Ab heute beschäftigen wir uns jeden Montag mit einer grundsätzlichen Frage. Höchst hypothetisch, suggestiv und meinungsmachend. Dieses Mal lautet sie: Was wäre, wenn wir über unser Leben selbst entscheiden könnten?

Auf den ersten Blick sieht diese Frage etwas anrüchig aus, denn es gibt immer Vergleiche zu anderen Ländern, in denen man nicht halb soviel Selbstbestimmungsrechte findet, wie bei uns in Europa. Doch wenn man sich erst dieses Europa und dann auch Deutschland einmal näher anschaut, dann ist es mit der tatsächlichen Freiheit nicht so weit her.

Wer hat hier ein Problem mit dem Begriff Freiheit?

Wenn man mit Menschen über das einfache Wort „Freiheit“ spricht, kann es sein, das in kürzester Zeit die Nerven blank liegen. Das liegt vielleicht daran, dass jeder unter dem Begriff etwas anderes versteht. Vielleicht auch, das man tatsächlich immer jemanden zu finden vermag, der davon noch weniger besitzt als man selbst. Und sobald man ein Schwinden eben jener Freiheit erwähnt, zeigen oftmals die Finger des Angesprochenen auf der Karte in Länder, in denen Freiheit allein den Machthabern vorbehalten und für die Bevölkerung unerreichbar scheint.

Doch gerade dann wieder ist es geradezu erstaunlich, dass diese Menschen – und der größte Teil heimischer Politiker gehört dazu – es nicht für angemessen erscheinen, dagegen aufzubegehren. Geschäfte mit Ländern zu machen, in denen Freiheit kaum ausgesprochen werden darf, erscheint weniger problematisch, als die Vorstellung, diesen Freiheitsbegriff einzufordern und die Selbstbestimmung zur Voraussetzung der Handelsbeziehungen zu machen. Geschäft geht immer… So sieht es z.B. die Zeitung „Die Welt“ unter Einbeziehung einer Studie von „Freedom House„.

Philosophisches Kopfkino – Was ist Freiheit?
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Ist Freiheit Deutungssache?

Wer also hat hier ein Problem, mit dem Wort „Freiheit“? Einerseits auf fremde Länder zeigen, und damit jeden Hinweis und jede Warnung abtun, andererseits sich nicht davor scheuen, eben jene Länder nicht zu ächten. Man erinnere sich nur mal an die Olympischen Spiele 2008 in Peking – und den Hinweis der Verantwortlichen, das man mit dieser Vergabe China der Demokratie öffnen würde.

China: Olympische Spiele und Menschenrechte

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Menschenrechte und Olympische Sommerspiele 2008

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Hmmm. Das Dumme am Pustekuchen ist, dass er nicht satt macht.

Gerade in diesen Tagen, wenn wir zur Türkei herüber schauen, sehen, was dort geschieht und hören, was heimische Politiker dazu sagen, beginnt sich der immerhin noch recht klare Blick auf die Vorstellung einer Selbstbestimmung erheblich zu trüben. Einerseits werden zu Recht die Repressalien gegen die türkischen Demonstranten gerügt, wird auf die Zivilcourage der Menschen vom Taksim-Platz hingewiesen. Andererseits werden aber die Menschen im eigenen Land – siehe Blockupy in Frankfurt – nicht in gleicher Weise ermuntert, auf ihre Freiheit zu pochen.

Dazu passend hat gerade unser Bundespräsident gefordert, den Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 zu würdigen.  Zugleich aber hat er den friedlichen Occupy-Protest für albern erklärt.

Joachim Gauck über Occupy

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Gut, es gibt wie gesagt immer eine Möglichkeit, etwas Schlimmeres zu finden. Doch wer entscheidet darüber, was wie schlimm ist? Gerade als Fürsprecher von Selbstbestimmung und Freiheit, sollte ein Präsident, noch dazu mit diesem geschichtlichen Hintergrund, den Ruf nach Freiheit niemanden absprechen.

Wo und was entscheiden wir, bitte schön?

Mal ehrlich: Alles mögliche entscheidet über unser Leben. Doch wie viel davon haben wir in der Hand, können wir selbst bestimmen?
Nur drei Beispiele:

1. Unsere Sozialisation

Wir sind das Ergebnis unserer Erziehung. Wir werden geprägt von unseren Eltern und Verwandten, unseren Freunden, der Schule, den Medien und Institutionen. Als wie groß können wir die Möglichkeit einschätzen, uns hier zu entfalten, eigene Rückschlüsse zu ziehen und Dinge in Frage zu stellen?

2. Unser persönlicher Weg

Dieser ist geprägt von den Notwendigkeiten zu überleben. Vorrangig müssen wir uns in ein System einfinden, dass uns Nahrung, ein Dach über dem Kopf und die Gewähr aller mit unserer Unversehrtheit verbundenen Maßnahmen ermöglicht. Und dieses geht nur, in dem wir Geld erwirtschaften. Hierdurch sind wir jedoch bereits Teil eines System, dass uns zu Abhängigen macht und ins Hamsterrad setzt. Widersetzen wir uns, sind wir vom System noch abhängiger, oder von denen, die sich nicht widersetzen.

3. Wahlen und gesellschaftliche Beteiligung

Wir können zwar Parteien und Politiker wählen, doch an deren Entscheidungen nehmen wir nur noch als Beobachter teil. Fordern wir mehr als das, werden wir als Störer des Systems ausgemacht.

Nur drei Beispiele die zeigen, dass wir zwar die Freiheit haben, uns innerhalb eines vorgegeben Systems zu bewegen, aber nicht außerhalb. Wie ein Tiger in einem Käfig, dem wir drei bunte Bälle geben und sagen: „Schau, Du bist frei und kannst Dich entscheiden!“

Was wäre, wenn wir über unser Leben selbst entscheiden könnten?

Was also wäre, wenn wir über unser Leben selbst entscheiden könnten. Dies Frage drängt sich umso mehr auf, weil immer weniger Menschen von dem System profitieren. Doch das System zu beseitigen, würde am Ende womöglich dieselben Strukturen etablieren, die man hoffte loszuwerden.

Was also tun? An welcher Stelle braucht es Freiheit? An welcher ist sie uns als Individuum versagt? Was wäre, wenn wir alle frei wären zu entscheiden? Ginge dies? Würden alle mitmachen? Gäbe es manche, die (wie in Orwells Farm der Tiere) dann gleicher wären als andere? Ist Freiheit nur eine Haltung und letztlich physisch nicht möglich? Besteht sie allein in der Selbstaufgabe, oder redet man uns das nur ein?

Diese Fragen zu stellen, bevor uns dasselbe Vakuum erreicht, dass nach und nach alle Länder zu verschlingen scheint – man denkt unweigerlich an das Nichts in Michael Endes „Die unendliche Geschichte“ – sollte uns zumindest mal fünf Minuten innerlich bewegen.

Denn Freiheit ist, so sagte schon Goethe, etwas, dass wir uns ständig neu verdienen müssen:„Das ist der Weisheit letzter Schluß:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muß.“
Johann Wolfgang von Goethe, Werke – Hamburger Ausgabe Bd. 3, Dramatische Dichtungen I, Faust II

Und wir freuen uns natürlich auch über Eure Antworten.