Le Van Bo hatte eigentlich einfach nur Lust, in einem Wochenendkurs der Berliner Volkshochschule ein bisschen was über das Tischlern zu lernen. Das ist nun ein Jahr her.

Heute hat er Stühle,  Sessel, Tische und Sofas in zeitlosem Design konstruiert – und eine höchst aktive Do-It-Yourself-Community um diese so genannten Hartz-IV-Möbel aufgebaut. Denn: Seine Entwürfe sind kostenlos, das Material günstig und die Basteleien von wirklich jedem zu bewerkstelligen. Für Le Van Bo steckt allerdings mehr dahinter, als eine nette Spielerei: Wir sprachen mit ihm über die  Fragwürdigkeit von Billigprodukten, die falsche Maßeinheit „Euro“ sowie Kopforte für Selbermacher.

Es gibt ja einen erkennbaren Trend hin zum Selbstgemachten – und viele davon sind der Überzeugung, dass dies auch ein politischer Akt ist. Wie sieht das bei Dir aus?

Ja, ich denke das ist der Zeitgeist. Gerade vor dem Hintergrund der Weltfinanzkrise hat das noch weiter angefeuert: wir müssen neu darüber nachdenken, was Geld ist, was Kapital ist, was ein gutes Leben ist – und was es uns wert ist. Was bedeutet es, wenn ein T-Shirt nur 4,99 Euro kostet? Wer hat das gemacht? Auf wessen Kosten können wir uns das leisten? Wo kommt ein Stuhl her, auf dem ich sitze? Und was muss passieren, damit ich einen Stuhl für 10 Euro kaufen kann?

Oder was bedeutet es, wenn ich ein Sparbuch bei der Sparkasse anlege und dafür mein Geld jedes Jahr um 2 Prozent mehr wird – spätestens dann müssten wir eigentlich skeptisch werden und uns fragen, wie es eigentlich sein kann, dass Geld mehr werden kann? Von wem muss man das denn wegnehmen, damit es mehr wird? Solche Fragen stellen wir uns heute überhaupt nicht mehr. Doch bei der Finanzkrise haben dann ganz viele gemerkt, dass es da ein Versprechen der Wirtschaft gibt, das überdacht werden sollte und muss. Denn so kann es nicht weitergehen.

Wir befinden uns in einer Zeit der Schnelllebigkeit. Wir sind es gewohnt, dass Güter weltweit erreichbar sind. Es ist meiner Meinung nach an der Zeit innezuhalten und sich zu überlegen, wie das funktioniert – und ob das überhaupt funktioniert? Und ob wir das unter diesen Bedingungen überhaupt wollen? Das sind natürlich sehr abstrakte und theoretische Fragen. Ganz konkret wird es dann bei den Dingen in der eigenen Umgebung. Wenn ich mir meinen Pulli selbst stricken kann oder meinen Stuhl selbst schreinern kann, dann habe ich die Gewissheit, dass ich ganz genau weiß, wo und wie der Gegenstand entstanden ist. Und ich weiß welches Material darin steckt und wie viel Arbeit.

Mittlerweile gibt es ja auch Workshops zu Deinen Möbeln. Leitest Du die selbst?

Also ich bin ja kein Tischler. Daher hab ich mich offen gesagt bislang noch nicht getraut, einen Workshop anzubieten. Wenn mich da jemand fragen würde: Wie macht man eigentlich eine Verzapfung? Da könnte ich gar nicht drauf antworten. Mittlerweile bin ich aber so selbstbewusst, dass ich an der Volkshochschule – zum allerersten Mal – einen Kurs anbiete. Ein Jahr nach Entstehung des Kreuzberger Küchenstuhls, der ja in der Volkshochschule auch entstanden ist, gibt es dort nun einen Kurs dazu. Ich werde da einfach den Stuhlbau genauso anleiten, wie ich ihn selbst gemacht habe. Und wenn jemand ihn anders bauen will, dann kann ich ihm einfach nicht helfen (lacht).

