Die Dichte willkommener Nachrichten ist ja zurzeit nicht gerade allzu hoch. Da freut es natürlich, wenn so etwas wie heute geschieht: Das Bundesverfassungsgericht erteilt der Ratifizierung des EU-Reformvertrages (Lissabon-Vertrag) eine Abfuhr.

Dieser sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Auch wenn man sich sonst oft fragt, wie genau es unsere Volksvertreter mit dem Grundgesetz nehmen, so hat man hier den Eindruck, es sei vielleicht doch mehr wert als das Papier auf dem es steht. Wie aber soll es nun weitergehen? Was wird aus Europa? Denn eigentlich wollen die knapp 500 Millionen Europäer die Gemeinschaft, wollen sich als Europäer fühlen und würden sogar den Vertrag unterstützen – wenn sie nur involviert wären und ihre Bedenken Ernst genommen würden. Könnten sie beim Inhalt mitreden, ihn mitgestalten und als Betroffene Einfluss nehmen, hätten wir heute bereits einen ganz anderen Europäischen Geist und eine gute Chance auf eine echte Gemeinschaft.

Viel geschrieben, wenig erhofft

Wir haben schon häufig in diesem Blog über das Thema Europa, EU und Verfassung geschrieben, haben Experten zu Wort kommen lassen, Interviews geführt und – mal ganz ehrlich – nicht daran geglaubt, dass es irgendetwas geben könne, was den Europa-Prozess noch stoppen könnte. Selbst das eindeutige „Nein!“ der Iren schien darauf hinaus zu laufen, dass man das Land eben zwingt, noch mal abzustimmen.

Gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise obendrein noch mit einem neuen Druckmittel. Das unser eigenes Verfassungsgericht vor einiger Zeit den Fuß der Verfassungsbefürworter vom Gaspedal nahm und auch unser Bundespräsident seine Unterschrift zum Ratifizierungsprozess vorerst versagte, war dann schon eine Überraschung. Dennoch überwog die düstere Vorahnung… Auch wenn diese nicht ganz verraucht ist, so ist der heutige Tag wieder ein kleiner Lichtblick in Sachen Demokratie.

Die EU-Strategen sind bereit

Ganz sicher werden die Strategen der EU jetzt nicht die Hände in den Schoß legen. Vielleicht war diese Bremsung auch aus (wahl)taktischen Gründen notwendig, doch ist sie nun zumindest offiziell und verbrieft: Der Reformvertrag ist NICHT mit unserem Grundgesetz in Einklang zu bringen. Da schon die Medien so gut wie gar nicht über die Risiken des Vertragswerkes berichteten und auch die Kritiker kaum zu Wort kommen ließen, sind wir gespannt, ob und wie sie sich vor der Erklärung des heutigen Urteils drücken werden. Denn: Warum ist der Vertrag den nicht mit unserem Grundgesetz vereinbar? Was werden uns die Medien erzählen?

Zur „Lösung“ kündigt das Gericht eine Initiative an: Zunächst einmal sollen die Beteiligungsrechte von Bundestag und Bundesrat gestärkt werden. Das deutsche Begleitgesetz, welches die parlamentarische Beteiligung am Erlass europäischer Vorschriften regeln soll, sei zunächst einmal zu verbessern. Es steht also eine Gesetzesänderung, bzw. -erweiterung an. Die anderen wichtigen Kritikpunkte, wie der mit einer wohl noch kommenden Ratifizierung verbundene allgemeine Demokratieabbau, die Festschreibung der neoliberalen Wirtschaftsordnung, das Sozialstaatsverbot oder die Militarisierung tauchen hier (zumindest in der Medienberichterstattung) nicht auf.

Die Europäer wollen ein Europa, aber ein anderes

Das vertrackte daran ist, dass die Europäer der Idee eines vereinigten Europas durchaus positiv gegenüber stehen – wenn nur dieser krude Vertrag nicht wäre. Fast 500 Millionen Menschen haben keinerlei Einfluss auf seinen Inhalt und empfinden ihn schon von daher als Zumutung. Wäre er das Ergebnis eines allgemeinen Votums, wären alle Bürger in seine involviert, so wäre der ganze Prozess schon lange durch. Doch gerade die Ausgrenzung der Menschen gibt ihnen das Gefühl, dass auch der Inhalt nicht gerade demokratischer Natur sein kann.

Wir dürfen also gespannt sein, wie es weiter geht. Dennoch dürfte es jetzt wieder ein Stück leichter fallen, in Gesprächen auf die Bedeutung und Folgen des Reformvertrages einzugehen. Immerhin kann man nun sagen: „Selbst das Bundesverfassungsgericht hatte große Bedenken“…

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