigentlich unsere Leistungsgesellschaft?

Linke Kritiker und Kritikerinnen unterstellt man per se nicht unbedingt den Willen zur Leistungsgesellschaft. Das ist so aber nicht ganz richtig, meinte Sahra Wagenknecht bei einer Veranstaltung der Nachdenkseiten, deren Video-Aufzeichnung nun online ist. Es sei im Gegenteil vielmehr so, dass wir weder eine tatsächliche Leistungsgesellschaft hätten derzeit, noch dass die aktuelle Politik – und zwar weder unter Rot-Grün noch und Schwarz-Gelb – eine solche fördern würde.

Wie Wagenknecht auf diese Idee kommt? Ganz einfach: Mit Erwerbsarbeit kann heute niemand mehr „reich“ werden (wenn man darunter nun einmal ausschließlich monetären Reichtum versteht). Vermögen lassen sich in diesem, wie in vielen anderen Ländern nur noch durch Vermögen anhäufen. Sprich: Das leistungslose Einkommen durch Privatvermögen lohnt sich in Deutschland und darüber hinaus so richtig.

Das lässt sich auch mit Zahlen belegen. Laut einer US-amerikanischen Studie, so Wagenknecht, entstünden 80 Prozent aller Vermögen aus Erbschaften. Dieses Privatvermögen setzte sie in ihrem Vortrag für Deutschland mit 5 Mrd. Euro an. Aufschlussreich sei ihrer Ansicht nach auch der Vergleich von Reallohnzuwachs und dem Zuwachs bei den Erträgen aus Unternehmensanteilen. Während letztere seit Anfang des Jahrtausends um etwa 35 Prozent gestiegen seien, sei die reale Kaufkraft der Löhne um 4 Prozent gefallen.

Das Fazit:

Leistung lohnt sich also definitiv nicht! Allerdings haben die meisten von uns eben keine Wahl… Nun fragt sich aber, wie es zu einer solchen Entwicklung kommen konnte? Wagenknecht widmet sich bei ihrer Analyse zum einen den politischen Ursachen, zum anderen denen, die in wirtschaftlichen Strukturen zu suchen sind.

Den Anfang macht in Wagenknechts Vortrag die Arbeitsmarktpolitik. Dessen Deregulierung – also die Öffnung für Mini-Jobs (inklusive Hartz-IV-Aufstockung), Scheinselbständigkeit und Leiharbeit bei gleichzeitiger Weigerung einer Einführung eines Mindestlohns habe das Lohndumping in Deutschland noch so richtig angeheizt. So zwängen die Harzt-IV-Gesetzte Menschen nämlich beispielsweise dazu, ihre Arbeitskraft auch weiter unter ihrem Wert zu verkaufen. Die Lüge des flott florierenden Arbeitsmarktes lässt sich bei genauerem Hinsehen also leicht erkennen. Denn den angeblich so geringen Arbeitslosenzahlen stehen etwa 8 Millionen Menschen in Deutschland gegenüber – so Wagenknecht –, die gerne mehr arbeiten würden.

Dem gegenüber steht eine Steuerpolitik, die klar diejenigen begünstigt, die ihr „Brot“ durch Vermögen anstatt durch Arbeitsleistung „verdienen“. Wagenknecht prangerte an, dass – abgesehen davon, dass die Erbschaftssteuer de facto abgeschafft sei und eine Vermögenssteuer schon seit Rot-Grün nicht mehr vorhanden – die Abgeltungssteuer (also die Steuer auf Kapitalerträge) auf 25 Prozent limitiert sei – wohingegen Arbeitseinkommen schnell weit darüber lägen. Die Diskussion um Spitzensteuersätze seien – so sinnvoll sie grundsätzlich seien – dagegen vergleichsweise müssig, meinte Wagenknecht. Angesicht der o.g. 5 Mrd. Euro Privatvermögen sicherlich nicht falsch.

Nun wird argumentiert, dass diese Steuerpolitik das Investitionsklima in Deutschland fördern könne. Aber ist das so? Veranlasst unser aktuelles Wirtschaftssystem die Unternehmen möglichst innovativ, kreativ, effizient, produktiv und zukunftsorientiert zu sein? Nein könnte man Wagenknecht kurz und bündig zusammen fassen. Aber warum? Dafür liefert die Politikerin gleich mehrere Beispiele.