Oder der muss experimentell werden…

Oder das. Wobei es bei so einem Handwerk auch schon immer um die nackte Wahrheit geht. Wenn man beispielsweise mit Photoshop oder einem anderen Programm arbeitet, dann kann man da immer irgendwie schummeln oder tricksen. Oder in der Werbung kann man viel erzählen und schön reden. Doch in der Werkstatt, da zählt nur das Detail und die Wahrheit. Klar kann man hier oder da ein bisschen Pfuschen, aber das rächt sich. Dann wird eine Verbindung locker oder etwas bricht durch oder so. Da geht es um Handwerk. Und dieser Umgang mit Zeit, mit Materialien, mit Werkzeugen – das ist alles schon so uralt. Das kann ich nur jedem empfehlen.

Und was hat es mit dem von Dir ebenfalls veranstalteten Guerilla Lounging auf sich?

Ich hab ja keine Werkstatt und keine Galerie und gar nichts. Ich hab noch nicht mal Werkzeuge. Also habe ich das Guerilla Lounging ins Leben gerufen. Dabei treffen sich die, die meine Möbel bauen im öffentlichen Raum – natürlich mit den Möbeln. Die Guerilla Loungings haben mehrere Funktionen: zum einen ist es so, dass ich die Möbel selbst ja gar nicht immer baue, ich entwerfe die nur. Das heißt es gibt Prototypen, die habe ich selbst noch gar nicht gesehen. Aber sie wurden von der Community schon gebaut. Ein Beispiel ist der Piscator Table. Den habe ich nie gebaut und bisher nur auf Fotos gesehen.

Zum anderen kann ich mich mit anderen austauschen. Ich kann die Leute mal kennen lernen, die die Möbel bauen. Das sind oft sehr interessante Persönlichkeiten. Und uns alle verbindet der Drang etwas zu machen und zu bauen. Die Beweggründe sind zwar unterschiedlich, aber im Grunde eint uns, dass wir alle nicht ganz normal sind: Solche Möbel könnte man günstiger und einfacher auf einem Flohmarkt kaufen. Also wer sich entscheidet, seine Möbel trotzdem selbst zu bauen, der ist mit seinem Kopf ja irgendwo ganz woanders. Und dieser Ort, der interessiert mich. Das möchte ich verstehen.

Und gibt es da spezifische „Kopforte“?

Ja, die gibt es natürlich. Es ist ja auch eine Bedingung, dass mir die Leute ihre Motivation schildern, wenn sie einen der Baupläne bestellen wollen. In der Regel hat der Wunsch, selbst Möbel zu bauen, mit Aufbruch zu tun. Viele wollen neue Ufer erkunden. Viele brauchen auch eine Aufmunterung, eine Bestätigung. Ich denke viele finden mich auch, weil sie „Hartz IV“ googlen – das war im übrigen auch der Grund, warum ich diesen Namen gewählt habe. Oder manche suchen die Abwechslung zu Büro-Job. Und bei ganz vielen spielt auch die Liebe eine Rolle. Ganz viele bauen die Möbel nämlich für jemand anderen. Das ist ja auch ein ganz tolles Geschenk: man steckt Zeit seines Lebens hinein und schleift das, was woher so roh war geschmeidig und schön, sodass man es streicheln und anfassen möchte – und dann schenkt man es jemandem, der setzt sich darauf. Das ist jedes mal wie eine kleine Umarmung.

Le Van Bos Möbel sollen auch Wohnprobleme lösen: Beispielsweise das SiWo-Sofa ist Lagerstätte, Raumteiler und Sofa in einem.

Wer baut eigentlich Deine Möbel – sind das tatsächlich vor allem Hartz-IV-Empfänger?

Ungefähr die Hälfte aller Anfragen sind davon motiviert, dass die Leute kein oder wenig Geld haben. Ob diese Menschen nun Hartz-IV beziehen oder nicht, das weiß ich nicht. Manche bekommen Arbeitslosengeld, manche sind Rentner, andere studieren. Aber viele haben eben wenig Geld. Das ist auch Teil der Diskussion, die ich damit gerne starten möchte: viele denken ja, Hartz-IV-Empfänger wären so eine homogene Gruppe. Wie so eine Gruppe von Schmarotzern, Gescheiterten. Aber mich schreiben sowohl Professoren, als auch Ärzte oder Rechtsanwälte an – denn wenn die mal für ein paar Monate keinen Job haben, dann sind sie gleich bei Hartz IV. Es gibt also gar keine Gruppe, die man so nennen könnte. Und dazu möchte ich gerne eine Diskussion ankurbeln: Kann man diese Menschen, die da alle für einen kurzen Moment einfach wenig Geld haben, überhaupt zusammen fassen?

