Eigentlich sollte der Lobbyeinfluss ja fairer werden. Zu Beginn seiner Amtszeit hatte der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ja gefordert, dass die Kommissionsvertreter bei ihren Lobbytreffen auf mehr „Ausgewogenheit“ achten sollten. Mittlerweile hat Juncker Amtshalbzeit (am 1. Mai) und die Organisation LobbyControl zeigt: Ausgewogen ist das mit dem Lobbyismus in Brüssel nicht.

Über 60 Prozent Lobbyeinfluss

Seit Dezember 2014 haben die beiden Organisationen LobbyControl und ALTER-EU die Treffen ausgewertet: Von den 19 Kommissaren, die eine relevante Anzahl von mindestens 50 Lobbytreffen hatten, hätten sich zwölf zu mindestens 60 Prozent mit Konzernvertretern getroffen. „Das entspricht einem Anteil von knapp zwei Dritteln“, so LobbyControl.

Die Spitzenreiter sind laut der Organisationen die Kommissare Elzbieta Bieńkowska (Binnenmarkt mit 87 Prozent), Günther Oettinger (Personal und Haushalt, zuvor Digitales mit 83 Prozent) und Jyrki Katainen (Wachstum und Beschäftigung mit 80 Prozent).

Zu den fünf wichtigsten Lobbyakteure insgesamt sollen laut LobbyControl der Arbeitgeberverband BusinessEurope, der Internetgigant Google, das Europäische Büro der Verbraucherschutzorganisationen, der Flugzeughersteller Airbus und der Technologieverband DigitalEurope gehören.

Politik ist für die Bürger da

Eigentlich sollten die Politiker ja den Bürgerinnen und Bürgern dienen. Das findet auch die EU-Expertin bei LobbyControl Nina Katzemich. Doch: „Unsere Auswertung ist ein weiteres Indiz dafür, dass die EU diesem Anspruch nicht gerecht wird. Das muss sich dringend ändern.

Wohin eine zu große Nähe zwischen Politik und Konzernen führt, sieht man bei den Handelsabkommen CETA und TTIP oder dem aktuellen Abgasskandal. So haben die Automobilunternehmen Maßnahmen für weniger CO2 und bessere Abgastests durch Lobbyarbeit bei allen EU-Institutionen und Mitgliedstaaten seit Jahren immer wieder erfolgreich verwässert und verzögert“, sagt sie.

Es geht auch anders: Positivbeispiele

Das Ergebnis der Untersuchung zeigt aber auch: Die Kommissare können anscheinend frei entscheiden, wem sie Gehör schenken und wie sie mit Lobbyisten umgehen. Dass es nämlich auch anders geht, zeigen auch einige Politiker: Laut LobbyControl soll der Kommissarin für Arbeit und Soziales Marianne Thyssen zum Beispiel nur 34 Prozent aller Lobbytreffen Unternehmervertretern gegolten haben. Bei Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis sollen es „nur“ 49 Prozent gewesen sein.

„Er ist auch der einzige, der sich an eine Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO hält, indem er Treffen mit Tabaklobbyisten auf das nötigste beschränkt und für größte Transparenz über diese Treffen sorgt. Es ist erschreckend, dass er damit die Ausnahme ist und nicht die Norm“, sagt Nina Katzemich.

Wie könnte es weitergehen?

Dennoch begrüßt es LobbyControl nach eigenen Aussagen ausdrücklich, dass Juncker zu Beginn seiner Amtszeit die EU-Kommissare und ihre Kabinette verpflichtet hat, ihre Lobbytreffen zu veröffentlichen. „Die Bundesregierung bietet nicht annähernd so viel Transparenz“, so Katzemich.

Lieber Herr Juncker, wir hoffen, dass Sie in Ihrer zweiten Halbzeit Taten folgen lassen. Wir fordern konkrete Vorgabe, wie eine Ausgewogenheit beim Lobbyeinfluss entstehen soll! Dabei könnten sie sich ja an Beispielen der Kolleg*innen wie Marianne Thyssen, Vytenis Andriukaitis oder Vera Jourova orientieren, die LobbyControl empfiehlt.

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Bildquelle: LobbyControl