Populärstes Beispiel der letzten Jahre dürfte die Finanzkrise und ihre Folgen sein – genauer gesagt das, was sie nicht zur Folge hatte: eine Veränderung des Systems. Kurz nach der Krise hieß es, es könne nichts so bleiben, wie es vorher gewesen sei. Nun, nachdem sich der erste Aufruhr gelegt hat, machen alle so weiter wie bisher. Und das, obwohl sich an der Erkenntnis, dass dieses Finanzsystem extrem gefährlich und schädlich ist, nichts geändert hat… Ein intelligentes, sich selbst heilendes, innovatives, kreatives, effizientes und zukunftsträchtiges System sieht wahrlich anders aus.

Doch es gibt noch mehr Entwicklungen, an denen sich Wagenknechts These festmachen lässt. So belegen ihrer Aussage nach mehrere Studien von Banken und Instituten, dass die Investitionen in die Realwirtschaft (also die Unternehmen, die tatsächlich Produkte und Dienstleistungen herstellen) seit der Jahrtausendwende gesunken sind. Schon lange vor der Finanzkrise habe es daher die viel beschworene und angeblich nie eingetretene Kreditklemme gegeben, meint Wagenknecht und ergänzt, dass eine Studie der KfW angebe, diese Kreditklemme sei derzeit in Deutschland die größte Innovationsbremse.

Doch es gibt noch einen anderen Grund, warum – vor allem langfristige – Investitionen so unattraktiv geworden sind und mit ihr die Innovationskraft und Zukunftsfähigkeit: Vor allem für Manager von Aktienunternehmen zählen nur die kurzfristigen Gewinne – und die werden eben auch zu Lasten des langfristigen Erfolgs eines Unternehmens gewonnen. Die Deutsche Bahn dürfte ein gutes Beispiel dafür sein, was mit Investitionen passiert, wenn es börsentauglich gemacht werden soll… Übrigens auch – und hier schließt sich der Kreis zur Arbeitsmarktpolitik – dadurch, dass eben immer mehr Leiharbeiter, Mini-Jobber und Scheinselbständige beschäftigt werden. Damit aber verschwinden Kompetenz, Erfahrung und Innovationskraft aus den Unternehmen.

Wie dem auch sei: Wagenknecht zitiert jedenfalls eine Studie, wonach Unternehmen heutzutage weniger investieren als noch 1991! Dabei seien die Investitionen, die heutzutage dann noch getätigt würden, vor allem Übernahmen anderer Unternehmen. Also keine Investition in Innovation, sondern in Marktmacht – und damit auch Macht gegenüber der Politik. Wie das aussieht, sieht man zum Beispiel am aktuellen Beispiel der „Energiewende“. Wie viel einfacher, fragt Wagenknecht, wäre der Ausstieg aus der Atomkraft eigentlich, wäre die Energiegewinnung nicht in den Händen von vier großen Konzernen?

Und zwar nicht nur, weil sie Lobby-Druck ausüben, sondern auch, weil wir alle ihre Gewinne bezahlen müssen. Laut Wagenknecht waren das 2009 24 Mrd. Euro, also pro Kopf 300 Euro. Wie weit könnten wir mit den erneuerbaren Energien sein, wenn wir genau dieses Geld in deren Entwicklung stecken würden? Zumal die vier Energieriesen ihre Gewinne aus Atomkraft zum Beispiel ja nur ziehen können, weil der Staat – also wir – dafür bürgen, wenn etwas passiert (bekanntermaßen sind Atomkraftwerke nicht versicherbar).

Wenn der Vortrag eines klar macht, dann dass es viel zu tun gibt. Und dass sich vieles besser denken ließe. Wie genau, darüber ließe sich sicherlich auch mit Frau Wagenknecht noch vortrefflich diskutieren. Doch fest steht eben auch, dass das aktuelle System – dieses Netz an einer „Elite“, die davon extrem profitiert; einer Politik, die sich selbst fesselt; und einer Wirtschaft, die einer menschlichen Gesellschaft im Wege steht – dringend erneuerungsbedürftig ist.

Wer es genauer wissen will: zu der Audio- und Video-Version des Vortrags und der anschließenden Diskussion geht es hier.