Was verbindet einen Arzt mit einem Gemüsehändler oder einem der geistig Behindert ist – ich habe viele Anfragen von Behindertenwerkstätten? Nichts. Also die Höhe des Geldes, die ein Mensch hat, ist kein Maßstab. Dahinter steht natürlich auch der Gedanke, dass Glück unabhängig von dem Maßstab „Euro“ abhängig ist. Da gibt es viele, viele andere Maßstäbe oder Messeinheiten. „Euro“ ist für mich eine Maßeinheit wie „Liter“ – 10 oder 20 oder 500 Liter können Milch sein, Wasser, Öl oder Quecksilber. Genauso ist es auch mit der Maßeinheit „Euro“. Die Frage ist: Was macht man damit?

Wenn man damit zum Beispiel Zeit kauft, dann sind diese „Stunden“ vielleicht viel eher die Messeinheit für Luxus. Deshalb bemesse ich meine Entwürfe auch beispielsweise nicht nur mit Geld, sondern auch mit der Zeit, die man braucht, um sie zu bauen. Also den 24-Euro-Chair kann man beispielsweise in 24 Stunden bauen. Oder den Berliner Hocker in zehn Minuten. Ja, also die Dinge, die uns glücklich machen sollen, die müssten wir vielleicht alle noch mal überdenken.

Vielleicht macht es uns Menschen ja auch glücklich, wenn wir merken, dass wir Herr unserer selbst sind. Also zum Beispiel unsere Stühle selbst bauen können. Oder was meinst Du?

Ja, da ist der Berliner Hocker ein gutes Beispiel dafür: Der entstand, weil ich ein Möbelstück entwerfen wollte, das komplett unabhängig von unserer Zivilisation ist. Von Strom zum Beispiel oder von Batterien. Und für den Berliner Hocker braucht man eigentlich nur zehn Nägel und einen Hammer. Das ist wirklich interessant, wenn man ausgeliefert ist – nun nicht der Wildnis, aber der Tatsache, dass man eben keinen Akku-Bohrer hat. Also man merkt dabei: Auch ohne Strom, ohne Internet und so weiter kann man sich ein Minimum an Zuhause bauen.

Wir haben aber auch einfach vieles vergessen: Wir wissen oft gar nicht mehr, wie relativ einfach wir verschiedene Dinge selbst herstellen könnten…

Das ist klar, denn wir messen Gegenstände ja auch immer an ihrem Preis. Zum Beispiel einen Schwamm – ich schmeiße meine Putzschwämme natürlich auch weg und kauf mir einfach einen neuen. Eine Reparatur wäre da viel zu aufwendig. Bei Schwämmen ist das ja noch verzeihlich, doch wenn das dann bei Stühlen oder Druckern oder Computern weiter geht. Es gibt doch schon Laptops für 300 Euro. Da lass ich doch nicht meinen Alten reparieren. Den schmeiße ich weg und kaufe mit einfach einen neuen.

Das geht immer weiter. Durch die Globalisierung wird für uns vieles unglaublich günstig. Aber wo bleiben wir da stehen: Werden wir irgendwann einfach unser Auto wegschmeißen, wenn es kaputt ist und uns ein neues kaufen? Oder Fahrräder: Hat man einen Platten, dann kauft man sich eben ein neues Rad… Mit Kleidung ist es heute schon so. Wer lässt schon seine T-Shirts reparieren.

Aber wer Dinge selbst herstellt, lässt sich auch eher reparieren?

Richtig! Da passiert etwas in Dir. Bei mir war das auf jeden Fall so, dass ich – dadurch, dass ich selbst mal ein Möbel gebaut habe – einen riesigen Respekt bekommen habe vor all diesen Dingen, die irgendwann mal irgend jemand gemacht hat. Die würde ich heute auf keinen Fall mehr einfach so wegschmeißen. Und ich schaue sie mir auch genauer an. Dabei sind es immer zwei Dinge, die mich begeistern: Zum einen die Qualität und damit die Haltbarkeit. Und zum anderen die Form, die Gestaltung. Und die Form ist leider immer sehr stark abhängig von Moden, vom Zeitgeist.

