Auf meinen Streifzügen durch das Netz entdeckte ich vor kurzem eine poppige Website der Bundesregierung, die sich an unsere Jüngsten wendet, die „junge Seite der Bundesregierung“. „regierenkapieren“ ist eine multimediale Plattform mit quitschbunter Optik, Videos wie bei Youtube, Mitmach-Aktionen und natürlich jede Menge aufklärenden Inhalten für die Kids. Da gibt es Themen wie „Wo das Steuergeld am Ende bleibt“, „Talentschmiede Deutschland“ oder auch Wettbewerb fördert das Zeitungslesen“. Und natürlich geht es um Kinder, aber auch um die Kanzlerin, die man hier in allen Lebenslagen sehen kann: Sympathisch, fürsorglich, milde – eben so, wie wir sie kennen.

Alles klar soweit?

Kritik? Nein, Kritik gibt es keine – zumindest nicht von den Kindern und natürlich auch keine Eigenkritik von der Regierung selbst. Kriege? Ja, die gibt es überall auf der Welt. Und Deutschland hat selbstverständlich nichts damit zu tun, sondern wird ausschließlich von der Sorge um die Menschen umtrieben: „Vor allem außerhalb Europas gibt es sehr viele Länder in schwierigen Situationen. In einigen von ihnen herrscht Krieg. Menschen werden verletzt und müssen sterben. Deutschland und viele andere Länder wollen das nicht zulassen. Sie wollen helfen, die Konflikte zu lösen. Deshalb schicken sie Soldatinnen und Soldaten in diese Länder.“ Ach ja, wenn es Deutschland nicht gäbe, und auch nicht unsere Regierung, dann sähe es in der Welt ein gutes Stück schlechter aus. Wie gut, dass unsere Kinder dies hier erfahren.
Entwicklungshilfe? Klar, die gibt es auch – und ganz viel davon. Denn Deutschland möchte nicht, dass die Kinder in armen Ländern leiden: „Die meisten dieser Länder, in denen Kinder arbeiten müssen, sind Entwicklungsländer“. Dort sind die Menschen sehr arm, müssen hungern oder leiden an Krankheiten, gegen die sie keine Medizin haben. Es gibt kaum Krankenhäuser und Ärzte. Selbst sauberes Wasser oder richtige Toiletten sind für viele einfach nicht da.“ Wenigstens ein klitzekleiner Hinweis darauf, warum die Kinder in anderen Ländern arm sind? Nicht ein Hinweis auf den Kolonialismus von gestern und heute, Patent- und Lizenz-Praktiken internationaler Konzerne, die die ärmsten Länder immer weiter an die Wand drängen, Waffenverkäufe in Dritte Welt Regionen, Ausbeutung, Unterstützung von Umstürzen, Bürgerkriegen… hmm … mit derart (brutalen) Details sollte sich ein Kind nicht herumschlagen müssen.

Im Spielebereich können die Kids dann etwas über unsere Regierungsvertreter erfahren. Skandale, leere Versprechungen, kalter Zynismus, Regelungswut, Überwachungswahn? Nein, natürlich nicht. Es reicht vollkommen aus, wenn man den richtigen Namen den lächelnden Politikergesichtern zuordnet. Mehr braucht es wohl nicht, um zu kapieren.

Auf diesen Seiten erfährt ein Kind alles was es über die Regierung wissen sollte, aber eben auch nicht mehr. Eine kritische Haltung und selbständiges Denken sind hier nicht so sehr gefragt, wie das Verständnis dafür, dass die Welt ein einziger Wettbewerb ist, in dem sich die Besten durchsetzen – gegen die Schwächeren, in denen die Schlauen glücklich sind und die Dummen, tja die Dummen anscheinend sehen müssen wo sie bleiben.

Kritik, gibt´s die nicht?

Die Website regierenkapieren hat nur ganz knapp ihren besser passenden Namen verfehlt. „Regierung akzeptieren“ träfe die Sache genauer. Warum gibt es auf dieser Seite keine Möglichkeit, spontan Fragen zu stellen, seine Sorgen und Nöte zu benennen, auf Ungerechtigkeiten hinzuweisen…?
So bleibt nichts nach, außer einem fahlen Beigeschmack der an einen süßen, bunten Bonbon erinnert, der am Ende nur nach viel Zucker schmeckte, die Zähne zusammen klebt – und irgendwann wohl auch noch Zahnschmerzen bereiten wird.

Besser wäre…

Die kommende Zeit braucht kritische Geister, Menschen die in der Lage sind, sich selbst und auch unsere Welt infrage zu stellen, Alternativen zu finden, ein Gefühl für Gerechtigkeit und Verantwortung zu entwickeln, größere Zusammenhänge zu sehen, und dann doch an das Gute im Menschen zu glauben. Allein die Wettbewerbsphilosophie wird nicht ausreichen. Unsere Kinder erben von uns eine zerbrechliche und kränkelnde Welt. Eine Welt die jedoch ihr Zuhause ist. Wenn wir sie naiv und unkritisch halten (aus Angst vor der Kritik an uns), dann werden sie die großen Probleme nicht meistern.
Ich suche noch nach eine Website (der Regierung?), die sich öffnet für diese Kritik, sich öffnet für die Fragen der Kinder, die ehrlich mit ihnen ist und mit ihnen gemeinsam echte Perspektiven erarbeitet. Ich werde wohl noch eine Weile suchen…

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Bildquelle: regierenkapieren