Nun gibt es aber Möbel, die sind zeitlos in ihrem Design. Sie glänzen in beiden Punkten. Deshalb interessiere ich mich auch sehr für die Farben und Formen aus der Zeit der 1920er Jahre, also dem Bauhaus. Damals haben die Designer eine Formsprache gefunden, die absolut allgemein gültig ist. Die Möbel können einfach nicht mehr schlecht aussehen – egal welche Mode gerade herrscht. Ja, und deshalb hab ich auch den 24-Euro-Chair so gemacht, dass man ihm auch eigentlich nicht ansehen kann, aus welcher Zeit er ist.

Mittlerweile ist Bo Van Le nicht nur in Sachen Möbel unterwegs, sondern hat auch ein Hartz-IV-Plakat gestaltet, das sich variabel kombinieren lässt.

Welche neuen Projekte planst Du?

Ich arbeite gerade an einer Musterwohnung. Dabei erforsche ich, wie groß eine Wohnung oder ein Haus eigentlich sein muss, damit der Mensch, der darin wohnt, glücklich sein kann. Da suche ich übrigens gerade auch noch nach Hausverwaltungen, die ihre Wohnung zur Verfügung stellen würden, für diese Experimente.

Ich möchte dann in diesen Wohnung mit dem Thema Standardisierungen beschäftigen. Das hat ja im Bauhaus angefangen und in Leipzig und in vielen anderen Städten weltweit gibt es mittlerweile die so genannten WBF-70-Typen. Also standardisierte Grundrisstypen in der Plattenbauweise. Da konzentriere ich mich momentan auf die 1-Zimmer-Wohnungen, weil diese am günstigsten und eigentlich von allen erschwinglich sind.

Und dabei habe ich einige Probleme lokalisiert, die sich in so einer Einraumwohnung ergeben – aus Platzmangel. Zum Beispiel kann man kein Sofa mehr in diese Wohnungen stellen, wenn schon ein Bett darin steht. Oder man auch eigentlich keinen Tisch in die Mitte tun, um zum Beispiel seine Familie zu Weihnachten zum Essen einzuladen. Das sind Probleme, die dazu führen, dass man sozial verarmt. Wer keine Sitzmöglichkeiten für Freunde und Familie hat, der lädt sie eben auch nicht mehr zu sich nach Hause ein.

Dafür versuche ich Lösungen zu finden. Zum Beispiel das SiWo Sofa ist aus dieser Sache heraus entstanden. Denn ich habe gemerkt: nicht unbedingt die Größe ist ausschlaggebend dafür, ob jemand in einer Wohnung glücklich ist oder nicht – sondern die Zonierung. Also der Mangel an Abwechslung einer Wohnung führt dazu, dass man sich eingeschränkt fühlt. Das wäre also in einem großen Loft auch nicht anders, wenn man da nur eine Zone – nämlich schlafen – hätte, dann würde man sich da schnell langweilen oder sich eingeschränkt fühlen.

Der Trick ist dabei also das Zonieren. Egal wie klein der Raum ist, man muss verschiedene Zonen schaffen. Von vorne nach hinten, von rechts nach links. Einen Platz zum Chillen, einen zum Arbeiten und so weiter. Und das SiWo Sofa kann man einfach in die Mitte des Raumes stellen und dort zoniert es den dann automatisch. Und das würde ich gerne mal eins zu eins bauen und präsentieren.

Danke für das Gespräch!

 

Übrigens gibt Le Van Bo unter dem Motto „Konstruieren statt Konsumieren“ im August auch seinen ersten eigenen Möbelbau-Workshop. Wer genug Kleingeld hat (sorry liebe Harzt-IV-Empfänger, ist ein bisschen teuer…), hier die Daten:


Workshops Konstruieren statt Konsumieren

Kreuzberg 36 Chair
Baukurs in Berlin mit Le Van Bo
12.-14. August 2011
360 Euro für Paare (180 eur/pers)
beinhaltet Kursgebühr (78 eur/person), Holzmaterial (36 Eur/Stuhl), 2 Übernachtungen für 2 Personen im Kudamm Design Studio (170 eur) >>> www.weekend-in-berlin.de


Bild-Credit / Fotos:  Cem Guenes